»Demokratisierung ist Regime Change«

Trotz vieler Fehler der USA und unerwartet großer Probleme ist die Demokratisierung des Irak nicht gescheitert, sagt michael rubin vom American Enterprise Institute.

Sie gelten als einer der neokonservativen Vordenker und haben im Jahr 2003 den Irak-Krieg unterstützt. Wenn man heute neokonservative Prognosen aus dieser Zeit liest und sie mit der Realität vor Ort vergleicht, wirkt dies doch ernüchternd. Ist der Neokonservatismus tot?

Das hängt ganz davon ab, was man als neokonservativ bezeichnet. In Europa taucht der Begriff in jeder Verschwörungstheorie auf. Im Zusammenhang mit der US-Außenpolitik heißt neokonservativ, dass wir eine globale Verantwortung tragen und Außenpolitik mit Demokratisierung verbunden sein muss. Deshalb: Nein, der Neokonservativismus ist keineswegs tot.

Zugegebenermaßen haben damals einige Leute etwas voreilig angenommen, dass sich der Irak in sehr kurzer Zeit positiv verändern würde. Aber was heißt das? Sollen, weil der Prozess im Irak länger dauert und schmerzhafter ist als angenommen, deshalb Europa und die USA fortan nur noch Diktaturen unterstützen?

Sie haben ein Jahr lang für die amerikanische Besatzungsverwaltung CPA in Bagdad gearbeitet. Was wurde richtig gemacht?

Saddam Hussein wurde gestürzt, ohne dass ein anderer Diktator an seine Stelle getreten ist. Schiiten und Kurden werden nicht mehr unterdrückt. In allen Diskussionen tritt viel zu oft in den Hintergrund, dass Saddam Hussein Kriege vom Zaun gebrochen und Hunderttausende Iraker getötet hat. Jetzt hören wir: Aber die USA haben ihn doch in den achtziger Jahren unterstützt; ganz so als sollten die USA nicht aus ihren Fehlern lernen und diese sogar im besten Fall wieder gutmachen.

Und was lief falsch?

Eine Menge. Es hätte vor allem niemals eine formale Besetzung des Irak durch die Koalition geben dürfen. Wir Neocons waren übrigens zusammen mit vielen irakischen Oppositionellen strikt gegen diese Idee. Indem man diesen Besatzungsstatus etablierte, spielte man all denjenigen direkt in die Hände, die in ihrer Propaganda verbreiteten, dass alle Irakis, die für Demokratie und Freiheit eintreten, de facto Kollaborateure der Amerikaner seien. Hinzu kommt: Demokratie ist ohne Rechenschaftspflicht nicht möglich. Die CPA aber war nichts und niemandem, zu allerletzt den Irakis selbst, rechenschaftspflichtig. Ihr Chef Paul Bremer hatte de facto die Position eines Diktators. So konnten in kurzer Zeit Parteien erstarken, die den Menschen alles Mögliche versprachen, und wenn es dann nicht eintrat, machten sie eben die USA dafür verantwortlich.

Derzeit findet eine militärische Kampagne statt, die Bagdad befrieden soll. Vorangegangene Offensiven dieser Art sind gescheitert. Was soll diesmal anders gemacht werden?

Zuerst geht es um Quantität. Nun fragen die Leute: Was machen zusätzliche 21 000 Soldaten denn aus in einem Land, in dem schon 140 000 stationiert sind? Der Unterschied ist, dass sie nicht im ganzen Land verteilt werden, sondern in Bagdad, wo bislang nur 16 000 Mann stationiert waren, jene Stadtviertel sichern, die ethnisch und konfessionell gemischt sind. Sie sollen verhindern, dass in diesen Vierteln ethnische Säuberungen stattfinden.

Die US-Truppen bleiben, anders als früher, als sie Terroristen bekämpften und dann wieder abgezogen wurden. Die USA verfolgen jetzt eine Strategie, die auf langfristige Befriedung, nicht kurzfristige Bekämpfung von Terroristen abzielt. Deshalb richtet sich das Hauptaugenmerk momentan auch nicht auf die Hochburgen von Milizen und Terroristen, sondern auf jene Gegenden, in denen die Menschen von den Terroristen eingeschüchtert werden.

Sehen Sie die Zukunft des Irak optimistisch?

Ja. Es wird sehr sehr lange dauern und viele Rückschläge geben, aber es lohnt sich, und fast alle Irakis, mit denen ich in Kontakt bin, denken ebenso. Und es gibt viele Anzeichen, die für diese Einschätzung sprechen. Der Dinar ist stabil, die Bodenpreise sind sehr hoch, und schauen Sie sich einen wichtigen Indikator an: die Flüchtlingsströme. Jeder sechste Iraker ist unter dem Regime Saddam Husseins geflohen. Zugegeben, auch im Moment fliehen extrem viele Irakis in die Nachbarländer. Aber wenn man sich die Berichte von NGO und der UN aus dem Jahr 2003 ansieht, so liest man, mindestens drei Millionen Irakis würden fliehen und 500 000 verhungern, sollte es zu einem Krieg kommen. Doch über eine Million sind seitdem zurückgekehrt.

Viele Amerikaner sind weniger optimistisch. Werden die US-Truppen bald abziehen?

Die USA bleiben ihrer Aufgabe verpflichtet. Selbst Kritiker wie James Baker sagen ja, dass die USA ansonsten eines Tages unter wesentlich schlechteren Ausgangsbedingungen wiederkommen müssten. Die Leute, die hier kämpfen, sind keine irakischen Nationalisten. Es sind Terroristen, die vor allem Zivilisten töten.

Es ist auch falsch zu hoffen, die USA würden multilateraler werden, was eigentlich nur ein anderer Ausdruck für europäischen Unilateralismus ist. Es wächst allerdings die Zahl der Amerikaner, die sagen: Wir geben auf. Sollte diese Gruppe, nennen wir sie Isolationisten, sich durchsetzen, dann würde es um den Nahen Osten schlimm bestellt sein.

Sie halten also trotz allem an der Idee von Demokratisierung und Regime Change fest?

Demokratisierung ist Regime Change unter einem anderen Namen. Gäbe es Demokratie in Ägypten, wäre Mubarak dort nicht mehr Präsident. Demokratie ist auch in der muslimischen Welt möglich. Es gibt Beispiele. Nehmen wir Mali: Es gehört zu den fünf ärmsten Ländern der Welt, 95 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, und doch wird es von Freedom House als eines der freiesten Länder in Afrika bezeichnet.

Wenn Mali es schafft, warum nicht auch Saudi-Arabien? Doch wir stehen mit diesen Ideen im Westen relativ alleine da. Es erstaunt mich immer wieder, wie feindlich die Europäer gegenüber den zwei funktionierenden Demokratien im Nahen Osten, Israel und der Türkei, eingestellt sind, während sie versuchen, Länder wie Syrien zu stärken. Momentan sagen die Europäer: Die Menschen im Nahen Osten wollen eben keine Demokratie. Uns wird Neoimperialismus vorgeworfen, aber diejenigen, die in kolonialistischen Mustern denken, sitzen in europäischen Außenministerien.

Welche konkreten Schritte können Sie sich denn vorstellen?

Saad Eddin Ibrahim, ein ägyptischer Menschenrechtsaktivist, stellt immer wieder fest, dass es im Nahen Osten einerseits die Theokraten gäbe, die ständig die vom Westen unterstützen Autokraten kritisieren, und die Autokraten, die im Gegenzug erklären: Wenn ihr nicht uns unterstützt, dann kommen die Theo­kraten an die Regierung. Die Theokraten haben eine Stimme durch die Moscheen, die Autokraten durch die staatlich gelenkten oder kontrollierten Medien.

Der Punkt, an dem die USA und Europa wirklich zusammenarbeiten könnten, bestünde darin, ernsthaft eine unabhängige Plattform für die Liberalen schaffen zu helfen. Aber weil Hosni Mubarak oder Bashar al-Assad sich über so eine Initiative beschweren könnten, unternimmt man nichts. Im Iran organisieren sich zum Beispiel gerade die Busfahrer, die, wie damals Lech Walesa in Polen, ihre eigene Gewerkschaft gründen. Und sowohl die Europäer als auch die Amerikaner ignorieren so etwas einfach.

interview: thomas von der osten-sacken, halabja