Ende eines Missverständnisses

Von der »Blutsbrüderschaft« zwischen dem 1.FC Union und dem FC St.Pauli ist nicht viel übrig geblieben. von leon paulus

Als der FC St.Pauli kürzlich zum Freundschaftsspiel beim SV Babelsberg antrat, zierte unter anderem ein großes Transparent mit der Aufschrift »Fuck Union!« den Gästeblock. Diese ungewohnt humorlose Grußbotschaft der »Ul­tras St. Pauli« an den 1. FC Union mag nicht völlig repräsentativ sein. Aber sie ist ein Indiz dafür, wie sehr sich das Verhältnis zwischen zwei Clubs, die noch vor wenigen Jahren als befreundet galten, verändert hat. Nicht von ungefähr wird das Regionalliga-Gastspiel der Hamburger am 10. März in der Alten Försterei von der Polizei erneut als so genanntes Sicherheitsspiel eingestuft.

Vor fünf Jahren, beim ersten Ligaduell der Clubs überhaupt, gingen beide Szenen noch von einer gewissen Gemeinsamkeit aus, kickte man doch jeweils im Schatten der höherklassigen Stadtkonkurrenz in maroden, aber reizvollen Stadien, wurde durch Misswirtschaft und – wie bei St. Pauli zurzeit wieder – interne Machtkämpfe häufig zurückgeworfen und durfte sich dennoch eines treuen Anhangs gewiss sein. Beim ersten Spiel in Berlin dominierten so die Sympathiebekundungen, und am Millerntor begrüßte Stadionsprecher Knut Friedemann, der auch sonst als nicht immer geschmackssicher bekannt ist, die Unioner nicht nur als »unsere eisernen Freunde aus der Hauptstadt«, sondern erhob sie sogar zum »einzig sympathischen Berliner Verein«.

Zwei Jahre später, anlässlich eines Benefizspiels der Hamburger an der Alten Försterei, wurde sogar eine »Blutsbrüderschaft« zwischen beiden Clubs geschlossen. Für den 1.FC Union, der trotz pfiffiger Imagekampagnen der Agentur Scholz & Friends oder der Verpflichtung Nina Hagens für die Clubhyme nur schwer den Ruf abstreifen kann, teils recht unangenehme Fans anzuziehen, war es ein gelungener Coup zur Korrektur der öffentlichen Wahrnehmung.

Der äußere Rahmen der Partien beider »Blutsbrüder« zeigte jedoch, dass diese Art der Kosmetik, die Union seit Jahren an die Stelle einer Auseinandersetzung mit der eigenen Problemklientel setzt, alleine nicht ausreichend ist. Am Rande mehrerer Begegnungen kam es wiederholt zu Provokationen und Attacken rechter Union-Fans auf die Wahlverwandten aus Hamburg. Als der St.Pauli-Präsident Corny Littmann im Herbst 2006 die aus seiner Sicht nach wie vor bestehende »Seelenverwandtschaft« beider Clubs auf den klischeetriefenden Minimalnenner »Hertha und der HSV werden vom Geld regiert – St.Pauli und Union von Emotionen« brachte, hatten einige bereits unerfreuliche Erfahrungen mit den Emotionen der Berliner gemacht.

Den Fans von Union zu begegnen, war bereits in den Siebzigern und Achtzigern nicht unbedingt ein Vergnügen. Galt die Fankultur in der DDR generell als nichts für Zartbesaitete, so zählten die Anhänger der beiden großen Hauptstadtclubs zu den gefürchtetsten der Republik. Beim BFC, der als Verein der Staatssicherheit galt, lief die Anfang der Achtziger entstandene Punkszene binnen kurzer Zeit nach Rechtsaußen über, Union hingegen, der SED-Bezirksleitung unterstellt, galt als volkstümlicher und heterogener.

Die nach der Wende zum Mythos verklärte »Opposition« der Unioner äußerte sich in erster Linie in Massenschlägereien mit anderen »Großmächten«, häufig in Kooperation mit den befreundeten »Hertha-Fröschen«, die ihrerseits das Übelste waren, was der Westen zu bieten hatte. Und wenn es in den Stadtderbys gegen den verhassten BFC ging, skandierte der rotweiße Anhang zu Tausenden »Gib Gas, wenn der BFC durch die Gaskammer rollt«. Wie in vielen DDR-Stadien wurde auf alles, was in irgendeiner Form mit dem Parteiapparat und dem Bonzentum assoziiert wurde, vorzugsweise mit antisemitischen Reflexen reagiert.

Dass das Ressentiment auch ohne sein langjähriges Objekt, den übermächtigen BFC, überlebensfähig ist, lässt sich nicht nur an diversen Entgleisungen des langjährigen Stadionsprechers André Rolle ablesen, der im Internetforum des Clubs die Kommerzialisierung von Union als »Geld-Geschachere à la Sharon-Basar« bezeichnet oder den Fanshop zu fairen Preisen mahnt, da er sich sonst »bei euerm Zentralrat, dem Friedman«, beschweren würde. Im Stadion gehört die Bezeichnung »Jude« gerade unter den jüngeren Fans zu den gängigen Schimpfworten.

Während andernorts, wie etwa bei Sachsen Leipzig, in Jena oder Babelsberg, die »Ultras« versuchen, dem chauvinistischen Erbe ihrer Vorgängergenerationen und dem Alltagsfaschismus auf den Rängen eine offenere Fankultur entgegenzusetzen, tritt das »Wuhlesyndikat«, die bei Union tonangebende Gruppierung, exakt in die reaktionären Fußstapfen der älteren Fans. »Die geilen Jungs aus der Reichshauptstadt«, wie sie sich selbst besingen, fallen vor allem bei Spielen gegen Clubs mit mi­grantischem Hintergrund oder antifaschistischen Fan­szenen gerne aus der Rolle und gelten bei der Wahl ihrer Mittel nicht als zimperlich.

So erscheint es nicht ausgeschlossen, dass Anhänger des »Wuhlesyndikats« auch an einem bislang unaufgeklärten, gewaltsamen Überfall auf eine Feier von TeBe- und Babelsberg-Fans beteiligt waren. Denn ein bei diesem Überfall erbeutetes Transparent mit der Aufschrift »TeBe-Fans gegen Rassismus« tauchte kurze Zeit später bei einem Gastspiel von Union im Mommsenstadion ausgerechnet im Tribünenblock des »Wuhlesyndikats« und der »Eisernen Kameraden« auf und wurde dort demonstrativ verbrannt, begleitet von Gesängen wie »Zyklon B für Scheiß-TeBe« oder – in Anspielung auf den ehemaligen TeBe-Präsidenten – »Hans Rosenthal, der alte Jude, ist tot«.

Bislang hatte das »Wuhlesyndikat« bei Union Narrenfreiheit. Nach wie vor wird es auf der offiziellen Website des Clubs verlinkt, obwohl es sich seit Jahren weigert, Berichte von seiner Homepage zu entfernen, in denen Migranten als »unarisches Pack« und »Knoblauchstinker« bezeichnet werden (www.wuhlesyndikat.de/berichte/amateure00/­galata_zweete.shtml). Und als im Jahr 2004 eine »Wuhlesyndikat-CD« wegen rassistischer, nationalistischer und homophober Texte in die Schlagzeilen geriet, ließ Präsident Dirk Zingler die Scheibe zwar kleinlaut aus dem offiziellen Fanartikelkatalog verschwinden, doch das »Wuhlesyndikat« vertrieb sie ganz offen weiter im Stadion. Auch dass trotz mehrerer tausend abgesetzter CDs keinerlei Kontroverse um den Inhalt entstand, ist bezeichnend für die hohe Toleranzschwelle einer Fanszene, die keineswegs durch die Bank rechts ist, aber schon immer das Credo »Hauptsache Unioner« über die Konfrontation stellte. Kritik mussten Gruppen wie das »Wuhlesyndikat« bislang meist nur dann einstecken, wenn Imageschäden oder handfeste Nachteile für den Verein befürchtet wurden wie zuletzt nach einem Spielabbruch während eines Spiels der Union-Reserve.

Nachdem zuletzt auch der DFB sein Augenmerk verstärkt auf die Köpenicker richtete und die neue Verbandsrichtlinie für den Fall rassistischer Gesänge scharfe Sanktionen wie Punktabzüge androht, überraschte der Club vor zwei Wochen mit der Ergänzung seiner Hausordnung um einen Passus, der derlei Gesänge im Stadion verbietet. Ob das der Auftakt zu konsequenterem Handeln ist und die Zeiten vorbei sind, in denen man unbehelligt im »Land­ser«- oder »Herrenrasse«-Shirt durch die Alte Försterei spazieren kann, wird man sehen. Beim Spiel gegen St.Pauli könnte die neue Hausordnung auf eine erste Probe gestellt sein. Von der »Blutsbrüderschaft« jedenfalls wird dann nur noch wenig spürbar sein.