Hupen und Schreien gegen Blair

Premierminister Blair hat einen langsamen Rückzug aus dem Irak angekündigt. Dabei geht es weniger um die Zukunft der britischen Truppen im Irak als um sein Bild in der Geschichte. von fabian frenzel, sheffield

Wenn es eine Neuigkeit zum Thema Irak gibt, die in den vergangenen Wochen Aufsehen in Großbritannien erregte, dann eine Meldung aus dem Verteidigungsministerium: Der als Offizier in der britischen Armee dienende Prinz Harry, der Enkel von Königin Elisabeth, wird mit seiner Einheit in das irakische Basra verlegt. Unmut regte sich, und das nicht nur in der notorischen Anti-War-Coalition.

Der exzentrische ehemalige Boxer Chris Eubank fuhr aus Protest gegen Harrys Einsatz in seinem privaten LKW so lange hupend vor dem Verteidigungsministerium auf und ab, bis die Polizei ihn festnahm. Er warf Blair vor, den jungen Mann zu missbrauchen, um seinen »illegalen Krieg zu legitimieren«. In den rechts-konservativen Boulevardmedien wird hingegen diskutiert, ob der königliche Spross erfahren genug sei für die Herausforderung. Auch das linksliberale Sonntagsblatt Observer reagierte und lud einige prominente Publizisten zur Debatte: Soll der Prinz wirklich gehen, oder ist das Risiko zu groß?

Vergleichsweise verhalten reagierte die britische Öffentlichkeit dagegen auf die Ankündigung von Premierminister Tony Blair, die britischen Truppen schrittweise aus dem Irak zurückzuziehen. Das ist überraschend, denn vordergründig erfüllte er damit, was sich die Mehrheit der Briten – wie alle Umfragen zeigen – seit Jahren wünscht. Auch schien damit eine Abkehr vom Kurs der »besonderen Beziehungen zu den USA« verbunden zu sein.

Doch die Details des Rückzugsplans, nach dem lediglich 1 600 Soldaten bereits im Mai abgezogen werden sollen, sprechen nicht für einen radikalen Kurswechsel. Die restlichen 5 500 Soldaten bleiben demnach noch mindestens bis Ende 2008 im südlichen Irak stationiert und werden auch dann nur abgezogen, »wenn es die Situation erlaubt«. Verhalten ist die Reaktion der britischen Öffentlichkeit aber auch, weil es, wenn Blair sich zum Irak-Krieg äußert, weniger um die zukünftige britische Irak-Politik geht als vielmehr um die vergangene. Seine Äußerungen sind Reaktionen auf die Kritik, die angesichts seines baldigen Rücktritts wieder lauter wird. Mehrere Millionen Briten hatten gegen den Krieg protestiert. Blair zeigte sich unbeeindruckt, obwohl die Kritik auch von vielen Labour-Abgeordneten geteilt wurde.

Im Jahr 2005 konnte er dennoch die Unterhauswahlen ein drittes Mal in Folge gewinnen, wohl auch, weil es zu Labour keine Alternative gab: Die Konservativen hatten Blair in der Frage des Irak-Kriegs schließlich unterstützt. Die Wahlbeteiligung war sehr gering. Doch angesichts von Blairs Hartnäckigkeit agierte die Antikriegsbewegung zunehmend mit ritualisierten Protesten und konnte immer weniger Menschen mobilisieren. Ihr wohl eigentümlichster Vertreter, Brian Haw, hatte seit dem Jahr 2001 ununterbrochen vor dem Parlament in Westminister gegen die Irak-Politik demonstriert. Das britische Parlament verabschiedete 2005 sogar ein auf ihn zugeschnittenes Bannmeilen-Gesetz, um ihn loszuwerden. An Blairs Irak-Kurs konnte Haws oft aus unartikulierten Schreien bestehender Protest nichts ändern. Aber in einer Fernsehumfrage wurde er im Februar zur »inspiriertesten« politischen Persönlichkeit des Jahres 2006 gewählt, angeblich weil er das Gefühl unartikulierbarer Wut vieler Briten angesichts des Irak-Kriegs zum Ausdruck brachte. Gleichzeitig eröffnete eine Ausstellung in der bekannten Tate Britain, in der sein Protest dokumentiert und reproduziert wird. Während die Antikriegsbewegung musealisiert wird, betrachten viele auch die Ära Blair zunehmend historisierend. Der Ministerpräsident will noch in diesem Jahr sein Amt abgeben, wann genau, ist nicht bekannt, Gerüchten zufolge will er im Juli zurücktreten. Einen offiziellen Nachfolger gibt es noch nicht, aber Schatzkanzler Gordon Brown ist dafür im Gespräch.

Die Fernsehdokumentationen und Bücher über Blair häufen sich, und der Irak-Krieg steht dabei fast immer im Mittelpunkt. In einer sehr beachteten BBC-Dokumentation über den Premierminister hatte Stephen Wall, früher der wichtigste Berater in Downing Street Number 10, Blair und seinem ehemaligen Pressesprecher Alastair Campbell vorgeworfen, gezielt britische Antipathien gegen Frankreich missbraucht zu haben, um die vom französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac diplomatisch vorgebrachten und inhaltlich berechtigten Einwände gegen den Krieg zu disqualifizieren. Viele politische, juristische und moralische Fragen, die der Krieg aufgeworfen hat, werden in den kommenden Monaten in diesem Tenor verhandelt werden. Der ehemalige Außenminister Jack Straw von Labour, der dem Unterhaus vorsitzt, kündigte bereits die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Irak-Krieg an, sobald der »passende Augenblick« gekommen sei. Ob der »passende Augenblick« Blairs Ausscheiden aus der Regierung sein wird, ließ er offen.

Blair gerät zunehmend in die Defensive und versucht nun vor allem, seinen noch vorhandenen Einfluss geltend zu machen. Er hatte unmittelbar nach der Ankündigung eines partiellen Truppenrückzugs zu verstehen gegeben, dass dies nicht etwa als ein Eingeständnis des Scheiterns der Intervention zu verstehen sei. »Großbritannien sollte stolz sein auf die Rolle, die es im Irak spielt«, sagte er, »stolz darauf, Diktaturen von Sierra Leone bis Afghanistan durch militärische Interventionen beendet zu haben.«

Kurz darauf und angesichts der Probleme des italienischen Ministerpräsidenten, einen Einsatz in Afghanistan durchzusetzen, gab Verteidigungsminister Des Browne die Verstärkung des militärischen Engagements der Briten in dem Land bekannt. 1 400 zusätzlichen Soldaten stellt Großbritannien zur Verfügung, um den USA bei der geplanten Frühjahrsoffensive gegen die Taliban zu Hilfe zu kommen. Die Gesamtzahl der Truppen in Afghanistan übersteigt damit bereits vor dem geplanten Rückzug aus dem Irak im Mai die Zahl der dort stationierten Soldaten. Die militärische Umorientierung in der Außenpolitik vom Irak auf Afghanistan hat allerdings wenig mit dem Premierminister auf Abruf zu tun. Der Nato-Einsatz in Afghanistan hat eine weit größere internationale Legitimation und wird von vielen britischen Militärs als eine Mission gesehen, die auch tatsächlich bewältigt werden kann.

Darüber hinaus steht Großbritannien mit seiner langsamen Umorientierung nicht allein. Die Entscheidung, sich militärisch mittelfristig weniger im Irak zu engagieren, steht nicht im Widerspruch zu den jüngsten diplomatischen Anstrengungen der US-Administration, den Iran und Syrien stärker in eine Stabilisierung des Irak einzubinden. Doch dieses Kapitel in der Geschichte des Irak wird von einem neuen britischen Premierminister begleitet werden.