Jagtvej 69

Eine fundamentalistische Sekte erobert ein Haus mit linker Tradition. Der Protest gegen die Schließung des Kopenhagener Jugendzentrums hat eine lange Vorgeschichte. von elke wittich

Anders als es in den deutschen Medien dargestellt wurde, ist der Protest gegen die Räumung des Kopenhagener Jugendzentrums keineswegs bloß eine Kreuzberger Maifeier auf Dänisch oder die offene Meisterschaft im Barrikadenanzünden. Und es geht auch nicht nur um die Räumung des Hauses am Jagtvej 69. Das heutige »Ungdomshuset« war 1897 als »Arbejderpalads« erbaut worden, in dem sowohl politische Arbeit als auch Festveranstaltungen stattfinden sollten. Das »Folkets Hus«, wie es damals hieß, wurde rasch zu einer renommierten Adresse. Am 27. August 1910 traf sich die Zweite Internationale dort zu einer Frauenkonferenz und beschloss, den 8. März zum Internationalen Frauentag zu erklären. Die Initiatorin war Clara Zetkin, rund 100 Frauen aus 17 Ländern nahmen an der Konferenz in der Jagtvej 69 teil. Unter ihnen war die Sozialdemokratin Nina Bang, die 1924 dänische Erziehungsministerin und damit die erste Ministerin der Welt werden sollte. Zu den Besuchern und Referenten gehörten auch Lenin und Rosa Luxemburg.

In den fünfziger Jahren war es mit dem Arbeiterpalast vorbei. Das Haus stand einige Jahre leer, bis es von der Einzelhandelskette Brugsen erworben wurde. Der ursprüngliche Plan, Abriss und Neubau eines Supermarkts, stieß jedoch auf Bedenken der Kopenhagener Denkmalschützer, schließlich verkaufte Brugsen das Objekt an das Volksmusik-Ensemble Tingluti. Das allerdings wusste nichts weiter mit dem Gebäude anzufangen und bot es 1978 der Kommune an.

Nach fast drei Jahrzehnten Leerstand wurde das Folkets Hus 1981 von einer Gruppe Hausbesetzer entdeckt, die dort ein autonomes Jugendzentrum einrichten wollten. Einige Räumungen und Wiederbesetzungen später überließ der damalige Kopenhagener Oberbürgermeister das Gebäude am 29. Oktober 1982 den Besetzern »zur Nutzung«, was, wie sich erweisen sollte, jedoch keinerlei Rechte für die Jugendzentrumsbetreiber beinhaltete.

Versuche, das Projekt zu stoppen, gab es fortan reichlich, Politiker und Nachbarn beklagten sich regelmäßig über Lärmbelästigungen und Krawalle, eine Unterschriftenaktion für die Schließung des Ungdomshuset scheiterte 1996 jedoch kläglich, weil sich nur 350 Kopenhagener dem Protest anschließen wollten.

Unterstützung erhielten die Leute vom Jugendzentrum dabei von ungewöhnlicher Seite. Die Polizeipräsidentin Hanne Bech Hansen erklärte Ende der Neunziger, die Befürchtung, dass vom Huset Gewalt und Kriminalität ausgeht, »beruht mehr auf Vermutungen und Gerüchten als auf Fakten«. Und auch die Jugendabteilung der Kommune Kopenhagen gab an, es sei für sie wichtig, »dieses Ventil zu haben, so dass Jugendliche, die auf die eine oder andere Weise nicht in das System passen, eine Heimstätte haben«.

Trotzdem wollten die Kopenhagener Politiker 1999 das Haus endgültig loswerden. Die Betreiber des Ungdoms­huset reagierten prompt: »Zu verkaufen«, stand auf einem riesigen Transparent, das sie am Haus anbrachten, »inklusive 500 Steine werfenden autonomen Gewaltpsychopathen aus der Hölle!«

Das erste Gebot für den alten Arbeiterpalast kam von einem Ökologie-Fonds, der Ende Juni 1999 zwei Millionen Kronen, nach heutigem Wert 267 851 Euro bot. Kurz danach erklärte die christlich-fundamentalistische Sekte »Faderhuset« (Vaterhaus) ihr Interesse.

Die Kommune befand beide Bieter für unseriös und erklärte im Mai 2000, wenn sich bis Ende des Jahres kein vertrauenswürdiger Käufer melde, könne das Jugendzentrum weiter bestehen. Kurz vor Ablauf der sechsmonatigen Frist meldete sich plötzlich eine unbekannte »Human A/S under stiftelse« (Human GmbH in Grün­dung), deren Vorsitzende die auf Eigentumsrecht spezialisierte Anwältin Inger Loft ist. Außer dem schwammigen Titel ist nicht viel über die Organisation bekannt. Loft erklärte, dass Human die Abkürzung für »Hjælp Unge Mennesker til Ansvar for sig selv på et Nænsomt grundlag« (Hilfe für junge Menschen zur Eigenverantwortung auf behutsame Art) und Unterstützung für junge Menschen das Hauptziel sei.

Wie diese Hilfe aussehen sollte, verriet Loft nie. Stattdessen übertrug sie die Anteile an Human und damit das Eigentum am Ungdomshuset am 28. September 2001 an die Fader­huset-Gemeinde, also exakt an die Sekte, die anderthalb Jahre zuvor von der Kommune als unseriöser Bieter abgelehnt worden war.

Faderhuset wurde im Jahr 1990 gegründet, nachdem das Ehepaar Knut und Ruth Evenson eine Vision gehabt hatte, in der ihnen befohlen worden war, eine Gemeinde zu gründen. Beide waren bis zu diesem Zeitpunkt in verschiedenen, teils von der 68er-Bewegung inspirierten freien Christengruppen aktiv gewesen, entsprechend gab es keinerlei Probleme bei der staatlichen Anerkennung ihres »Vaterhauses«.

Nach einigen Kursänderungen und einer weiteren Vision wurde aus der ursprünglichen Freikirche jedoch eine ultrakonservative Bewegung mit Ruth Evenson an der Spitze, die als charismatisches Oberhaupt nach eigenen Angaben nunmehr die ihr direkt von Gott übermittelten Anordnungen befolgt und weitergibt. Die 50 verbliebenen Mitglieder wollen »Dänemarks Erwachen« durch »einen heiligen Lebensstil, Gebete und Evangelisation« erreichen und sehen nicht nur Abtreibung, Sex vor der Ehe und Homosexualität als Verbrechen an Gott, sondern auch andere Religionen. In Kopenhagen sind sie vor allem durch ihre aggressive Missionierung auf offener Straße bekannt, bei der Passanten, die den Vaterhäuslern widersprechen, an Ort und Stelle einer Teufelsaustreibung unterzogen werden.

Faderhuset-Aussteiger berichten von Gehirnwäsche, Psychoterror und finanzieller Ausbeutung. Die von der Gemeinde betriebene Schule »Samuelskolen« wurde im Juli 2006 von den Behörden geschlossen, als bekannt wurde, dass der Unterrichtsplan strikt nach kreatonistischen Gesichtspunkten gestaltet war und statt Evolution die biblische Schöpfung gelehrt wurde.

Ausgerechnet Faderhuset gehört nun das traditionsreiche Gebäude Jagtvej 69, wie am 14. Dezember 2006 gerichtlich entschieden wurde. In dem Urteil wurde überdies eine Revision beim dänischen Verfassungsgericht für die Ungdomshusler ausgeschlossen, alle legalen Mittel waren damit ausgeschöpft.

Während die Kopenhagener Polizei ausschloss, das Haus auf der Stelle zu räumen, blieb den geduldeten Besetzern nur noch die Hoffnung auf eine finanzielle Lösung, Faderhuset lehnte ein Kaufangebot des extra gegründeten Vereins »Jagtvej 69« über 13 Millionen Kronen jedoch ab und ließ das Haus räumen.

Vielleicht einigen sich die Jugendzentrums-Betreiber und die Kommune noch, und es wird an anderer Stelle ein neues Ungdomshuset entstehen. Die Zukunft für das ehemalige Volkshaus scheint dagegen klar: Der Eigentümer Faderhuset plant den Abriss des Gebäudes, was, so argwöhnen die Demons­tranten, von der Kommune durchaus gewollt ist.

»Es geht nicht um den architektonischen Wert des Hauses, sondern um die Geschichte, die damit verbunden ist«, sagt Joergen Selmer vom städtischen Bymeuseum, der eigentlich vor dem Abriss eines Hauses angehört werden muss. »In dieser Sache haben wir allerdings nichts gehört«, fährt er fort, dabei sollen nach dem Museumsgesetz Museen und Verwaltungen zusammenarbeiten, um »bewahrungswürdige Gebäude« unter Denkmalschutz zu stellen und vor dem Abriss zu retten. Allerdings, so räumt Selmer ein, sind seine Einflussmöglichkeiten gering: »Wir können die Politiker zwar über die Geschichte eines Hauses informieren, aber was dann geschieht, bleibt ihnen überlassen.«