Land der alten Mäntel

»Strajk« – Katharina Thalbach beseitigt den Sozialismus. von thomas blum

Die Katja Riemann des Ostens heißt Katharina Thalbach und ist in den Siebzigern ins richtige Deutschland gekommen. Auch sie kann am besten sich selber spielen – für gewöhnlich die selbstbewusste, resolute Frau, die nicht auf den Mund gefallen ist und sich nichts gefallen lässt. Dafür bekommt sie dann alle paar Jahre einen Film- oder Kritikerpreis.

In Volker Schlöndorffs neuem Heldenmärchen »Strajk«, dessen Untertitel (»Die Heldin von Dan­zig« / »Ballade nach historischen Ereignissen«) bereits überdeutlich anzeigen, dass hier nicht einfach nur kleine Brötchen, sondern große Pfannkuchen mit Zuckerguss gebacken werden, geht es um das Leben der polnischen Werftarbeiterin Katja Riemann … stopp! Quatsch, … der polnischen Werftarbeiterin Agnieszka, der »heiligen Anna der Werften« (Schlöndorff), einer Schweißerin und Kranführerin aus Danzig/Gdansk, die in den Siebzigern die polnische Gewerkschaft Solidarnosc mitgründete.

»Polen, siebziger bis neunziger Jahre. Die Kommunisten haben das Land fest im Griff« (www.­programmkino.de), was man auch daran bemerkt, dass ganz Danzig trist, öde, matschgraubraunblau und verregnet ist. Die verwaisten und spärlich möblierten Räume und die stahlgraubraunblauen Werkshallen atmen den Geist des zerfallenden Realsozialismus. Da hat man sich bei der Farbgebung der Bilder und der Ausstattung ordentlich Mühe gegeben. Auch die Kostümbildnerin Ewa Krauze hat hervorragende Arbeit geleistet. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte sie: »Man weiß ja, im kommunistischen Polen war alles grau und gleichförmig. Man hat sich nur alle zehn Jahre einen Mantel geholt.« Grau war Polen, braunblaugrau.

Doch es gibt unsere strahlende Heldin: Agnieszka, die Superfrau mit Superhornbrillengestell. Trotz des Umstands, dass sie wegen ihres Dissidententums und ihres beherzten Engagements für die ausgebeuteten Kollegen wiederholt gehörig geschurigelt und drangsaliert wird von kaltherzigen, gewissenlosen, kommunistischen Gewerkschaftsbürokraten, lässt sie nicht davon ab, Missstände im Sozialismus zu beklagen und heiße Suppe an abgekämpfte Akkordarbeiter zu verteilen. Da geht einem das Herz auf! So jemanden gibt es heute nicht mehr! »Ich habe während der Drehbucharbeit oft an Heiligenlegenden gedacht«, sagt die Dreh­buchautorin. Und das merkt man.

Agnieszka, als Waisenkind aufgewachsen, ist aufrichtig, geradlinig, unbeugsam, mutig, hilfsbereit, fleißig, bärenstark, bescheiden, unbestechlich, grundehrlich, couragiert, aufopferungsvoll bis zur Selbstaufgabe und hat auch sonst alles aufzubieten, was man noch an großartigen Eigenschaften haben kann. Sie ist erfolgreich emanzipiert und hat ein kolossales Gerechtigkeitsempfinden. Sie ist vielfach ausgezeichnete sozialistische »Heldin der Arbeit«, gläubige Katholikin, und nach dem Ende der Nachtschicht und der Überstunden werkelt sie zuhause obendrein noch unermüdlich als fürsorgliche und liebende Mutter und kümmert sich um ihren unehelichen Sohn, kurz: Sie ist ein Tausendsassa, eine Seele von Mensch, eine ehrliche Haut, eine von stiller, uneigennütziger Nächstenliebe angetriebene leidenschaftliche Weltverbessererin. Sie hat das glühende Herz auf dem rechten Fleck und ist praktisch eine Art Mutter Teresa, Jeanne d’Arc und Inge Meysel in einer Person, weiß der Teufel bzw. eben der liebe Gott.

Am Ende, Schicksalsschläge hin oder her (wie in anderen Schmonzetten üblich: plötzlicher Tod des Geliebten, Krebsdiagnose, Entlassung usw.), löst sich alles in Wohlgefallen auf (Todesfall überwunden, Krebs geheilt, Wiedereinstellung usw.).

Kardinal Karol Woijtyla wird gerade noch rechtzeitig polnischer Superpapst und fordert im Fernsehen schließlich den Heiligen Geist dazu auf, er möge sich des verlotterten Sozialismus im Ostblock annehmen und da mal ordentlich hineinfahren. Und in der Folge erkämpft unsere tapfere Konterrevolutionärin Agnieszka (geblümtes Ost-Kleid) zusammen mit dem jungen und nicht weniger katholischen Schnurrbartträger Lech Walesa (kariertes Ost-Hemd) freie Gewerkschaften und höhere Löhne.

Jubelnde Arbeiter, lachende Gesichter. Ein paar Jahre später fällt die Mauer, der Schnurrbartträger bekommt den Friedensnobelpreis und wird Chef von Polen, das ein bonbonbuntes, freies Land voller fröhlicher, katholischer Fundamentalisten wird. Und am Ende wird überall in der Ostzone der Kapitalismus eingeführt. Wenn das mal nicht eine gute Botschaft ist!

Es kommt einem beinahe ein wenig so vor, als sei der sozialdemokratische Filmemacher Ken Loach in die CDU/CSU eingetreten und habe dann beschlossen, diesen Film zu drehen. Verklärung, Glorifizierung, Pathos, Geschichtssimplifizierung, all das ist hier Programm. Aus der historischen Wirklichkeit, den Arbeitskämpfen im realsozialistischen Polen der siebziger und achtziger Jahre, fabriziert Schlöndorff ein plumpes, eindimensionales Melodram, eine unappetitliche Mischung aus Émile Zola und Lindenstraße.

Entsprechend beschreibt der Bayerische Rundfunk in seiner Rezension das Filmgeschehen ganz enthusiastisch in seinen eigenen Worten: »Es ist bekannt, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings der Auslöser eines Tornados sein kann. Manchmal bringt ein kleiner Tropfen das Fass zum Überlaufen. So war es vielleicht auch, als in den achtziger Jahren der Ostblock zusammenbrach.« Wenn eines Tages auch der Westblock zusammenbricht, sollte man darauf achten, dass der Tornado auch den Bayerischen Rundfunk nicht auslässt.

»Strajk« (Deutschland/Polen 2006) R: Volker Schlöndorff, D: Katharina Thalbach, Andrzej Chyra, ­Dominique Horwitz, Start: 8. März