»Manche leben noch wie in der Steinzeit«

Ein Gespräch mit der ehemaligen Sexshow-Moderatorin nadja »naddel« abd el farrag über die Verhältnisse in arabischen Familien und wie sie sich davon emanzipiert hat.

Sie haben gerade zusammen mit Kurt Elsasser Ihr erstes Lied »Blinder Passagier« veröffentlicht. Wie reagieren die Fans der volkstümlichen Musik auf Sie?

Es hat mich gewundert, wie gut sie uns aufgenommen haben. Zunächst war ich ein bisschen skeptisch, denn ich bin schon einmal durch die Hölle gegangen. Das kennt man ja noch aus den Medien. Dann habe ich aber gesagt, okay, wir probieren das aus. Und wir sind erfolgreich. Da wo wir auftreten, z.B. beim Winterfest der Volksmusik in der ARD, haben wir neun Millionen Zuschauer, und in Österreich sind wir Nummer eins.

Worum geht es in dem Lied?

Das übliche, Herzschmerz, Theatralik. Ob in der Popwelt, im Schlager oder in der Volksmusik: Es ist immer dasselbe, es geht immer um Beziehungen.

Sie sind in Hamburg geboren. Ihr Vater stammte aus dem Sudan. Wurden Sie muslimisch erzogen?

Nein, überhaupt nicht. Aber mein Vater war sehr streng. Ich musste immer, wenn es dunkel wird, zu Hause sein, da war ich aber schon 19 oder 20 Jahre alt. Und wenn der Lehrer bei mir zu Hause angerufen hat, weil ich nicht zur Schule kam oder ein schlechtes Zeugnis hatte, dann hat mein Vater aufgelegt, weil Männer und Jungs bei uns nicht anrufen durften. Irgendwann hab ich es nicht mehr ausgehalten und bin ausgezogen. Das einschneidende Erlebnis war, als ich mit einem Schulfreund Kaffee trinken war und mein Vater mir dafür eine Ohrfeige gegeben hat. Klar hab ich es als älteste Tochter auch schwieriger gehabt als meine jüngere Schwester. Ich musste immer alles durchboxen, das kennt jeder.

Wurden Sie wegen Ihrer Herkunft diskriminiert?

Damals in den Siebzigern waren wir immer die einzigen ausländischen Mädels in der Schule. Bei dem Ringelreihen-Spiel, wo sich die Kinder an die Hände fassen, wollte niemand mich anfassen, weil ich dunkel war. Da hieß es: »Nee, ich fass keinen Neger an.« Und wenn ich als Kind auf einem Rasen spielte, hieß es: »Wir wollen keine Nigger vor unserem Fenster haben.« Das was damals schon extrem krass.

Wie haben Araber auf Ihre Karriere als Schmuddel-Naddel reagiert?

Vor zwei Jahren kamen in Hamburg fünf Mädchen auf mich zu, die waren so zwischen zwölf und 16 Jahre, halb islamisch, halb deutsch, und die fragten mich: »Darf ich dir die Hand schütteln? Wir finden das so toll, wie du das gemacht hast. Was sagt denn dein Vater dazu? Wenn wir das machen würden, wir würden gesteinigt werden!« Ich hab ihnen geantwortet, dass es für mich auch nicht so leicht war. Ich hab ein paar Jahre lang nicht mit meinem Vater gesprochen, der fand das gar nicht so witzig. Mein Verhältnis zu Dieter Bohlen ging gar nicht, ein verheirateter Mann mit drei Kindern. Dann kamen noch die Playboy-Fotos und die Sexsendung »Peep«. Irgendwann hab ich ihm gar nichts mehr erzählt. Das war eine schwierige Zeit. Meine Mutter war immer der Blitzableiter. Ihr hat mein Vater immer gesagt: »Das ist deine Tochter! Wären wir doch nur in Afrika geblieben!« Ich war die missratene Tochter. Irgendwann haben wir uns dann versöhnt, weil er endlich akzeptiert hat, dass ich meinen eigenen Weg gehe.

Ein Weg, der für arabische Mädchen auch ein emanzipatorisches Vorbild sein kann?

Ja, weil ich mich immer so krass und extrem durchgesetzt habe. Ich hätte natürlich auch artig nach Hause kommen und das machen können, was mein Vater wollte. Das wollte ich aber nicht. Und dann fragen die Mädchen mich immer, wie ich das geschafft habe. Na ja, ich meine, immer dieses Festhalten, immer dieses Zuhausebleiben. Da fühlt man sich doch auch nicht wohler, und man wird immer aggressiver und streitet sich immer mehr mit der ganzen Familie. Ich sage immer: einfach mal ausbrechen und was machen. Es muss ja nicht das sein, was ich gemacht habe, sondern etwas Vernünftiges. Eine Ausbildung oder einfach mal ins Ausland fahren und Erfahrungen sammeln. Auf jeden Fall gilt das auch für die Eltern, die müssen auch mal loslassen.

Was hat Ihnen den Mut gegeben, aus Ihrer Familie auszubrechen?

Ich bin halt ein verrückter Mensch, ich bin nicht die liebe nette Nachbarstochter, die auf dem Bauernhof die Kühe melkt, ich bin doch schon ein bisschen anders. Jetzt mach ich auf einmal Schlagermusik. Mit mir wird es nie langweilig.

Ist Ihnen jemals vorgeworfen worden, Sie würden mit Ihrem Image die Araber in den Schmutz ziehen?

Nein, überhaupt nicht. Meine Mutter hatte immer Angst, dass ich in Ägypten oder im Sudan Schwierigkeiten bekommen würde. Und dann war ich in Ägypten, und es gab keine Probleme. Die meisten verstehen, dass man auch als Frau irgendwie überleben und die Miete zahlen muss.

Warum gibt es in Deutschland so wenig prominente Araber? Warum sind Sie eine der ganz wenigen Ausnahmen?

Ganz einfach, nach wie vor ist alles, was farbig ist in Deutschland, unterste Klasse. Ich würde beispielsweise nie freiwillig nach Ostdeutschland ziehen. Mein großes Glück war, dass ich mit Bohlen zusammen war, der hat mich überall mit hingenommen, und dadurch hatte ich keine Probleme. Vor 15 Jahren gab es keine Farbigen in der deutschen Öffentlichkeit, außer Arabella. Die Deutschen haben mich nicht nur wegen meiner Geschichten so verrissen, sondern weil ich farbig bin. Mit mir hatten sie endlich mal jemanden, über den man das sagen konnte, was man über Ausländer denkt.

Sie waren früher gerne auf Partys des rechten Politikers Roland Schill. Wie bewerten sie die Bemühungen deutscher Politiker um die Integration von arabischen Migranten?

Der Schill ist ja nun selbst ausgewandert, nach Brasilien. Was er gemacht hat, nun ja. Auf jeden Fall muss in Sachen Integration noch einiges getan werden. Was da bisher gemacht wurde, kann man ja vergessen. Wenn die Politiker so weiter machen, dann müssen sie sich nicht wundern, dass es hier so wenig arabische Menschen gibt. Aber die Deutschen haben alle ein Vorurteil, die denken immer, alle Araber sind kriminell, und arabisch heißt für sie bin Laden, Mord und Totschlag.

Man kann aber doch beobachten, dass beispielsweise das Kopftuch unter arabischen Mädchen in Deutschland populärer geworden ist. Oder glauben Sie, dass es für die meisten nur ein hippes Accessoire ist?

Nein, das glaube ich nicht. Die sind so aufgewachsen. Die Eltern und die ganze riesengroße Familie leben das vor. Die kennen nichts anderes, die haben da ihre eingestanzte Welt. Das ist ganz selten, dass sich da mal jemand auflehnt, die haben viel zu viel Angst. Weil dann der große Bruder oder der Cousin kommt. Und immer wird gedroht. Ach, wie gut, dass ich keinen großen Bruder habe!

Ist also das System des großen Bruders in arabischen Familien ein Hindernis für Emanzipation?

In den siebziger und achtziger Jahren waren hier viele Araber. Das waren aber beispielsweise Studenten, und die sind jetzt alle nach London oder Amerika gegangen, weil sie mit der deutschen Mentalität nicht zurecht kommen, das ist einfach so.

Man kann das aber nicht verallgemeinern. So wie es Deutsche gibt, die freundlich und offen sind, gibt es freundliche Araber und solche, die total engstirnig sind. Und diese kann ich nicht verstehen, mit denen komm ich auch überhaupt nicht klar. Diesen Leuten sage ich immer, ihr lebt hier seit 20 Jahren. Jetzt entspannt euch mal, seid mal ein bisschen locker, ihr müsst mal ein bisschen weiterdenken, auch was eure Kinder betrifft. Diese Leute leben immer noch wie in der Steinzeit. Die kann man nicht mehr ändern.

interview: doris akrap