Züchtigung muss sein

In Deutschland soll das Jugendstrafrecht weiter verschärft werden. Die Jugendgewalt nimmt jedoch nicht so dramatisch zu, wie ständig behauptet wird. von ron steinke

Saat der Gewalt: Wer schützt uns vor der Jugend?« hieß es jüngst in der Talkshow von Sandra Maischberger. Die Studiogäste, unter ihnen Jörg Schönbohm (CDU) und Cem Özedmir von den Grünen gaben sich betont problembewusst: Mit Repression allein könne man die Jugend nicht in den Griff bekommen, »Erziehung« sei auch wichtig. Was allerdings der genaue Unterschied ist zwischen der Repression einerseits und dem »Grenzen setzen« durch die konsequente Bestrafung von Regelverstößen andererseits, das in der Sendung als die Grundlage der Erziehung präsentiert wurde, blieb ungeklärt.

Anschaulicher als abendliche Fernsehtalkshows sind da die jugendorientierten Formate. Hier wird Erziehung nicht gefordert, sondern praktiziert. RTL schickt Jugendliche, deren Straftaten anscheinend darauf schließen lassen, dass ihre Erziehung (noch) nicht ganz erfolgreich verlaufen ist, derzeit auf eine Ranch nach Utah, wo sie strenge Regeln lernen (»Teenager außer Kontrolle«). RTL II rückt den Problemen der Pubertierenden mit ganztägigem, körperlichem Drill zu Leibe (»Das Erziehungscamp«). Das Konzept des »Erziehungscamps« bestehe aus »festen Regeln, hartem sportlichen Training, Disziplin und Respekt«, schreibt der Sender auf seiner Homepage. Wer dieses pädagogische Hilfsangebot nicht annimmt und stattdessen immer noch über seine Perspektivlosigkeit in der Arbeits- und Erwachsenenwelt nörgelt, so legt dieses Konzept nahe, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.

Der grüne Politiker Cem Özdemir formulierte bei Maischberger etwas kryptisch, das Problem der Jugendkriminalität habe keine »monokausalen Ursachen«. Jedenfalls mit einer der vermeintlichen Ursachen, dem angeblichen Mangel an konsequenter, strafender »Erziehung«, soll nun aber anscheinend Schluss sein. Die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat dem jahrelangen Drängen verschiedener Landesregierungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts nachgegeben: Künftig soll auch bei jugendlichen Täterinnen und Tätern die nachträgliche Sicherungsverwahrung möglich sein.

Die tatsächliche Entwicklung der Jugendgewalt kann dafür allerdings kaum ausschlaggebend sein. Der Anstieg der Jugendgewalt falle erheblich schwächer aus, als die Polizeistatistik es glauben mache, schreibt Christian Pfeiffer vom Niedersächsischen Kriminologischen Forschungsinstitut in Hannover. Für den Anstieg in der Polizeistatistik sei vor allem die gewachsene Bereitschaft, solche Delikte anzuzeigen, die Ursache. Die heutige Jugendgewalt werde auch keineswegs immer brutaler, betont Pfeiffer in seinen »Sieben Thesen zur Jugendgewalt«. Die Zahlen der Raubdelikte mit hohem Schaden oder folgenschwerer Körperverletzungen etwa nähmen ab.

Was Özdemir mit den »nicht monokausalen Ursachen« meinen könnte, ist dagegen weitaus brisanter. Inzwischen gehen drei Viertel der Gewalttaten Jugendlicher auf junge Menschen zurück, die höchstens einen Hauptschulabschluss haben. »Offenkundig tragen die wachsenden sozialen Gegensätze erheblich dazu bei, dass besonders diejenigen Gewaltdelikte begehen, die wenig Chancen dafür sehen, den Satz ›Jeder ist seines Glückes Schmied‹ für sich zu realisieren«, schreibt Pfeiffer.

Dennoch ist man sich in der gegenwärtigen Diskussion einig: Erziehung ist der Schlüssel! Dass die Studiogäste bei Maischberger darunter vor allem die möglichst geschickte Dosierung von Strafen verstehen, verwirrt nur auf den ersten Blick. Vielleicht haben sie ja gerade das Buch des ehemaligen Leiters der Internatsschule Schloss Salem gelesen, das seit Monaten auf den Bestsellerlisten steht. Bernhard Bueb fordert in seinem »Lob der Disziplin«, Jugendlichen physisch erfahrbare Grenzen zu setzen. Repression sei kein Gegenstück zur Erziehung, sondern ihr Kern. Wer gerecht erziehen wolle, brauche den »Mut zu strafen«.

Diesen Mut fasst nun auch die Politik, jedenfalls im Rahmen ihrer pädagogischen Möglichkeiten. Die Sicherungsverwahrung, die bei Jugendlichen verstärkt angewandt werden soll, ermöglicht es, einen Häftling auch nach verbüßter Strafe aufgrund einer Gefährlichkeitsprognose weiter im Gefängnis zu behalten. Das erforderliche psychologische Gutachten über die Gefährlichkeit muss zwar einmal im Jahr erneuert werden, ansonsten gilt aber prinzipiell keine zeitliche Beschränkung. Es ist schon heute denkbar, einen Jugendlichen so bis zu seinem Lebensende in Haft zu behalten.

Neu an den Plänen von Zypries ist die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung. Diese »erzieht« vor allem durch Verunsicherung. Wer heute eine Jugendstrafe von sieben Jahren oder mehr absitzt, kann sich nach der geplanten Regelung nicht mehr auf den festgelegten Termin der Entlassung verlassen, selbst wenn im Urteil von einer Sicherungsverwahrung noch keine Rede war. Wer im Knast nicht genügend Anzeichen für seine künftige Ungefährlichkeit bietet, muss praktisch bis zum letzten Tag der Haft damit rechnen, anschließend in Sicherungs­verwahrung genommen zu werden. Das erhöht den Druck, sich an die Resozialisierungsprogramme anzupassen. Gleichzeitig wirkt die unbestimmte Haftdauer psychologisch besonders belastend.

Man mag die Sicherungsverwahrung von akut rückfallgefährdeten Gewalttätern nicht immer für verkehrt halten. Dass man aber bei einem Jugendlichen, der sich noch in seiner Entwicklung befindet, von dem Verhalten im fast völlig fremdbestimmten Gefängnisleben auf das zu erwartende Verhalten in Freiheit schließen könne, ist eine gewagte Annahme. Wer während der Jahre in einem überfüllten Gefängnis bedenkliche Verhaltensweisen entwickelt hat, müsste in der Logik der Gesetzesverschärfung dann eben so lange in Haft bleiben, bis er oder sie zur Zufriedenheit der Psychologen einen »Erziehungserfolg« zeigt.

Diese »Erziehung« ist auch der Schlüsselbegriff in den Plänen zur Änderung des Jugendstrafvollzuges. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im vorigen Sommer daran erinnert hat, dass für den Jugendstrafvollzug in Deutschland noch immer eine Rechtsgrundlage fehle, haben die meisten Bundesländer, die seit der Föderalismusreform dafür zuständig sind, inzwischen ihre Gesetzesentwürfe vorgelegt. Bis auf die in Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg angekündigten Verschärfungen fallen die bisher veröffentlichten Entwürfe zwar überraschend moderat aus. Das Zauberwort heißt künftig aber überall »Chancenvollzug«. Die Häftlinge sollen die Pflicht haben, an ihrer »Erziehung« konstruktiv mitzuwirken. Tun sie dies, können sie auf Vergünstigungen hoffen. Wollen sie einfach nur in Ruhe ihre Zeit absitzen, müssen sie Repressalien in Kauf nehmen. Wer regelmäßig »Das Erziehungscamp« auf RTL II anschaut, kennt die Regeln also schon.