»Der Islam ist nicht reformierbar«

Arzu Toker

Wolfgang Schäuble dürfte sich gefreut haben, als er in der vorigen Woche vernahm, dass sich die islamischen Organisationen in Deutschland zu einem Dachverband zusammenschließen wollen, hatte er doch bei der »Islamkonferenz« im September das Fehlen eines eindeutigen Gesprächs­part­ners bemängelt. Dagegen regt sich inzwischen Protest. Kürzlich wandte sich ein neu gegründeter »Zentralrat der Ex-Muslime« mit der Kampagne »Wir haben abgeschworen« an die Öffentlichkeit, der den Anspruch dieser Verbände bestreitet, die Menschen aus mus­li­mi­schen Ländern zu repräsentieren.

Die Kölner Publizistin und Sozialarbeiterin Arzu Toker ist zweite Vorsitzende des »Zentralrats der Ex-Muslime«. Mit ihr sprach Deniz Yücel.

Wann und warum haben Sie abgeschworen?

Ich entstamme einer muslimischen Familie. Allerdings war mein Vater ein kemalistischer Lehrer, und Religion spielte für uns keine große Rolle. An Gott wandte ich mich, wenn ich das Bedürfnis nach Hilfe oder Schutz hatte.

Die ersten Zweifel bekam ich als Kind. Wir lebten im südostanatolischen Urfa, und ich hör­te, dass ein Mädchen ertränkt wurde, weil sie schwanger war. Ich dachte: Was ist mit dem Baby? Dann kam die Mondlandung. Damals fuhren Leute aus den Moscheen mit Lastwagen durch die Straßen von Istanbul, wo ich inzwischen lebte, und verkündeten, dass der Mond auf den Hörnern eines Ochsen sitze und man nicht glauben solle, dass die Amerikaner auf dem Mond gelandet seien. Die entscheidende Erfahrung machte ich schließlich in Deutschland. Ich arbeitete mit jungen Frauen, die von ihren Vätern und Männern geschlagen wurden. Als ich sie zur Rede stellte, sagten sie: »Der Koran erlaubt es, dass ich meine Frau und meine Töchter züchtige.« Ich habe das anfangs nicht geglaubt. Aber sie hatten Recht.

Was hat Sie dazu bewogen, den Zentralrat der Ex-Muslime zu gründen?

Mich hat es sehr geärgert, dass sich Innenmi­nister Wolfgang Schäuble mit den islamischen Verbänden zusammensetzt, um mit ihnen über Integration zu reden, und versucht, sie zu einer Einigung zu bewegen. Und sie werden sich einigen, weil sie den Kirchen gleich­gestellt werden wollen und hoffen, dadurch an staatliche Mittel heranzukommen.

Aber als Christ können Sie aus der Kirche austre­ten, im Islam ist das nicht vorgesehen, weshalb jene Herren ja behaupten, 3,5 Mil­lionen Muslime in Deutschland zu vertreten. Also auch mich. Aber sie sprechen nicht für mich. Sie sprechen nicht für die Aleviten und auch nicht für die große Mehrheit der Muslime in Deutschland, die aus der Türkei stammen und nicht so fromm sind wie diese Verbände.

Was ist daran verkehrt, wenn die Bundes­regierung versucht, diese Verbände in die Pflicht zu nehmen, Demokratie und Menschenrechte zu achten?

Ehe ich die Bekenntnisse dieser Verbände zum Grund­gesetz ernst nehme, müssten sie sich öffentlich von allen Versen des Korans distanzieren, die den Men­schen­rech­ten widersprechen; von den antisemitischen Passagen oder von den Versen, die die Frau­en den Männern unterordnen. Der Koran erlaubt es den Mus­li­men, Christen und Juden zu belügen, wenn es ihnen nützt. Was soll ich mit Leuten reden, die es für legitim halten, mich zu belügen? Wenn Sie Muslimen sagen: Ihr müsst diese und jene Aussage des Korans für veraltet erklä­ren, sagen sie, keine Silbe dürfe geän­dert werden, weil der Koran Got­tes Wort sei. Wegen diesem Anspruch halte ich den Islam als solchen nicht für reformierbar. Und weil er sich nicht nur als Religion, sondern auch als Ge­setz versteht, halte ich seine konsequen­te Form für unvereinbar mit der Demokratie.

Haben etwa in der Türkei nicht viele ei­nen Weg gefun­den, beides miteinander zu vereinbaren?

Aber das war nur möglich, weil die Kemalisten für die Auf­klärung und gegen die Sharia gekämpft haben. Ich bestreite nicht, dass viele Menschen einen Gott brauchen. Die Frage ist aber: Muss der Staat die Religion för­dern, oder hat er dafür zu sorgen, dass sie eine Privatsache bleibt?

Die islamischen Verbände beanspruchen dieselben Rechte, wie sie hierzulande Christen und Juden genießen.

Die Christen mussten erst gezähmt und entmachtet werden, ehe sie die demokratischen Regeln akzeptiert haben. Wenn der Islam dieselben Rechte beansprucht, muss er sich ebenfalls einem Prozess der Aufklärung unterziehen.

Wenn der Islam verfassungswidrig ist, müsste seine Ausübung verboten werden. Wollen Sie das?

Nein. Aber ich möchte gewährleistet wissen, dass die Grundrechte geachtet werden, insbesondere für Mädchen aus muslimischen Familien. Der Staat sollte jedenfalls nicht die Islamisierung unterstützen und nicht seine eigenen Gesetze unterhöhlen. Das geschieht, wenn deutsche Gerichte muslimischen Eltern erlauben, ihre Töchter vom Sport und vom Schwimmen abzumelden, oder wenn das Tierschutzgesetz eine Ausnahme für das Schächten macht.

Das Schächten nehmen auch jüdische Deutsche in Anspruch.

Das ist mir egal. Ich bin dagegen, dass Tiere leiden.

Es gibt selbstbewusste, gläubige Mus­lima, die sich darüber beklagen, dass sie ausgegrenzt würden. Etwa Feresh­ta Ludin, der es untersagt wurde, mit einem Kopftuch zu unterrichten.

Frau Ludin wurde von der fundamenta­listischen Milli Görüs unter­stützt. Diese Organisationen stehen hin­ter vielen Klagen. Sie versuchen, ihr Recht, die Sharia, gegen das bestehende Recht, das Grundgesetz, durchzusetzen.

Ist Frau Ludin nicht ein Beispiel dafür, wie gläubige Muslime den Fundamen­ta­listen in die Arme getrieben werden?

Etwas anderes stärkt diese Organisatio­nen viel mehr: wenn Herr Schäuble sie salonfähig macht. Wenn sie an jeder Schule Islamunterreicht anbieten dürfen, mit dem der Druck auf alle Schüler mit muslimischem Hintergrund erhöht wird. Wenn, wie hier in Köln, einmal in der Woche in Schwimm­bädern die Sharia Einzug erhält.

Ihre Kampagne erinnert an die Kampagne gegen das Abtreibungsverbot. Aber Sie haben hierzulande doch keine Sanktionen zu befürchten, wenn Sie sich vom Islam abwenden.

Nicht von staatlicher Seite, aber vom Islam. Der Koran sieht vor, dass Abtrünnige getötet werden. Deswegen begehen wir mit dieser Kampagne einen Tabubruch.

Ihren Aufruf haben auffällig viele iranischstämmige Menschen unterzeichnet; viele sollen der Arbeiterkommunistischen Partei entstammen.

Dass einige von ihnen bestimmten Organisationen angehören, ist ihre Privat­angelegenheit. Und inzwischen sind viele türkisch- und arabischstämmige Menschen dazugekommen, so dass unser Zentralrat eine bunte Gesellschaft ist. Aber dass unsere iranischen Freunde so emotional bei der Sache sind, ist vor dem Hintergrund ihrer Geschichte verständlich. Fast alle von ihnen haben durch die Mullahs Angehörige verloren.

Unsere Broschüre mussten wir mehrfach ändern, weil im ersten Entwurf Iraner abgebildet waren, die sich im Asylverfahren befanden. Während wir die Kampagne vorbereitet haben, wurden sie ausgewiesen. Wir mussten ihre Bilder und Namen entfernen, weil sie im Iran den Tod riskiert hätten.

Viele Menschen, die nicht oder nicht besonders religiös sind, haben das Gefühl, dass sich in der Debatte um Integration und Islam der Unwille der deutschen Gesellschaft ausdrücke, die Einwanderer zu akzeptieren.

Da ist etwas dran. Auch mich stört es, wenn ich nach 33 Jahren gefragt werde, woher ich »eigentlich« komme. Wer mich das fragt, deutet mir an, dass er dazugehört und ich nicht. Ich glaube aber, dass wir mit dem Zentralrat der Ex-Muslime dazu beitragen, dass die Einwanderer differenzierter wahrgenom­men werden, dass man erkennt, dass sie keine homogene Masse bilden, aus der nur »Allahu akbar« kommt.

Was hat der Zentralrat noch vor?

Im Mai planen wir in Köln eine Veranstaltung, bei der es um das Verhältnis zwischen den Menschenrechten und der Sharia gehen soll. Und im November wollen wir eine größere islamkritische Konferenz durchführen.

Werden Sie gläubige Muslime einladen?

Ja. Mal sehen, ob sie kommen.