Pläne durchkreuzt

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft erlebt eine Pleite: Für den Bundesgerichtshof sind durchgestrichene Hakenkreuze nicht strafbar. von sarah kleinmann

Niemand würde auf die Idee kommen, ein Halteverbotsschild als Aufforderung zum Parken zu verstehen – außer der Stuttgarter Staatswanwaltschaft vielleicht. Straßenschilder bestehen wie viele andere Hinweisschilder aus so genannten Piktogrammen, aus nüchternen Zeichen, die ohne Wort und Text zur Verständigung dienen, da sie eine feste Bedeutung haben. Auch das durchgestrichene Hakenkreuz ist eine piktografische Darstellung mit eindeutiger Aussage. Und genauso verhält es sich mit dem Hakenkreuz, das bildlich in die Mülltonne fliegt.

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft jedoch zog die unmissverständliche Bedeutung der Motive wiederholt in Zweifel. Sie vertrat den Standpunkt, dass die Abgrenzung von rechtem Gedankengut womöglich für den Betrachter nicht eindeutig erkennbar sei und daher auch ein verfremdetes Hakenkreuz indirekt für den Nationalsozialismus werbe. Im vergangenen Jahr veranlasste sie daher im Großraum Stuttgart zahlreiche Beschlagnahmungen und Strafanzeigen gegen Antifas, die verfremdete Hakenkreuze auf Flugblättern oder als Abzeichen verwendet hatten. Den Betroffenen wurde ein Verstoß gegen Paragraf 86a des Strafgesetzbuches vorgeworfen. Dieser stellt die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe.

Auch gegen das Punk-Label »Nix-Gut-Records« aus dem baden-württembergischen Winnenden leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen ein. Das Label hatte Buttons, T-Shirts und andere Artikel vertrieben, auf denen durchgestrichene oder zerstörte Hakenkreuze zu sehen waren. Für die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ein klarer Fall von »massenhafter Verwendung« eines nationalsozialistischen Symbols. Das Landgericht Stuttgart folgte dieser Argumentation und verurteilte Jürgen Kamm, den Geschäftsführer des Labels, im September 2006 zu einer Geldstrafe in Höhe von 3 600 Euro.

Der eindeutige Bildzusammenhang, in dem die Hakenkreuze jeweils standen, wurde vom Gericht schlichtweg ignoriert. Die Stuttgarter Staatsanwälte gingen zudem fast ausschließlich gegen junge Antifas und Punks vor. Sowohl die mehrmonatige Ausstellung »Piktogramme« im Kunstmuseum Stuttgart als auch eine Werbebroschüre der Fifa blieben unbehelligt, obwohl sie Hakenkreuze zeigten. Auch Darstellungen in Geschichtsbüchern oder wissenschaftlichen Veröffentlichungen wurden nicht beanstandet. Der Vorwurf gegen Antifas, das Hakenkreuz in einem schleichenden Prozess wieder populär zu machen, klingt zudem, als gebe es keine Neonazis, die das ohnehin schon machten.

Jürgen Kamm hatte gegen das Urteil Revision eingelegt. Am Donnerstag voriger Woche entschied der Bundesgerichtshof in Karlsruhe in der Revisionsverhandlung, dass die Verwendung von Hakenkreuzen in eindeutig distanzierendem Kontext nicht strafbar ist. In der Mitteilung der Pressestelle des Gerichts heißt es explizit, dass die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nicht unter Paragraf 86a des Strafgesetzbuches falle, wenn »der Inhalt der Darstellung in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt«. Alle von dem Angeklagten vertriebenen Artikel seien »gegen die Wiederbelebung nationalsozialistischer Bestrebungen gerichtet«. Dies sei »eindeutig und offenkundig zum Ausdruck gebracht worden«, sagte der Vorsitzende Richter Walter Winkler. Mit dieser Grundsatzentscheidung, die den Anträgen von Verteidigung und Bundesanwaltschaft folgte, wurde das Urteil des Landgerichts Stuttgart gegen Kamm zurückgenommen.

Das Vorgehen der Stuttgarter Staatsanwälte hatte zuvor vielerorts Kritik ausgelöst. Im Umfeld von »Nix-Gut-Records« entstand die Kampagne »Wir lassen uns das Dagegensein nicht verbieten«, die auf breiter Basis Unterstützung für die Betroffenen organisierte. Auch Sebastian Edathy (SPD), der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags, die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, und der DBG-Vorsitzende Michael Sommer protestierten gegen die Rechtsauffassung der baden-württembergischen Behörden.

Das Urteil des Bundesgerichtshof dürfte eine finanzielle Entschädigung für »Nix-Gut-Records« mit sich bringen und wahrscheinlich die Einstellung der mehr als 40 Verfahren, die gegen Antifas in Baden-Württemberg wegen Verstoßes gegen den Paragrafen 86a derzeit noch offen sind. Markus K. aus Ludwigsburg, gegen den auch eines dieser Verfahren läuft, empfindet das Urteil auch deshalb als angebracht, weil die Staatsanwaltschaft Stuttgart »beharrlich gegen Antifas vorgegangen« sei, anstatt »ein Verfahren gegen die noch lebenden Täter eines SS-Massakers im norditalienischen Sant’Anna di Stazzema einzuleiten«, wie er der Jungle World sagte.

Das Urteil dürfte auch positive Folgen in einem anderen Fall haben, der den Verfahren in Baden-Württemberg in der Sache ähnelt. Am 10. Januar wurde David G. vom Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen ebenfalls wegen Verstoßes gegen den Paragrafen 86a des Strafgesetzbuches zu einer Geldstrafe verurteilt. Bei einer Polizeikontrolle in Mittenwald fanden die Beamten in seinem Rucksack Flyer, die eine Veranstaltung bewarben. Auf den Zetteln war das Titelbild des im Handel frei erhältlichen Buches »Feindaufklärung und Re­education« des Freiburger Verlags Ça ira abgebildet, das Islamisten beim Zeigen des Hitlergrußes zeigt. Obwohl der Inhalt der Darstellung in einem klar erkennbaren antifaschistischen Zusammenhang stand, wurde auch David G. verurteilt.

In der Urteilsbegründung hieß es u.a., der Angeklagte habe in Mittenwald »an verschiedenen Veranstaltungen und Aufzügen des linksextremen Spektrums« teilnehmen wollen, die unter anderem die »linksextremistische VVN-BdA« organisiert habe. Diese Formulierungen illustrieren, dass es wie im Fall von Jürgen Kamm nicht nur um die inkriminierten Symbole, sondern offenbar auch um die Gesinnung derjenigen geht, die sie benutzen.

Die Auseinandersetzungen, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vorausgingen, waren langwierig, für die beteiligten Linken nervenaufreibend und teuer. Die Handlungsspielräume von staats- und gesellschaftskritischen Gruppen werden auf solche Weise durch die Behörden stark eingeschränkt, egal wie später das Urteil ausfällt.