Wenn Pferde auf dem Catwalk traben

Laufen und lächeln, stehen und lächeln, laufen und lächeln: Heidi Klum nervt derzeit wieder einmal mit ihrer Fernsehshow »Germany’s Next Topmodel«. von martin schwarz

Um »Germany’s Next Topmodel« zu werden, reicht es nicht, schön zu sein. Nein! Um »Germany’s Next Topmodel« zu werden, braucht man vor allem eines. Genau: Persönlichkeit! Das behauptet eine, die den Charme einer alten Schlafwagenschaffnerin besitzt: Heidi Klum. Wir erinnern uns: jene Heidi Klum, die vom Formel 1-Manager Flavio Briatore ein Kind bekam, dann aber von einer jüngeren Nebenbuhlerin abgelöst wurde. Ein typisches Modelschicksal! Jene Heidi Klum, die sich für eine angemessene Bezahlung auch schon einmal Fruchtgummis zwischen die Zehen klemmt und damit Werbung macht.

Mit ihrer Show »Germany’s Next Topmodel« führt sie nun 17- bis 22jährige auf denselben Weg, vielleicht auch auf einen schlimmeren. Rund 16 000 Mädchen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg haben sich beworben, um in der »Beauty-Show«, deren zweite Staffel nun schon läuft, gnadenlos gemobbt zu werden.

Erstaunlich für den Zuschauer ist vor allem die Diskrepanz zwischen der Banalität der gestellten Aufgaben und dem Fanatismus der Jury, die Dr. Fran­kenstein selbst auch nicht schöner hätte zusammen­stellen können: Da sitzen neben Heidi Klum etwa der Model-Agent Peyman Amin und der Laufsteg-Trainer Bruce Darnell. Dabei übernimmt Amin die Rolle, die Dieter Bohlen in »Deutschland sucht den Superstar« zufällt. Amin gibt den anzüglichen Proll.

Bruce Darnell steht dagegen den größten Teil der Zeit neben sich. Weil er mit der deutschen Sprache so seine Schwierigkeiten hat, beschränkt er sich meist auf das Wort »sexy«. Darüber hinaus bricht er in jeder Folge mindestens einmal in Tränen aus. Manchmal wird er aber auch einfach nur aggressiv. Als die jungen Körper einer völlig blöden Aufgabe im winterlichen St. Moritz bei Minusgraden über alpine Terrassen laufen mussten, konnte sich Darnell nicht mehr zurückhalten: »Ich bin so stolz auf euch!« Und weil die 19jährige Österreicherin Anja in der Klumschen Disziplin »Geradeauslaufen« ein großes Defizit hat, verlor Darnell die Nerven. »Du laufst wie ein Pferd!« entfuhr es ihm.

Nicht der eine oder andere Aspekt der Aufregung um die Sendung ist letztlich erschreckend. Die Aufregung, die »Germany’s Next Topmodel« aus­gelöst hat, ist an sich schaurig. Wenn junge Frauen meinen, ihren Körper zu Markte tra­gen zu müssen, bis die unvermeidliche Faltenbildung dieses Zwischenspiel auf dem Lebensweg beendet, dann müssen keine besorgten Jugendpsychologen oder Ärzte auf die Risiken dieses Verhaltens aufmerksam machen. Jede Hartz-IV-Empfängerin in Mecklenburg-Vorpommern in einem Alter zwischen 16 und 30 Jahren würde vermutlich auch lieber auf dem Catwalk dahinstolzieren, als im Plattenbau dem nächsten Termin bei der Bundesagentur für Arbeit entgegenzudämmern. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn Heidi Klum ihre Pensionierung als »Germany’s Last Topmodel« anders feiern würde als mit ihrer einschläfernden Show.

Aber noch unerfreulicher ist einfach die zwangsläufig fade Dramaturgie der Serie. In jeder Folge müssen die Mädchen drei Aufgaben bewältigen, die insgesamt betrachtet nicht gerade abwechslungsreich sind: laufen und lächeln, Modell stehen und lächeln, lau­fen und lächeln. Manchmal lässt sich Heidi Klum fantastische Spiele einfallen, auf die selbst der findige Serienheld McGyver neidisch wäre. So müssen die Bewerberinnen etwa in Schuhen geradeaus laufen, die zu groß sind. Da quietscht die Showmasterin vor Vergnügen, wenn die jungen Konkurrentinnen sich verrenken. Unappetitlich wie Fruchtgummi zwischen den Zehen ist auch der voyeuristische Aspekt der Show: Warum müssen die Nachwuchsmodels mit knappem Oberteil durch ein voll besetztes Fußballstadion laufen und ihren Körper zur Schau stellen? Da hätten die Macher der Sendung die Mädchen gleich im Nachtclub an der Stange tanzen lassen können. Selbst Heidi Klum muss im Spätherbst ihrer Karriere nicht vor besoffenen Fußballfans die Hüllen fallen lassen, obwohl man es ihr aus Gründen der Fairness manchmal eigentlich wünschen würde.

Dass die Verantwortlichen von Pro Sieben auch ein wenig auf den »Zicken-Effekt« setzen, den man aus »Big Brother« kennt, haben sie eindrucks­voll bewiesen, als sie die 25jährige Enyerlina erst in der dritten Sendung nach Hause schickten. Denn Enyerlina, da bleibt gar kein anderes Urteil übrig, war nichts anderes als eine Entsprechung zu Bruce Darnell: nicht ganz bei Sinnen, von Ehrgeiz zerfressen und intrigant wie J.R. Ewing in seinen besten Zeiten.

»Das ist eine Competition, ich konzentriere mich, ich bin eine Frau und werde Germany’s Next Topmodel«, schleuderte sie Satzbrocken um sich und vergaß bei keiner Gelegenheit, vor ihrem Idol Heidi zu glänzen. »Ich war erste fertig, ich, Heidi!« stammelte sie, als wieder einmal der Kleiderwechsel auf Zeit die Aufgabe war. Sie mag auch deshalb so verbittert gewesen sein, weil sie mit 25 Jahren natürlich schon recht alt für das Model-Business ist. Klum vergaß nicht, dieses Manko stets zu betonen. Erst recht spät flog die aus der Dominikanischen Republik stammende und mit einem »Fabrikanten« in Deutschland ver­heiratete Karikatur eines Models aus dem Wettbewerb. Gruppentherapeutisch betrachtet hätte sie schon früher den Catwalk verlassen müssen. Aber so ist Fernsehen eben: Wenn schon das Konzept nichts hergibt, bedarf es wenigstens eini­ger bedenklicher Charak­tere, die allen das Leben schwer machen, um die Zuschauer davon abzuhalten, den Fernseher auszuschalten.

Auch in den nächsten Folgen wird die Dramaturgie sich wohl nicht ändern. Von heftigen Gähn­attacken gebeutelt, werden wir also Zeugen einer bereits ritualisierten Tristesse werden. »Ich habe heute ein Foto für dich«, wird Heidi am Schluss jeder Sendung zu einigen Teilnehmerinnen sagen und so die Auswahl treffen, wer auch weiterhin im Wettbewerb bleiben wird. Und alle, die von Heidi ein Foto erhalten, werden sich um den Hals fallen, als wäre es ein Schutzschild gegen die Unbill des Lebens. Dabei kommt es nur von Heidi Klum.