»Wir konnten besser reden als Bomben legen«

Bill Ayers

1969 erscheint im amerikanischen SDS (Students for a Democratic Society) die Erklärung: »You don’t need a weatherman to know which way the wind blows.« Die unterzeichnende Gruppe, the Weathermen, erklärte sich mit dem Vietcong und den Black Panthers solidarisch. Von 1970 bis 1976 operierte sie als bewaffneter Widerstand unter dem Namen »Weather Underground«. Nach der Sprengung einer Polizistenstatue auf dem Haymarket Square in Chicago folgten zahlreiche spektakuläre Anschläge, unter anderem auf das Pentagon und das Kapitol, bei denen niemand verletzt wurde. Für die Aktionen des Weather Underground wurde niemals jemand verurteilt, da bekannt wurde, dass der Staat illegale Ermittlungsmethoden angewendet hatte. Bill Ayers ist Mitbegründer der Weathermen und lebte bis 1980 im Untergrund. Heute ist er Professor für Pädagogik an der Universität in Chicago. Mit ihm sprach Doris Akrap.

Was bedeutete der Ausdruck »exemplarische Gewalt« für den Weather Underground?

Nach drei Jahren friedlichem Antikriegsprotest glaubten wir 1968, den Verlauf der Geschichte geändert zu haben. Doch das stellte sich als falsch heraus. Die Mehrheit der Amerikaner war zwar gegen den Krieg in Vietnam, Präsident Johnson war zurückgetreten, die zurückkehrenden GIs aus Vietnam schilderten den Horror. Doch der Krieg ging weiter, wöchentlich starben Tausende. Die Black Panthers wurden massakriert, während wir keiner derart brutalen Repression ausgesetzt waren. Es war die weiße Vormachtstellung, die uns davor bewahrte.

In dieser Situation entschlossen wir uns, die Gewalt in unserem eigenen Land eskalieren zu lassen und den bewaffneten Widerstand gegen den Krieg und gegen den rassistischen Polizeistaat zu organisieren.

1969 hatten die Weathermen die »Days of rage« in Chicago organisiert, bei denen ein paar hundert Demonstranten trotz massivem Polizeiaufgebot schwere Sachschäden verursachten. Dafür wurdet ihr stark kritisiert, unter anderem von dem Black Panther Fred Hampton: Eure Aktionen seien selbstmörderisch.

Obwohl wir nach dieser Aktion relativ isoliert waren, fanden die meisten von uns diese Aktion gerechtfertigt. Bei früheren Demonstrationen des SDS waren wir immer nur diejenigen, die sich mit der Polizei herumschlagen mussten. In Chicago hatten wir zum ersten Mal die politische Linie bestimmt, wir hatten die Legalität überschritten, das Eigentumsrecht missachtet. Nach der Ermordung von Fred Hampton durch die Polizei waren wir uns einig, den bewaffneten Widerstand aufzubauen. Einige waren der Meinung, je mehr Chaos, desto besser. Es sei besser, die schlafenden Amerikaner mit einer Bombe im Ohr zu wecken, als sie weiterschlafen zu lassen. Andere vertraten die Ansicht, dass eine derartige Eskalation nicht nur zu mehr Chaos führen würde, sondern Zerstörung, Wut und Hass zwar notwendig seien, aber ein Ausmaß erreichen könnten, das unserem Ziel, eine menschlichere Welt aufzubauen, widersprechen würde. Nachdem drei unserer Genossen durch eine zu früh explodierte, selbstgebaute Anti-Personen-Bombe getötet worden waren, waren die Diskussionen vorbei. Wir wollten die Militanz kanalisieren. Die Leute, die für eine terroristische Richtung plädierten, warfen wir aus der Organisation, und der Weather Underground baute einen klandestinen bewaffneten Widerstand auf, der niemals Leute bedroht oder getötet hat.

Zu Beginn hielten die Weathermen die weißen Massen nicht für revolutionierbar. Die Arbeiter seien rassistisch und korrupt, die weiße Jugendkultur sei unfähig zu revolutionären Veränderungen. Mit dem Gang in die Illegalität und der Erklärung »New Morning, Changing Weather« von 1970 öffnete sich der Weather Underground ideologisch, um weiße Verbündete im Kampf um Befreiung zu finden.

Die weiße Jugend hatte das, was mein Sohn immer als »wild gringo card« bezeichnet. Du sagst »Revolution«, und sie sagen: »Komm schon, du bist doch ein Weißer, du meinst das doch nicht so!« Dieser weißen Überheblichkeit wollten wir zeigen, dass der Kampf der Schwarzen auch die Sache der Weißen ist.

»New Morning« haben wir vor allem für junge Militante geschrieben. In den USA gab es allein zwischen 1970 und 1973 etwa 20 000 politische Anschläge. Gerade mal zwölf gehen auf unser Konto. Also irgendwas war da los, und wir wurden wohl nur deswegen so berühmt-berüchtigt, weil wir ein Haufen gebildeter Plappermäuler waren. Es stellte sich heraus, dass wir besser reden als Bomben legen konnten. Wir versuchten einfach, dem, was da vor sich ging, einen politischen Rahmen zu geben. Wenn man handelt, militant oder nicht, muss man zweifeln, analysieren und erneut handeln. Dieser Dialektik sind wir immer gefolgt.

Das ehemalige Weathermen-Mitglied Mark Rudd behauptet, der Weather Underground habe die Studentenbewegung getötet. Welchen Einfluss hatte Ihre Organisation auf die linke Bewegung in den USA?

Was die Studentenbewegung getötet hat, war zum einen der Tod der schwar­zen Bewegung, und die wurde vom ame­rikanischen Militär erledigt; zum anderen war es die Bedeutungslosigkeit im Hinblick auf die Ereignisse in Vietnam. Nicht wir haben den Krieg in Vietnam beendet, sondern der Vietcong. Wir haben gemacht, was wir gemacht haben, andere organisierten Kommunen oder traten in die Demokratische Partei ein. Weder diese Leute noch wir haben wirklich das Richtige getan. Es war eine Zeit enormer Verwirrung. Ich verdamme unsere Aktionen nicht, aber wir haben auch Fehler gemacht, wir waren sektiererisch und dogmatisch. Wir hätten noch viel härter daran arbeiten müssen, die politischen Kräfte zu vereinen.

Gemeinsam mit vielen anderen haben Sie sich 1979 selbst gestellt. Gehört der bewaffnete Widerstand für Sie der Vergangenheit an?

Wir verstanden uns als Revolutionäre. Aber die Grundlage des Weather Underground war der Krieg in Vietnam. Und als der beendet war, fing die Zersplitterung der Positionen an. Die Energie, die man braucht, um im Untergrund zu leben, wollte ich lieber für den Aufbau legaler politischer Gruppen aufwenden. Ich glorifiziere den bewaffneten Widerstand nicht. Es gibt Gewaltverhältnisse, wie die Sklaverei, die nur mit Gewalt beendet werden können. Aber der Imperativ bleibt das Beenden der Gewalt.

Nach dem 11. September 2001 wurde in den USA mithilfe der »Domestic-Terrorism«-Klausel der islamistische Terror mit dem bewaffneten Widerstand der siebziger Jahre gleichgesetzt. Auch Sie mystifizierten einst die Opferung des eigenen Lebens für die Revolution. Ist es verständlich, dass der angegriffene Staat in dieser Weise reagiert?

Wir waren keine Terroristen. Der 11. September war ein monströses Verbrechen gegen die Menschheit, das eine strafrechtliche Verfolgung der Attentäter erforderte. Stattdessen wurde ein Krieg gegen einen abstrakten Begriff, den Terrorismus, erklärt. Es gibt kein revolutionäres Moment in der islamistischen Bewegung, auch wenn es Leute gibt, die diese als antiimperialistisch mystifizieren. Die islamistische Bewegung ist eine kryptofaschistische, autoritäre Ideologie. Auf einem Marktplatz sich selbst und unschuldige Leute in die Luft zu jagen, ist ekelhaft. Aber der Mann, der sein Gewehr gegen die Deutschen richtete und sein Leben für den Kampf gegen den Faschismus gab, ist ein Held, auch wenn das selbstmörderisch war.

War der bewaffnete Widerstand der RAF im postfaschistischen Deutschland gerechtfertigt?

Ich kenne diesen Teil der deutschen Geschichte nur aus Büchern. Aber ich kann sagen, dass wir vergleichsweise beherrscht waren. Wir haben es nie ernsthaft in Erwägung gezogen, politische Repräsentanten umzubringen. Aber die Leute aus der RAF haben lange genug für ihre Verbrechen im Gefängnis gesessen. Es ist jetzt an der Zeit, über Möglichkeiten nachzudenken, wie wir Gerechtigkeit herstellen können. Jeder muss die Verbrechen der Radikalen genauso verstehen lernen wie die Verbrechen des Staates.