Einer boxte sich durch

Der norwegische Boxer Ole Klemetsen gewann mehrere Gürtel, obwohl Profikämpfe in seinem Land verboten sind. Heute arbeitet er als Boxtrainer. von elke wittich

Elf Jahre war Ole Klemetsen alt, als das Parlament seines Herkunftslandes eine Entscheidung traf, die das spätere Berufsleben des Jungen beeinträchtigen sollte: Im Jahr 1981 wurde das Profiboxen in Norwegen verboten. Die Abgeordneten des norwegischen Parlaments orientierten sich bei ihrer Entscheidung an den schwedischen Nachbarn, die bereits im Jahr 1970 professionelle Faustkämpfe gesetzlich untersagt hatten.

Der damaligen Entscheidung sei »keine nennenswerte gesellschaftliche Diskussion vorangegangen«, beschrieb ein Pressesprecher des norwegischen Innenministeriums 20 Jahre später die große öffentliche Zustimmung in einem BBC-Interview: »Es gab keine Kritik an dem Gesetz, im Gegensatz zu heute, wo man generell gesetzlichen Beschränkungen der individuellen Freiheit skeptisch gegenübersteht.«

Außer in den beiden skandinavischen Ländern ist das Profiboxen in Ländern wie Nordkorea und dem Iran verboten. Dass sich Norwegen freiwillig in die Gesellschaft dieser Schurkenstaaten begeben hat, störte bislang keinen Politiker. Im Gegenteil, die Regierung sieht die Gesundheitsgefahren, die damals zu dem Gesetzesentwurf geführt haben, noch immer als ein wichtiges Thema an. Und sie plant, als Reaktion auf eine heftig geführte Debatte über »Knockout Sports«, zusätzlich das professionelle Kickboxen zu verbieten.

Da halfen auch klare Worte des derzeit besten norwegischen Boxers Kim Jenssen nicht, der das Verbot als »dumm« bezeichnet und erklärte, »keinerlei Respekt vor den Politikern und allgemein den Menschen« zu haben, die »keine Ahnung von professionellem Boxen haben, aber entscheiden wollen, was für mich und die anderen Profis, die wir einfach nur von unserem Sport leben wollen, am besten ist«.

Was Ole Klemetsen an dem Tag tat, an dem das Parlament entschied, dass sein späterer Job illegal sei, kann nur vermutet werden. Vielleicht trainierte er in seinem Boxverein, vielleicht wurde er aber auch ausgeschimpft, weil er eine Klassenarbeit versiebt hatte – ein besonders guter Schüler war er schließlich nie. Dafür ein sportliches Talent. Zunächst wollte er Bergsteiger werden, aber nachdem er im Alter von 14 Jahren norwegischer Boxmeister der Amateure geworden war, dürfte seine Berufswahl festgestanden haben.

Jahre später wird er auf Äußerungen moralisch empörter Boxgegner, die ihm als Weltmeister vorwarfen, eine lebensgefährliche und menschenverachtende Sportart zu betreiben, sagen: »Ich boxe, seit ich ein kleiner Junge bin, für mich ist das ein Teil meines Alltags. Aber natürlich ist das kein Sport für jedermann. Ich fürchte mich nur vor Niederlagen, denn die sind das Ekligste, was man sich vorstellen kann. Sonst habe ich keine Angst.«

Wie aber kam er dazu, in einem derart boxfeindlichen Land ausgerechnet Boxer zu werden? Die Karriere des Mannes mit dem Spitznamen »Lukkøye« (auf Deutsch: Sandmann) lässt sich nur vor dem Hintergrund seiner Familiengeschichte erklären. Das sagt jedenfalls der Autor Bjørn-Erik Hanssen, der die Biographie des berühmtesten Boxers Norwegens verfasste. Er meint: »Die Triebfeder vieler erfolgreicher Boxer ist Hass, sie kommen aus dem Ghetto und kämpfen, um zu überleben. Der physische Schmerz, den sie dabei erleben, gleicht den inneren Schmerz aus. Ole ist dagegen eine Art Zirkusartist. Er boxte, weil er Spaß daran hatte und das Publikum unterhalten wollte. Das hat mir erst seine Familiengeschichte klargemacht.«

Klemetsens Opa jobbte als Musiker, Kirmeshelfer und Rummelplatzboxer, Fischer und Hafenarbeiter, während er gleichzeitig politisch aktiv war. In den zwanziger Jahren trat er in die Kommunistische Partei Norwegens (NKP) ein und blieb dort auch noch Mitglied, als er sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Geschäftsmann selbständig machte. Sein Sohn John, der Vater von Ole Klemetsen, trat ebenfalls der NKP bei, mit allen Konsequenzen: »Beim 1. Mai-Umzug war er immer mit dabei und demonstrierte für höhere Löhne für die Werktätigen – während seine Angestellten lachend am Straßenrand standen.«

John Klemetsen hatte aber auch noch eine andere Seite. In den sechziger Jahren war er als Musiker landesweit bekannt, seine Johnny-Band schaffte es mit dem Stimmungs-Hit »Ola var fra Sandefjord« in die Charts, und noch heute kann man ihn als Alleinunterhalter buchen.

Ole Klemetsen hingegen verlegte sich aufs Boxen. Im Jahr 1992 nahm der Mittelgewichtler an den Olympischen Spielen teil. Obwohl er keine Medaille gewann, wurde er anschließend Profi. Und zwar in Dänemark, weil dort das Profiboxen erlaubt ist. So konnte er nie vor heimischer Kulisse antreten, sondern musste seine Kämpfe grundsätzlich im Ausland austragen. Seine norwegischen Fans organisierten Reisen nach Dänemark oder England, denn natürlich wurden die Fights um Titel wie WBC oder IBF International Light Heavyweight nicht im staatlichen Fernsehen übertragen.

Beklagt hat sich der »Sandmann« mit der Kampfbilanz von 45 Siegen, 6 Niederlagen und 36 KOs darüber nie. Allerdings verlegte er einmal einen Schaukampf auf eine Fähre und boxte los, sobald das Schiff internationale Gewässer erreicht hatte.

Die sportlichen Erfolge führten dazu, dass sich die norwegische Öffentlichkeit für ihn zu interessieren begann. Die Zeitungen schickten ihre Berichterstatter zu seinen Kämpfen und porträtierten den »Klemetsen-Klan«, der hauptsächlich aus dem Vater John, der seinen Sohn managte, und einem für gute Laune sorgenden Onkel bestand.

War die Familie anfangs noch sehr stolz auf ihren berühmten Spross, so änderte sich das schlagartig, als er den Medien ein sorgsam gehütetes Geheimnis lüftete: Ihre Vorfahren waren so genannte Tater, wie die Roma in Norwegen verächtlich genannt wurden. »50 Jahre haben wir darüber geschwiegen, war es wirklich nötig, diese Geschichten an die Öffentlichkeit zu zerren?« sollen Klemetsen manche Familienmitglieder damals gefragt haben, berichtete ein Journalist.

Das Schweigen hatte durchaus einen Grund, denn noch in der Nachkriegszeit wurden die Roma nicht nur diskriminiert, sondern von den Behörden regelrecht verfolgt. Erst vor einigen Jahren wurde bekannt, dass Roma-Kinder noch in den sechziger Jahren grundlos aus ihren Familien gerissen und in Heime gebracht und einige Mädchen dort sogar zwangssterilisiert wurden, weil Beamte fanden, dass ihr Lebensstil dem der Norweger nicht entsprach.

Gesprochen wurde darüber in der Familie Klemetsen nicht, und Ole fiel es auch später nicht ein, seine prominente Stellung zu nutzen, Entschädigungszahlungen für die damaligen Opfer zu fordern. Nachdem seine Karriere am 16. Juni 2001 mit einer K.O.-Niederlage in der zweiten Runde gegen Thomas Hansvoll endete, engagierte er sich allerdings durchaus politisch, und zwar ausgerechnet für die rechtskonservative Anti-Einwanderungspartei »Demokratene«.

Deren Vorsitzenden Jan Simonson hatte er bei einer Prominenten-Staffel von »Robinson« kennen gelernt, einer in Skandinavien extrem erfolgreichen Doku-Soap, die auf einer Insel spielt. Er habe mit Simonson in seiner Zeit auf der einsamen Insel »lange Gespräche über das Leben und die Politik geführt und dabei viele Gemeinsamkeiten entdeckt«, sagte Klemetsen, der sich eigentlich nur für die Partei engagieren wollte, um seinem neuen Kumpel zu einem Parlamentssitz zu verhelfen. Auf die Frage nach dem Wahlprogramm musste er entsprechend passen: »Ich habe keinen hundertprozentigen Durchblick, wofür die Demokratene stehen, aber damit werde ich mich noch beschäftigen.« Aber sein Engagement nutzte nichts – die »Demokratene« erreichten lediglich 2 706 Stimmen und damit knapp 0,1 Prozent.

Mittlerweile arbeitet der »Sandmann« als Boxtrainer in einem Martial Arts Gym in Stavanger und führt nach eigenen Angaben ein »sehr glückliches Leben«.