Bloß keine Genitalpanik

Die feministische Medienkunst wäre eine andere ohne Valie Export. Eine Werkschau in Moskau widmet sich der Künstlerin. von jens kastner

Man steht in einem Rohbau. Neben den unzähligen Leinwänden und Bildschirmen gibt es in der großen Halle nur wenige Sitzgelegenheiten und einige Betonpfeiler. Für die Filme und Videos, die hier laufen, haben sich die Macher der 2. Moskauer Biennale für zeit­genössische Kunst einen ganz speziellen Ort ausgesucht. Denn die trashige Atmo­sphäre trügt. Das weiß man schon, wenn man in der Halle angelangt ist. Denn die Besucher müssen durch den bereits sanierten Teil eines Nobelkaufhauses, um im vierten Stock hinter dem Café zur Videokunst zu gelangen. Die Leute im vorderen Teil des Gebäudes sehen sich Schuhe und Taschen an. Die billigsten kosten etwa 250 Euro, das Doppelte des durchschnittlichen Monatseinkommens in Russland. Ob die Käufer der Luxusprodukte auch zum Publikum der Ausstellung gehören, darüber lässt sich indes nur mutmaßen.

Zur selben Zeit wie das Großereignis findet in Moskau auch die Werkschau von Valie Export im National Center for Contemporary Art und in der Ekaterina Foundation statt. Die österreichische Medienkünstlerin ist eine Pionierin. Bereits Mitte der sechziger Jahre experimentierte sie mit dem Medium Film. Ihre Aufmerksamkeit galt dabei aber nicht nur dem Zelluloid und der Leinwand, sondern auch den Produktions- und Rezeptionsbedingungen der bewegten Bilder. Unverkennbar ist dabei der Kontext der neuen Frauenbewegung: Mit im Schritt aufgeschnittener Hose und bewaffnet mit einer Maschinenpistole aus Plastik ging die Künstlerin durch die Reihen eines Münchener Kinos.

»Aktionshose Genitalpanik« (1968) laute­te der Titel eines Posters, auf dem die Künst­lerin breitbeinig und mit beiden Händen die Waffe vor der Brust haltend die Betrach­ter in den Blick nimmt. Es gehört zu den großen Werken der feministischen Kunstgeschichte. Den Bildern der zu Objekten gemachten Frauen auf der Leinwand setzte sie eine Inszenierung der Selbstermächtigung entgegen. Lange bevor es Konzepte von »Empowerment« gab, eignete sich die Künstlerin den Namen der Zigarettenmarke »Smart Export« an: Die leicht vergilbte Originalpackung von 1967, die jetzt in einer Vitrine im Moskauer Zentrum für zeitgenössische Kunst zu sehen ist, vermit­telt natürlich nur noch einen Hauch der Bedeutung die­ses emanzipatorischen Akts.

Weniger von ihrer Wirkung eingebüßt haben dagegen beispielsweise die Fotos »Aus der Mappe der Hundigkeit« (1968), auf de­nen die Künstlerin ihren Kollegen Peter Weibel an der Leine durch Wien führt. Weibel, einer der großen Zampanos des Kunstbetriebes, auf den Bildern angeleint und auf allen Vieren, das hat schon etwas. Um Effekthascherei geht es Export allerdings nie. So bezieht sich die Performance auf einen Holzschnitt aus dem frühen 16. Jahrhundert, auf dem eine Frau auf dem Rücken eines Mannes reitet. Ähnlich verfährt Export auch in einer Serie aus den siebziger Jahren, in der sie Fotos von Frauen bei der Hausarbeit vor klassische Werke der Kunstgeschichte montiert hat, auf denen Frauen in vergleichbaren Posen zu sehen sind. Werke wie die so entstandene »Strickmadonna« (1976) sind der ästhetischen Theorie des französischen Philosophen Jacques Rancière zufolge kon­traproduktiv. Das Politische in der Kunst, meint Rancière, ergebe sich gerade nicht aus der Vermittlung von Botschaften. Auch die Darstellung von Strukturen ist dem gegenwärtig in Kunstkreisen gerne zitierten Theore­tiker zu simpel.

Gerade darin aber besteht eine Stärke von Valie Exports Arbeiten. Die strukturellen Benachteiligungen von Frauen in der Kunst und anderen Bereichen zäh­len bis heute zu ihren Themen. 1970 ließ sich die Künstlerin einen Strumpf­halter auf den linken Oberschenkel tätowieren, als »Zeichen einer vergangenen Versklavung«. Als Markierung auf der eigenen Haut immer gegenwär­tig, ist die feministische Kampfkunst eben stets auch Vergangenes und vor allem nichts, auf das sich Exports Werk reduzieren ließe.

Auch die Geschichte der modernen Medienkunst ist von ihr geprägt. Mehrere Super-8-Projektoren, die in der Eka­terina Foundation vor sich hinrattern, zeigen das. Auf einer Leinwand sehen die Betrachterinnen und Betrachter eine dreigeteilte Ansicht: die Künstlerin selbst sowie das, was vor, und das, was hinter ihr geschieht. Dafür hatte sich Export je eine Kamera vor die Brust und auf den Rücken geschnallt, eine dritte nahm sie dabei auf, wie sie mit den filmenden Geräten umherlief. So banal wie fundamental wird auf diese Weise die gegenseitige Abhängigkeit von Körper, Raum und Blicken veranschau­licht.

Vorbereitet werden die Besucher auf die Untersuchungen von Wahrneh­mungs­strukturen auch durch die »analytischen Fotografien«, von denen einige im ersten der drei Räume der Foundation hän­gen. Bevor Hobbyfotografen mit unzulänglichen Weitwinkelobjektiven Panoramabilder fabrizierten, indem sie leicht versetzt aufgenommene Fotos nebeneinander in ihre Alben klebten, hat es Export schon getan. Nur ging es ihr um die Technik, nicht um die Mo­tive. Und um eine grundlegende Erkenntnis der späteren Cultural Studies: dass nämlich Rezipienten an der Herstellung des Wahrgenommenen mitwirken.

Insofern dürfte hier schließlich auch Jacques Rancière seine Freude haben. Denn er behauptet, die Kunst besitze »eine eigene Politik«, unabhängig von den Inhalten, die die Künstler vermitteln wollen. Und diese Politik entstehe dort, so Rancière, wo Schein und Wirklichkeit neu konfiguriert werden. Daran arbeitet Export seit mehr als 40 Jahren. Der Kern ihres gesamten Schaffens sei es, sagt sie, die »Wahrnehmung, das Konzept und die Darstellung der Realität in Frage zu stellen«.

Die zweigeteilte Werkschau in Moskau legt einen Schwerpunkt auf Exports Werke aus den sechziger und siebziger Jahren. Damals arbeitete die Künstlerin an einem erweiterten Begriff des Kinos, am »Expanded Cinema«, fertigte konzep­tuelle Fotografien an und verband beides mit Performances. Auch in dieser Verknüpfung der Medien und Genres war sie wegweisend für nachfolgende Künst­lergenerationen.

In ihren Installationen aus den achtziger und neunziger Jahren verwendet Export häufiger explizite Bilder: Man sieht durch elektrischen Strom ums Leben gekommene Menschen oder die Beschneidung von Frauen. Was wie ein Horrorkabinett menschlichen Leidens wirkt, zielt aber nicht auf Emotionen, sondern führt die Analyse von Machtverhältnissen fort. Die späteren Werke setzen dabei aber eher auf die metaphorischen Bedeutungen von Materialien als auf Konzeptuelles.

Daran schließt Export mit einer eigens für die Moskauer Schau gefertigten Arbeit an. In einer mehrere Quadratmeter großen Wanne voll Altöl steht ein turm­artiges Metallgerüst, das mit Kalaschnikows behängt ist. Daneben steht ein Tisch mit zwei Bildschirmen. Auf dem einen laufen Bilder von Hinrichtungen in China, der andere zeigt Filmaufnahmen aus dem Bürgerkrieg im Irak. Im Gegensatz zu manchen Biennale-Videos ist das Arrangement um den Kalaschnikow-Baum für die Prada-Taschen der »neuen Bourgeoisie«, wie der Kunstkritiker David Riff von der Gruppe »Chto Delat?« (»Was tun?«) das Moskauer Kunst­publikum nennt, vermutlich doch zu sper­rig.