Ein Lichtschwert genügt nicht

Die Raketenabwehr funktioniert noch nicht, und die Raketen, vor denen sie schützen soll, gibt es noch nicht. Dennoch könnte das System in Zukunft für die USA von Nutzen sein. von jörn schulz

Luke Skywalker kann mit dem Lichtschwert auf seine Feinde eindreschen, ohne sich Sorgen über die Energiezufuhr oder das Wetter machen zu müssen. Sein Fan Generalleutnant Henry Obering glaubt, das US-Militär sei auch bald so weit. »Wir unternehmen einen großen Schritt, um dem amerikanischen Volk sein erstes Lichtschwert zu geben«, sagte er bei der Präsentation der YAL-1A, eines mit einer Laserkanone bestückten Jumbo Jets, der feindliche Raketen in der Startphase abschießen soll.

Das »Lichtschwert« ist weniger hand­lich, es wiegt sechs Tonnen. Dass die Energie nur für einen Schuss reicht, ist nicht weiter schlimm. Denn die Rakete ist ohnehin so schnell entschwunden, dass die Jedi-Knappen im Jumbo nur eine Chance haben. Problematischer ist, dass Laserstrahlen von Regen und Wolken gebrochen werden, man sich aber nicht darauf verlassen kann, dass jene, die der dunklen Seite der Macht verfallen sind, ihre Raketen nur bei Sonnenschein starten.

Ist die Rakete dem Laserstrahl entkommen, soll sie von den Abwehrraketen der Ground-Based Midcourse Defense abgefangen werden, bevor sie sich dem Ziel nähern kann. Für den Fall, dass auch das nicht klappt, ist ein drittes System vorgesehen, um sie kurz vor der Detonation zu zerstören.

Offenbar haben auch die Planer des US-Raketenabwehrprogramms National Missile Defense (NMD) kein allzu großes Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der neuen Waffensysteme, andernfalls könnten sie sich ja mit einem begnügen. Bislang gab es noch keinen gelungenen Abschuss unter realistischen Bedingungen. »Das Pentagon und seine Auftragnehmer haben einen Test nach dem anderen gefälscht«, sagt Robert M. Bowman, Oberstleutnant i.R. und Mitarbeiter im SDI-Programm Ronald Reagans.

Allerdings ist die andere Seite auch nicht weiter. Die NMD richte sich gegen »kleine potenzielle Bedrohungen durch Raketen, zum Beispiel aus dem Iran«, sagte US-Außenministerin Condoleezza Rice in der vergangenen Woche. Doch weder der Iran, Nordkorea noch andere potenzielle »Schurkenstaaten« verfügen über Interkontinentalraketen, und die meisten Experten gehen davon aus, dass dies in den nächsten zehn Jahren so bleiben wird. Es scheint so, als würde ein nicht funktionierendes Abwehrsystem gegen nicht existierende Raketen aufgebaut.

Auf die Kritik aus der EU reagierte Daniel Fried, Staatssekretär im US-Außenministerium, in der vergangenen Woche mit der Behauptung, die Stationierung von NMD-Systemen in Polen und Tschechien sei »Teil der europäischen, nicht der amerikanischen Verteidigung«. Die Bedrohung durch iranische Mittelstreckenraketen, die Teile Europas erreichen könnten, ist ein realistischeres Szenario. Doch man muss sehr idealistische Vorstellungen von der transatlantischen Solidarität haben, um glauben zu können, dass NMD, für dessen Aufbau die bislang eingeplanten 60 Milliarden Dollar nur eine Startinvestition sind, vornehmlich dem Schutz undankbarer Europäer dient.

Die Raketenabwehr ist »das fehlende Verbindungsglied für einen Erstschlag«, stellt Bowman im Jahr 1986 fest. Das SDI-Programm hätte die USA vor der sowjetischen Reaktion auf den Einsatz von Atomwaffen schützen können, wenn es funktioniert hätte. Die neuen Raketenabwehrsysteme sollen »eine sichere Basis für die Entfaltung der Macht der USA überall in der Welt« und die »Erhaltung der nuklearstrategischen Überlegenheit« gewährleisten, forderte im Jahr 2000 ein Memorandum des Project for a New American Century. Dem einflussreichen Think Tank gehören unter anderem Vizepräsident Dick Cheney und der ehemalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld an.

Anders als in den achtziger Jahren geht der Aufbau des Raketenabwehrsystems nicht mit der Stationierung neuer Angriffswaffen einher. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass mit dem Aufbau der ersten Raketenabschuss- und Radaranlagen konkrete Aggressionspläne verbunden sind. Militärstrategen müssen langfristig denken, schon weil es mindestens zehn Jahre dauert, bis ein von ihnen erdachtes Waffensystem einsatzfähig ist. Die NMD ist ein auf Jahrzehnte angelegtes Programm.

Es richtet sich unter anderem gegen die von Rice angeführten »kleinen Bedrohungen«, gegen Raketenangriffe aus dem Iran oder anderen Staaten, die in Zukunft Massenvernichtungswaffen und weitreichende Trägersysteme entwickeln könnten. Dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt zu verkünden, da im UN-Sicherheitsrat über schärfere Sanktionen gegen den Iran debattiert wird, ist eigentlich das, was man in der Politik »ein falsches Signal« nennt. Präsident Mahmoud Ahmadinejad kann zur Kenntnis nehmen, dass die US-Außenministerin nicht glaubt, ihn an der Entwicklung von Atomwaffen und Trägerraketen hindern zu können.

Ein Zeichen von Stärke ist eine solche Haltung nicht. Vielmehr scheinen sich die USA auf eine Zukunft einzurichten, in der ihre Macht mehr und mehr in Frage gestellt wird. Es wirkt zwar kurios, wenn US-Politiker die Aufrüstung Chinas kritisieren, mit dessen jährlichem Militärbudget das Pentagon nicht einmal einen Monat auskommen würde. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass Konkurrenten auf Kosten der USA an Einfluss gewinnen. Damit wächst die Gefahr von Stellvertreterkriegen, aber auch direkte militärische Konfrontationen im Kampf um den Zugang zu knapper werdenden Rohstoffen sind nicht ausgeschlossen.

Wenn es gelingt, die technischen Probleme zu lösen, kann die NMD auch gegen »große Bedrohungen« in Stellung gebracht werden. Das US-Militär würde dann nur eine weit höhere Zahl von Abwehrraketen benötigen. Vor allem China, das nur über etwa 30 Interkontinentalraketen verfügt, muss eine Entwertung seines Arsenals befürchten und dürfte dies zum Anlass nehmen, modernere Nuklearwaffen zu entwickeln. Russland hat das bereits getan. Viele der knapp 400 Interkontinentalraketen können, wie die Topol-M, ihren Kurs während des Fluges ändern und »Köder« abwerfen, was ihre Zerstörung erheblich erschwert.

Die Entwicklungsarbeiten für die Topol-M begannen 1991, damals wusste jeder, dass SDI gescheitert war, und es sollten noch acht Jahre vergehen, bis unter Präsident Bill Clinton die NMD beschlossen wurde. Dass die mit Abstand stärkste Atommacht weiter aufrüstet, ist für die Konkurrenten eine willkommene Legitimation für die Modernisierung ihrer eigenen Arsenale. Es gibt jedoch keinen Anlass für die Annahme, dass sie darauf verzichten würden, wenn die USA es tun. Schließlich richten sie ihre Raketen nicht nur auf Amerika. In einem Konflikt um die Hegemonie in Asien könnten auch Indien, Russland und China aneinandergeraten.

Die ökonomische Überlegenheit der USA schwindet, und die konventionelle Streitmacht war bislang nicht in der Lage, die Kriege im Irak und in Afghanistan zu gewinnen. Die nukleare Überlegenheit ist von zweifelhaftem Nutzen. Rund 100 Atombomben würden genügen, um die ökonomisch relevanten Gebiete der USA in eine radioaktive Wüste zu verwandeln, egal mit wie vielen Raketen man zurückschlagen kann. Die »multipolare Welt«, die der russische Präsident Wladimir Putin so gerne fordert, ist längst eine Realität, auch wenn ein Pol noch wesentlich stärker ist als die anderen.