Für jeden was dabei

Jean-Marie Le Pen vom rechtsextremen Front National vertritt in seiner Wahlkampagne widersprüchliche Thesen. So will er offenbar Stimmen von vielen Seiten gewinnen. von bernhard schmid, paris

Hinsetzen, den Mund halten und möglichst intelligent dreingucken: Darauf beschränkt sich die Rolle, die dem ehemaligen rechtsextremen Chefideologen Bruno Mégret im Wahlkampf zukommt. Am vorletzten Sonntag durfte er zwar an einer Großveranstaltung seines ehemaligen Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen in Lyon teilnehmen und sich auch vom Publikum auf Aufforderung hin applaudieren lassen. Aber als Redner auftreten durfte er nicht.

Bruno Mégret war dereinst der »Generalbeauftragte« Le Pens für die Strategie und Ideologie des Front National (FN). Unter seiner Führung haben sich zum Jahreswechsel 1998/99 über die Hälfte der Kader, Funktionäre und der rechtsextremen Intellektuellen von der rechtsextremen Partei abgespalten. Hauptgrund war der Anspruch auf Alleinherrschaft, den Le Pen erhob. Mégret gründete eine eigene Partei, das Mouvement national-républicain (Nationale und republikanische Bewegung MNR), das Projekt blieb aber ohne Erfolg.

Mégret verkündete inzwischen, dass er »ohne Gegenleistung« die Präsidentschaftskandidatur Le Pens unterstütze. Über die weitere Rolle des Resteverwalters des MNR wurde daraufhin in den Reihen des Front National wochenlang heftig gestritten. Die »Modernisierer« rund um Marine Le Pen, die Tochter Le Pens, und ihren Vertrauten, den 36jährigen Generalsekretär der Partei, Louis Aliot, waren strikt dagegen, dass Mégret eine größere Rolle spielte.

Anders sahen das die Altkader des Front National, dieselben, die dereinst an seinem Ausschluss aus der Partei mitgewirkt hatten: etwa sein Nachfolger im Amt des »Generalbeauftragten für Strategie«, Bruno Gollnisch, der »Sozialpolitiker« Carl Lang und einige andere. Ihnen zufolge sollte Mégret ruhig eine Rede halten, da sie sich davon eine Aufwertung des »traditionell« orientierten Flügels erhofften. Letztlich durfte Mégret in Lyon aber nur auf dem Podium sitzen und lauschen, wie Le Pen vom »unvergänglichen Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei« unter französischer Führung schwärmte.

Und noch weitere Persönlichkeiten durften Le Pens Show in Lyon mit ihrer schweigenden Anwesenheit beehren. Beispielsweise Pierre Vial, einer der Vordenker jenes neuheidnischen Flügels, der ein »indoeuropäisches Kulturerbe« außerhalb des »jüdisch-christlichen Monotheismus semitischer Herkunft« bewahren möchte. Vial war bei der Abspaltung Mégret gefolgt, wandte sich aber bereits im Jahr 2001 enttäuscht von ihm ab. Er ist Kommualparlamentarier in Villeurbanne bei Lyon und Leiter eines unabhängig agierenden Zirkels namens »Terre et peuple« (Erde und Volk). Neben ihm saß auch Claude Reichman auf der Tribüne, eine der Führungspersonen der thatcheristischen, radikal wirtschaftsliberalen Vereinigung mit katholischer Einfärbung namens »La Révolution bleue« (Die blaue Revolution) und Präsident einer »Bewegung« für die Privatisierung der Krankenversicherung.

Nicht gekommen war Bernard Antony, der frühere Anführer des katholisch-fundamentalistischen Parteiflügels des Front National. Er ist im Frühjahr 2006 aus Protest gegen die »Modernisierungstendenzen« und gegen den mit ihnen verbundenen Aufstieg von Marine Le Pen aus der Partei ausgetreten. Er habe keine Lust, 1 000 Kilometer aus der Gegend um Toulouse nach Lyon zu reisen, nur um schweigend auf der Tribüne zu sitzen, sagte er.

Den Erfolg der Partei sichern heute jedoch nicht rechtsextreme Figuren wie An­tony und Vial, sondern vor allem Le Pen und seine Tochter mit ihren Auftritten im Fernsehen. Sie wenden sich mit widersprüch­lichen Thesen und Angeboten an ihr Publikum. Jean-Marie Le Pen kann diverse unterschiedliche ideologische Konzepte vertreten, ohne dass es zu einem folgenschweren Protest in seiner Partei käme. Im Jahr 1999 war das noch anders. Damals übte sich die Führung der Partei zum ersten Mal in der Pose, die Hand auch zu den Franzosen migrantischer Herkunft auszustrecken. Altkader wie Jacques Bompard, der Bürgermeister von Orange, Bernard Antony und Carl Lang protestierten damals heftig, Bompard verließ später wie Antony die Partei.

Im Februar dieses Jahres profilierte Le Pen sich mit der überraschenden Äußerung, dass die im Lande lebenden Einwanderer für ihn auch zur nationalen Gemeinschaft zählten, auch wenn freilich keine neuen Immigranten hinzukommen sollten. Zuletzt sorgten Berichte für Aufsehen, die davon sprachen, dass Le Pen unter den Einwanderern und in den Banlieues um Stimmen werbe. Einige migrantische Rap-Musiker haben sich inzwischen sogar mit Le Pen getroffen. (Jungle World, 9/07)

Anfang März aber verschärfte Le Pen seine Reden über die Einwanderung erneut. »Man wirft mir vor, mich nicht um die Kinder der Illegalen zu sorgen«, sagte er in Marseille unter Anspielung auf die anhaltenden Proteste gegen die Abschiebung schulpflichtiger Kinder und Jugendlicher. »Aber natürlich kümmere ich mich auch um die Kinder. Deshalb werden sie zusammen mit ihren Eltern abreisen!« Mitte voriger Woche sagte er vor dem Verband der kleinen und mittleren Unternehmer (CGPME), dass man einer »schrecklichen Illusion« erliege, wenn man sich in Fragen der Immigration »gehen lasse«, denn: »Wir werden überschwemmt.«

Ähnlich widersprüchlich sind Le Pens Aussagen in der Sozialpolitik. Die Unterklassen sind in seiner Wählerschaft deutlich überrepräsentiert, und das Votum für ihn trägt oft Züge eines Wunschs nach sozialer Revanche: gegen »die, die auf ungerechte Weise reich geworden sind«, vor allem gegen »die Korrupten«, aber auch gegen »die Fremden, für die wir nicht länger bezahlen wollen«, wie es oft heißt.

Aber zugleich vertritt Le Pen ein Programm, das alles andere als soziale Wohltaten enthält. Auf der Veranstaltung des Unternehmerverbands wandte er sich gegen Arbeitszeitbeschränkungen wie die 35-Stunden-Woche und die Rente ab 60, die er abgeschafft sehen möchte. Hierfür erhielt er teilweise Applaus, obwohl seine Äußerungen zur Einwanderungspolitik reserviert aufgenommen wurden.