Koran rules o.k.

Das so genannte Koran-Urteil löst Empörung aus. Das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts, das Hizbollah-Fahnen auf Demonstrationen erlaubt, hingegen nicht. von udo wolter

Die öffentliche Entrüstung war so gut wie einhellig, als eine Frankfurter Familienrichterin einer Deutschen marokkanischer Herkunft die vorzeitige Scheidung von ihrem gewalttätigen Ehemann verweigerte, und zwar mit dem Hinweis auf ein angeblich im Koran verbürgtes »Züchtigungs­recht« des Mannes. »Die Ausübung des Züchtigungsrechts begründet keine unzumutbare Härte gemäß Paragraf 1565 BGB«, hatte die Richterin in ihrer Ablehnung des Antrags der jungen Frau argumentiert. Beide Eheleute entstammten schließlich dem marokkanischen »Kulturkreis«. Und »für diesen Kulturkreis« sei es »nicht unüblich, dass der Mann gegenüber der Frau ein Züchtigungsrecht ausübt«, meinte die Richterin in ihrer Begründung.

Als sich die allgemeine Empörung über diese Begründung entlud, wurde dem Befangenheitsantrag, den der Anwalt der jungen Frau gestellt hatte, stattgegeben und der Richterin der Fall entzogen. So weit, so gut, könnte man meinen, das korrektive Instrumentarium der Justiz hat funktioniert. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) bewertete den Fall auch als »Einzelfallentscheidung«. Dass die Richterin »davon ausgegangen ist, dass der Koran über dem Grundgesetz steht«, könne sie sich »schlechterdings bei einer deutschen Richterin gar nicht vorstellen«, sagte sie.

Genau diesen Eindruck aber hatten Kritiker des Urteils gewonnen. Schon früher gab es Urteile, etwa bei so genannten Ehrenmorden und anderen schwer­kriminellen Delikten, die dem Täter unter Hinweis auf die »islamische Kultur« mildernde Umstände gewährten. Dennoch ist es übertrieben, wenn Alice Schwarzer »das geltende Rechtssystem seit langem systematisch von islamistischen Kräften unterwandert« sieht. Aber Grund zur Entwarnung gibt es auch nicht. Denn es bedarf dieser Unterwanderung der Justiz gar nicht, um die von Schwarzer und anderen zu Recht kritisierten Urteile zu fällen. Es genügt bereits, die Täter wie ihre Opfer auf eine ethnisch oder immer häufiger religiös definierte, vermeintliche kulturelle Identität festzulegen, statt sie als Individuen mit gleichen staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten wahrzunehmen.

Diese Kulturalisierung ist nicht nur in der Justiz gang und gäbe. Auch die Hofierung von islamistisch dominierten Vereinigungen, wenn es um die staatsbürgerlichen Belange von »Menschen mit islamisch geprägtem Migrationshintergrund« geht, wie es oft heißt, gehört in diesen Zusammenhang. Die Juristin Seyran Ates, die im vergangenen Jahr ihre Kanzlei aus Angst vor Angriffen türkischer Männer schließen musste, kommentierte die Entscheidung der Richterin auf Spiegel online sarkastisch: »Im Grunde genommen hat sie nur das ausgesprochen, was in Deutschland längst Normalität ist, nämlich mit zweierlei Maß zu messen.«

Konservativen wie dem stellvertretenden Frak­tionsvorsitzenden der CDU, Wolfgang Bosbach, ging es auch noch um anderes. Er habe seit langem die Befürchtung, »dass wir nach und nach Wertvorstellungen aus anderen Kulturkreisen nach Deutschland importieren«. Der Hinweis auf das eigentlich Selbstverständliche, dass nämlich gültige und universell begründbare Rechtsgrundsätze wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht mit Hinweis auf den Koran – und auch nicht auf die Bestimmungen anderer Religionen – zu relativieren sind, wurde so von konservativer Seite umgehend mit einer kulturkämpferischen Abwehr »anderer Kulturkreise« verbunden. »Das Skandalurteil ist eine schlimme Bestätigung, dass wir unsere deutsche Kultur stärker verteidigen müssen«, sagte Edmund Stoiber (CSU) der Bild-Zeitung.

Die Rede von den »anderen Kulturen« zog sich jedoch auch durch Beiträge der politischen Gegenseite. Das zeugt von dem allgegenwärtigen Kulturalismus, der die Debatte beherrscht und an dem linke Multikulturalisten mit ihren Mystifikationen des »Anderen« mindestens ebenso beteiligt sind wie rechte Verteidiger der deutschen »Leitkultur«.

Die Islamisten vom Internetportal Muslim-Markt jedenfalls konnten sich freuen. Sie flunkerten: »Ein ›Züchtigungsrecht‹ gibt es im Islam in keiner einzigen Rechts­schule«, so als ob sie von den einschlägigen Fatwas etwa des islamischen Rechtsgelehrten Yussuf Al-Qaradawi nichts wüss­ten. Er räsonniert über das Aussparen der »empfindlichen Teile« beim Schlagen unbotmäßiger Ehefrauen, zugrunde liegt seinen Anweisungen die Koransure 4, Vers 34. Dort wird Männern mit Frauen, die sich »auflehnen«, empfohlen: »... meidet sie im Ehebett und schlagt sie!« Aber dies sei »alles Auslegungssache«, wie uns ein Artikel der Süddeutschen Zeitung nahe legt.

Aber es hat auch etwas Wohlfeiles, wenn sich nun alle über die Frankfurter Richterin echauffieren und auf den selbstverständlichen Vorrang des Rechtsstaats verweisen. Vor allem wenn man dem Spruch der Richterin ein Urteil gegenüberstellt, das weniger Beachtung fand. Das Berliner Verwaltungsgericht befand am Mittwoch voriger Woche über die Klage des »Menschenrechtsanwalts« Eberhardt Schultz und seiner Mandanten vom Deutschen Friedensrat. Diese hatten gegen ein Verbot geklagt, das der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) im vorigen Jahr erlassen hatte. Während einer Demonstration gegen den Krieg im Libanon, die im vergangenen August stattfand, durften keine Symbole der Hizbollah oder Bilder ihres Anführers Hassan Nasrallah gezeigt werden. Körting hatte das Verbot erlassen, nachdem bei vorangegangenen Demonstrationen von Anhängern der Hiz­bollah Porträts von Nasrallah getragen und Parolen gerufen worden waren wie: »Tod, Tod Israel!« Das Verwaltungsgericht aber hielt das Verbot für rechtswidrig und hob es auf.

Es verwies darauf, dass die Hizbollah nicht als ausländische terroristische Vereinigung einzustufen sei und ihre bloße Unterstützung als solche daher keine Straftat darstelle. In der Begründung hieß es außerdem, die in dem Zeigen der untersagten Symbole und Bilder liegende Parteinahme könne nicht dahingehend verstanden werden, dass mit ihr jede Äußerung oder Handlung der Hizbollah oder ihres Generalsekretärs gut geheißen oder unterstützt werde. Man stelle sich die Reak­tion, insbesondere der linken Öffentlichkeit, vor, wenn Gerichte ähnlich über das Zeigen rechtsextremer Symbole urteilten.

Bärbel Schindler-Saefkow vom Deutschen Friedensrat freute sich über das Urteil. Sie hoffe sehr, »dass auch unsere arabischen Freunde damit gestärkt werden«. Die Nachrichtenagentur ddp überschrieb ihre Meldung zu dem Urteil mit der passenden Überschrift: »Hizbollah siegt vor Gericht.«