Nachrichten

Die Summe ergibt Null

Schorsch Kamerun. Vor 20 Jahren sang er noch: »Für immer Punk!« Diese Aussicht muss Schorsch Kamerun jedoch sehr abgeschreckt haben. Die Goldenen Zitronen machen seit geraumer Zeit nicht mehr die Musik für schnorrende Hundebesitzer mit Irokesenschnitt. Und Kamerun ist nicht nur Sänger, sondern inszeniert auch recht erfolgreich Theaterstücke. Hörspiele schreibt er auch. Für »Ein Menschenbild, das in seiner Summe null ergibt«, das vom WDR produziert und im September 2006 erstmals ausgestrahlt wurde, hat der Hamburger nun den Hörspielpreis der Kriegsblinden erhalten. Vor ihm wurden schon Heiner Müller, Ernst Jandl und Elfriede Jelinek mit dem Preis ausgezeichnet. Kamerun liefere »das Porträt einer Generation, die zwischen Mediengeschwätz, Lifestyle-Mode und Kaufwelt, zwischen verordneter Wahlfreiheit und allgemeiner Beliebigkeit keine Chance auf ein originales Leben, auf authentische Wünsche hat«, ließ die Jury verlauten. Wer die Texte der Goldenen Zitronen kennt, dürfte eine ungefähre Ahnung von dem Hörspiel haben. Böse Zungen werden wohl behaupten, wer einen Medienpreis erhalte, sei doch ebenfalls in der Welt des Mediengeschwätzes angekommen. Man ignoriere diese Stimmen und schließe sich an: Herz­lichen Glückwunsch, Schorsch Kamerun! (mst)

Nicht weinen!

Kate und Leonardo. »Titanic« war in der Tat ein wunderbarer Film. Sentimentale Menschen konnten hemmungslos in ihre Taschentücher weinen, während die Liebesgeschichte der Charaktere Rose und Jack eine schlimme Wende nahm. Zyniker durften schenkelklopfend zusehen, wie Leonardo Di Caprio im eisigen Wasser ersoff. Die Hauptdarsteller Kate Winslet und Di Caprio wurden zu einem Traumpaar der Filmgeschichte. Die Produktionsfirmen BBC Films und Dream­works wollen sich anscheinend dieses Image zunutze machen. Die beiden Schauspieler werden in dem Film »Revolutionary Road« ein junges Ehepaar spielen. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von Richard Yates aus dem Jahr 1961. Yates beschreibt darin das Leben eines überaus durchschnittlichen Ehepaars in den von Konformität und dem Streben nach Sicherheit geprägten USA der fünfziger Jahre. Die Träume der beiden werden enttäuscht. Die Ehe scheitert. Das klingt natürlich nicht nach einer romantischen, mit »Titanic« vergleichbaren Geschichte. Andererseits dürften die Angestellten in den Kinos auch froh sein, wenn sie nicht nach jeder Vorstellung zahl­lose feuchte Taschentücher vom Boden aufsammeln müssen. (mst)

Die Waffen-SS schlägt zurück

Günter Grass. »So mach ich mich stark gegen den Andrang kommen­der Tage. Mag doch das gleichgesinnte Pack mir seine Ekelpakete druckfrisch frei Haus liefern; ich verweigere die Annahme«, so denkt es in Günter Grass. Dabei ist das einzige Druckerzeugnis, das dieser Tage die Bezeichnung »Ekelpaket« verdient, wohl sein eigener Gedichtband »Dummer August«. Er ist in der vergangenen Woche erschienen. Die Zeilen sind darin zu finden. Er habe die Emotionen verarbeitet, die angesichts der Debatte um seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS aufgekommen waren, sagte der Schriftsteller in einem Interview. Die »mediale Inszenierung« im Sommer 2006 sei an »Niedertracht« nicht zu überbieten gewesen, man habe einen »Vernichtungsversuch« an ihm unternommen, äußerte er sich weiter. Als ehemaliges Mitglied von Himmlers Elitetruppe dürfte er sich mit den Fragen der »Vernichtung« ja bestens auskennen. Dafür hapert es halt bei der Schreibe. Deshalb gibt es eigentlich nur eins: Man nehme »Dummer August«, »Beim Häuten der Zwiebel«, »Im Krebsgang« und den anderen konventionellen Plunder, den Grass geschrieben hat, und lese ihn, wenn es schon sein muss, als Einschlaf­hilfe. (mst)

Iggy Flop

The Stooges. Man kann es in der Tat kaum fassen. Man schaut noch einmal auf das Cover, holt die CD aus dem Gerät, vergewissert sich. Es gibt keinen Zweifel. Man hört tatsächlich die neue Platte der Stooges, »The Weirdness«. Man schüttelt den Kopf und fragt sich: Was soll das? Iggy Pop nölt und quengelt wie ein kleines Kind, dem der Einkaufsbummel der Eltern zu lange dauert. Er gibt sich keine Mühe, in irgendeiner Weise auf das Spiel der Band einzugehen. Warum auch? Scott und Ron Asheton und Mike Watt schrammeln vollkommen öde Songs herunter. Dabei hatte niemand ein revolutionäres Werk erwartet. Aber eine Platte, die Besseres bietet als eine Schülerband an einem schlechten Tag im Proberaum, hätte doch möglich sein müssen. (mst)

Von China lernen

Internet-Überwachung. Als in den neunziger Jahren das Internet langsam wuchs, sprachen viele von den unendlichen Möglichkeiten, von dem »anarchischen, neuen Raum«, von der »Revolution«. Nun ja, etliche Blasen sind mittlerweile geplatzt. Und niemand würde noch behaupten, im Cyberspace herrsche die Meinungsfreiheit uneingeschränkt. Die staatliche Zensur nehme im Internet immer stärker zu, sagt die Open Net Initiative, eine Akademikergruppe verschiedener US-Hochschulen. Sie stellte in der vergangenen Woche ihre Forschungen der Öffentlichkeit vor. In China, im Iran, in Saudi-Arabien, in Usbekistan und einigen weiteren Ländern durchdringe die Kontrolle mittlerweile alle Bereiche des Netzes. In China gebe es 30 000 Internetpolizisten, die mit der Hilfe westlicher Firmen mit der nötigen technischen Ausrüstung versehen würden. Außerdem sei in den vergangenen sechs Monaten zu beobachten gewesen, dass etliche Länder sich ein Beispiel an den chinesischen Methoden nähmen. In Mitteleuropa sei die Situation nicht ganz so schlimm. »Die Möglichkeiten zur Online-Durchsuchung und Bespitzelung von Computern von Privatpersonen betrachten wir natürlich auch mit Sorge«, sagte jedoch eine Vertreterin der Organisation »Reporter ohne Grenzen« ebenfalls in der vergangenen Woche. Na dann, fröhliches Surfen! (mst)