Déjà-vu im Märchenwald

platte buch

Hach, man könnte meinen, die halbe Welt wolle Bianca und Sierra Casady mit Küssen bedecken. So verliebt scheinen alle in das Werk »The Adventures Of Ghosthorse And Stillborn«, das dritte Album der beiden CocoRosie-Schwestern. Das liest sich hoffentlich so lästerlich, wie es gemeint ist. Denn bei aller anfänglichen Sympathie für die neueren Spielarten von Folk reagiert man spätestens seit Joanna Newsoms CD »Ys« aus dem vergangenen Jahr eher mit einer gewissen Abneigung auf das extravagante, extrovertierte Weird-Folk-Spiel mit allerlei Fein- und Kunstsinnigem.

Dennoch sind die Fans von CocoRosie zurzeit glücklich, auch der interessanten Geschichten wegen, die man zuletzt lesen konnte. Geschichten über inspirierende nächtliche Spaziergänge auf Friedhöfen, intensives Teeschlürfen während der Arbeit am neuen Album, den Einfluss der Bibel auf sehr intuitive Songs, die anregende Ruhe auf dem Land in Südfrankreich. Zum Wort »Intuition«, das die beiden noch häufiger benutzen als »Inspiration«, passt eine Aussage wie diese ausgezeichnet: »Wenn uns eine Melodie erschüttert, dann löst das etwas Emotionales in uns aus.« Wie wahr!

Was wollen die neuen Songs? Dasselbe wie die älteren: den Hörer verzaubern, ihn Märchenwälder, Elfen und traurige Clowns herbeiassoziieren lassen. Ein weiteres Mal maunzen sich die Casadys katzengleich durch Folk, Kunst- und Kinderlieder, lassen Spieluhren ticken, treten auf Spielzeug usw. Sie setzen, in anderen Worten, auf ihre bewährte Formel, mit möglichst skurrilem und eigensinnigem Firlefanz einen möglichst großen ästhetischen Effekt zu erzielen.

Haben wir etwas vergessen? Oh ja! Das Neue, das heißt die synkopierten Beats und Computerrhythmen, mit denen sie einige Songs unterlegt haben. Für manchen Fan sicher ein großer Schritt, aber im Grunde bloß ein marginales Detail auf dieser wiederholten Reise ins Reich narzisstisch überzogener Gesten.

michael saager

CocoRosie: The Adventures Of Ghosthorse And Stillborn (Touch&Go/Soulfood)