Kein Drama

Filbinger und Hochhuth von stefan ripplinger

Entweder sind Philipp Jenninger und Günther Oettinger couragierte Männer oder sie sind Narren. Der eine fühlte sich so unheimlich gut in einen Nazi ein, dass die Rollenprosa vom Bekenntnis nicht mehr zu unterscheiden war. Der andere ernannte einen unbelehrbaren Apparatschik zu einem Mitglied des alle umfassenden Kollektivs der Nazigegner.

Vor allem aber machte der eine wie der andere aus Mord eine ziemlich alltägliche, ziemlich gewöhnliche Sache. Und das zu hören gefiel niemandem in Deutschland, denn es ist die Wahrheit. Am Mord waren indirekt oder direkt alle beteiligt, ob sie es wollten oder nicht. Er habe sich, wie Oettinger Hans Filbinger nachrief, »den Zwängen des Regimes« nicht entziehen können. Aber das heißt doch, dass er den Zwängen nachgegeben hat, »wie Millionen anderer«. Dass die Millionen bloß gute Miene zum bösen Spiel gemacht hätten, ist das Zuckerl, mit dem Jenninger und Oettinger ihre bittere Medizin verabreichten.

Doch wer sich den Zwängen des Regimes nicht entziehen kann, kann sie dennoch gutheißen. »Wolle, was du musst«, heißt ein deutscher Imperativ. Oder hat Filbinger, der einen Deserteur hinrichten ließ, als der Krieg fast schon vorbei war, nicht bloß im Dienst von Recht und Pflicht gehandelt? War er gar ein »sadistischer Nazi«, wie Rolf Hochhuth behauptet? Das Verdienst, Filbingers Todes­urteile der Öffentlichkeit bekannt gemacht zu haben, kommt Hochhuth zu. Aber er wäre kein erfolgreicher Dramatiker, hätte er nicht die trübe Geschichte als dramatischen Kampf zwischen Gut und Böse inszeniert.

Auf der Seite des Bösen stehen bei ihm Filbinger und Papst Pius XII., auf der Seite des Guten der Holocaust-Leugner David Irving und Kurt Gerstein. Gerstein, der bei der Waffen-SS die »Gesundheitsabteilung« leitete und das Zyklon B für die KZ bestellte, gab an, er habe diese Stellung nur ergriffen, um die Wahrheit herauszufinden und der Welt kundzutun. Gewiss, das ist im Einzelnen nicht mehr aufzuklären, und gewiss, auch Filbinger behauptete, er habe Menschen das Leben gerettet. Doch wie es sich wirklich verhielt, ist übrigens ganz egal, denn mit dem von Gerstein georderten Zyklon B wurden Tausende vergast und der von Filbinger verurteilte Matrose Walter Gröger wurde hingerichtet, noch im März 1945.

Die Geschichte ist kein Schmierentheater, und was Eichmann, Filbinger oder Gerstein antrieb, ob es Pflichtbewusstsein, Rechtsgefühl oder Gewissensnot war, verblasst durchaus angesichts der Leichenberge, zu denen der eine mehr, der andere weniger beigetragen hat. Ob ein Soldat der Waffen-SS, als er auf den Führer schwor, die Finger hinterm Rücken gekreuzt hielt, ob der eine den Mordbefehl aus freien Stücken, der andere ihn zähneknirschend unterschrieb, ändert nicht viel. Es ändert nichts an den Morden.

Kurz nach dem Erfolg des Stücks wurde Kurt Gerstein, der Held aus Hochhuths »Stellvertreter«, vom damaligen Ministerpräsidenten, späteren Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger rehabilitiert, der bereits unter Ribbentrop gedient hatte und noch bis 1945 Mitglied der NSDAP war. Dieser Treppenwitz illustriert aufs Grellste, was geschieht, wenn Geschichte auf die Bühne kommt. Sie wird zur Farce. Nun zeigt einer, für den Irving ein »ehrenwerter Mann« ist, mit dem Finger auf Oettinger. Hochhuth ist zu danken, dass er Filbinger zu Fall brachte. Aber zum Verständnis des NS hat Günther Oettinger unfreiwillig mehr beigetragen, als er von den »Millionen anderer« sprach.