Kopftuch vs. Bikini

Gegen Kulturchauvinismus und Kulturrelativismus macht Thomas Maul einen »kritischen Universalismus« stark. Der erschöpft sich allerdings schnell.

In Debatten um den islamischen Fundamentalismus stehen sich gewöhnlich zwei Überzeugungen gegen­über. Chauvinistische Zivilisationsmissionare behaupten eine Überlegenheit der »westlichen Kultur« und wollen den Rest der Welt ihrer Ideologie entsprechend reformieren. Kulturrelativisten bestreiten hingegen universelle Beurteilungskriterien und beharren darauf, dass kulturelle Unterschiede nicht angetastet werden dürften. Beide Ansichten gehen letztlich von einem un­gesell­schaft­lichen und unhistorischen Verständnis von Kultur aus, in dem religiöse Praktiken von gesellschaftlichen Widersprüchen und Auseinandersetzungen abgelöst werden.

Thomas Mauls Buch »Die Macht der Mullahs« hebt sich davon zunächst vielversprechend ab. Nicht nur hält der Autor fest, dass »die hegemonialen Werte des Orients wie des Westens in den jeweiligen Gesellschaften stets umkämpft waren und sind«. Er reklamiert zudem eine dritte Position gegen Kultur­chauvinismus und -relativismus, die er als »kritischen Universalismus« bezeichnet. Dieser gehe u.a. davon aus, dass »die Idee einer Gleichberechtigung von Mann und Frau zwar zuerst im Westen entstand und allmählich gegen Widerstände im Westen durchgesetzt wurde«, dass es sich dabei jedoch »nicht um eine ›westliche‹, sondern um eine universale Idee handelt, um die auch im Orient gerungen wird«.

Bedauerlicherweise erschöpft sich Mauls kritischer Universalismus jedoch recht schnell. An seine Stelle tritt, was mittlerweile symptomatisch für die Entwicklung einer bestimmten linken Islamis­mus­kritik ist: eine einfache Umkehrung des Kultur­relativismus, gepaart mit orientalistischen Obertönen. Und diese erklingen nicht nur im Vokabular des Autors. Explizit wird über eine »Trägheit des ­Islam« informiert, darüber, dass »der islamische Ehrbegriff« im Gegensatz zum Christentum »ohne die Mittel von Verleugnung und Lüge« nicht auskomme. Zudem erklärt der Autor »die westliche Frauenemanzipation zum Erbe der christlich-abendländischen Tradi­tion«.

Hervorgegangen ist das Buch aus einer Debatte, die sich aus Anlass eines Berliner Hochschulseminars zum Kopftuch entzündet hatte. Letztgenanntes ist für Maul schlicht »das Symbol und Mittel spezifisch islamischer Verletzung des universalen, jedem menschlichen Individuum zustehenden Rechts auf körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung seiner Persönlichkeit«. Die zu Recht angeführten emanzipatorischen Kämpfe gegen die Verschleierung in islamischen Ländern erfüllen allerdings die Funktion, Auseinandersetzungen um das Kopftuch in Westeuropa in falscher Weise zu vereindeutigen.

Zwar finden sich auch hier progressive Bewegungen von Frauen, die sich des Kopftuchs entledigen. Das Lager seiner Verteidiger ist dadurch jedoch kein geschlossen reaktionäres. Einerseits besteht es aus islamischen Patriarchen und Islamistinnen, die Proteste und Gerichtsprozesse gegen Kopftuchverbote organisieren und initiieren. Andererseits finden sich hier muslimische Frauen, die sich gegen Ansprüche der dominierenden Mehrheitsgesellschaft wehren; ein Anliegen, an dessen Wichtigkeit auch das gelegentliche und politisch fatale Bündnis mit den patriarchalen Kopftuchbefürwortern nichts ändert.

In den Konflikten um das Kopftuchverbot an staatlichen Schulen in Frankreich etwa waren die beiden Positionen deutlich wahrnehmbar. Neben Schülerinnen, die familiärem Druck und religiösen Drohungen ausgesetzt sind, standen solche, die sich oftmals gegen den Rat ihrer Eltern weigerten, den Schleier abzulegen und sich somit den autoritären Kontrolltendenzen des republikanischen Universalismus zu fügen.

Das Kopftuch ist daher nicht, wie Maul behauptet, unmittelbarer »Gegenstand emanzipatorischer Kämpfe«. Zugleich zeigt sich, dass eine kultur­rela­tivis­ti­sche Einordnung als ethnisches Symbol ins Leere geht. Ein adäquates, oder besser kritisch-universalistisches Verständnis des Kopftuches sollte von dieser Uneindeutigkeit ausgehen.

Zugleich würde ein kritischer Universalismus mit dem Ausleuchten und Infragestellen partikularis­tischer Positionen auch deren gesellschaftliche Kontexte berücksichtigen. Mauls Rechtfertigung für seine ständige Rede von dem Islam weist in die entgegengesetzte Richtung. Ein Großteil der Muslime sei weder zum liberal-säkularen Reformislam noch zum Islamismus zu rechnen, sondern zum »Milieu eines konservativ-orthodox praktizierten Alltagsislam«. Es sei unnötig, zwischen verschiedenen Formen des Islam zu unterscheiden, da dem Alltagsislam »Koran und Sunna in allen Lebensbereichen buchstäblich handlungsanleitend sind«.

Entsprechend fragt der Verfasser nach »textlicher Authentizität« und nicht nach den sozialen Zusammenhängen, in denen Texte wie der Koran Auslegung und Anwendung finden, geschweige denn, wer von den Gläubigen überhaupt lesen kann. So wird etwa die Schwäche des Reformislam einzig mit den Widersprüchen begründet, in denen dieser sich angeblich gegenüber der überlieferten Doktrin befindet. Man fragt sich, wie Maul in diese Behauptung die von ihm konstatierte Heterogenität in den Textquellen zum islamischen Recht integrieren will. Auch wüsste man gerne, wie durch einen reine Text­exegese z.B. die Entstehung des Protestantismus im Christentum erklärt werden soll.

Doch nicht nur methodisch, sondern auch politisch sind Mauls Überlegungen hochproblematisch. Ein kritischer Universalismus müsste die verschiedenen Herrschaftsverhältnisse thematisieren, denen muslimische Frauen ausgesetzt sind. »Die Macht der Mullahs« aber spielt die Relevanz von Rassismus systematisch herunter und identifiziert Kritik an Diskriminierung von Muslimen umstandslos mit Kulturrelativismus.

Die Behauptung, dass bei den Deutschen »weder von einer Angst noch von übertriebener Islamkritik oder gar -feindschaft die Rede sein« könne, straft jedoch eine jede Bürgerinitiative gegen Moscheebauten Lügen. Zudem stellt sich die Frage, wo in Deutschland jenseits von kleinen Initiativen versucht wird, »migrantisch-moslemischen Frauen bei ihrem Kampf um Emanzipation zu unterstützen« – in der Ausländerbehörde sicherlich nicht. Schließlich meint der Autor, sogar den baden-württembergischen Gesprächsleitfaden zur Einbürgerung, den so genannten Muslim-Test, gegen linke »Hysteriker« verteidigen zu müssen. Konsequenterweise soll Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) »das Erbe einer Linken« angetreten haben, »die sich einst gesellschaftlichen Fortschritt, Säkularismus und Humanität auf die Fahnen geschrieben hatte«.

Diese Kapriole wäre nicht weiter bemerkenswert, würde sich das vorliegende Buch nicht als kommunistische Kritik inszenieren. Darunter wird jedoch nicht die kollektive Aneignung des gesellschaftlichen Zusammenhangs im Namen »freier Gleichheit« verstanden. Vielmehr geht es dem Autor um einen ästhetisierenden Individualismus, der sich auf Nietzsche beruft und auf der Grundlage einer »Avantgardetheorie« zur Kritik subalterner »Sklavenmoral« ansetzt. Nach dieser Logik »erzeugt die Erniedrigung in den Erniedrigten Ressentiment«. Um diesem zu entkommen, sollten die Subalternen sich ihre Herren zum Vorbild nehmen, da »Bildung, Souveränität, Würde und Freiheit gerade den verhassten reichen, weißen, heterosexuellen Mann zum ›Menschen der Zukunft‹ machen«.

Mauls Universalismus erweist sich hier nicht nur als schlecht kaschierter Herrschaftspartikularismus. Er unterhält zudem ein höchst prekäres Verhältnis zur Geschichte. So präsentiert der Verfasser als Vorbild für sein paradoxes Projekt einer Zwangsbefreiung der muslimischen Frau die Abschaffung der Sklaverei in Nordamerika oder zumindest das, was er davon verstanden hat. »Befreiung, die den Namen verdient, war nie ausschließlich das Werk der Erniedrigten selbst.« Mit Oscar Wilde heißt es: »Die Sklaverei wurde in Amerika (sic!) nicht infolge irgendeiner Handlung oder etwa irgendeines Wunsches seitens der Sklaven nach Freiheit niedergerungen, sondern sie wurde bezwungen mittels des höchst illegalen Verhaltens gewisser Agitatoren in Boston und andernorts, die weder selbst Sklaven noch Sklavenhalter waren.«

Dumm nur, dass auch die Karibik zu Amerika gehört. Auf Haiti jedenfalls haben die Sklaven sich zwischen 1791 und 1804 selbst befreit, und zwar gegen britische, spanische und französische Invasionsarmeen. Für den »Menschen der Zukunft« darf jedoch nicht sein, was in der Vergangenheit gewesen ist: die Emanzipation der »Schwarzen Jakobiner« (C.L.R. James) im weltgeschichtlichen Ereignis der Haitianischen Revolution.

Dass der Weg vom Nietzscheanismus zur Misogynie nicht weit ist, illustriert Maul durch seine Beschimpfungen des linken Antisexismus. So beansprucht er zwar den Feminismus für sich, belegt aber Versuche, allen Formen männlicher Gewalt entgegenzutreten, mit dem, was der Untertitel des Buchs ankündigt: mit »Schmähreden«. Völlig wider­sinnig wird einerseits die Gleichsetzung von Kopftuch und Bikini als eine der »menschenverachtenden Relativierungen« des Kulturdifferentialismus beklagt, andererseits aber eine »Konvergenz zwischen Antisexismus und Islamismus« behauptet und diese u.a. über eine Vorliebe des erstgenannten für »unförmige Hosen und Kapuzenpullis« etabliert. Mauls Ausführungen kulminieren in der Behauptung, dass gerade Kulturindustrie und Pornographie Frauen eine selbstbestimmte Sexualität ermöglichten. Der Feminismus hat demgegenüber zum Glück auf Selbstbefreiung gesetzt.

Wer will, kann noch den Epilog zur Kenntnis nehmen, in dem in mittlerweile üblicher Manier Michel Foucaults Distanzlosigkeit gegenüber der schiitischen Revolte im Iran als Zustimmung zum Islamismus gedeutet wird. Maul meint sich hier besonders vehement von der Postmoderne abgrenzen zu müssen. Ob das daran liegt, dass er wie deren dümmere Varianten religiöse Praktiken von gesellschaftlichen Widersprüchen und Auseinandersetzungen ablöst?

Thomas Maul: Die Macht der Mullahs. Schmähreden gegen die islamische Alltagskultur und den Aufklärungsverrat ihrer linken Verteidiger. Ça ira-Verlag, Freiburg 2006, 14 Euro.