Nach uns die Sintflut

In der Linken wächst die Kritik am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Was nach dem geforderten Truppenabzug geschehen soll, sagen die Kritiker nicht. von stefan wirner

Diese Partei soll zur Hölle fahren.« Das war die polemischste Kritik an den Grünen, die in der vorigen Woche geübt wurde. Jürgen Elsässer, der Journalist und Mitarbeiter der Linksfraktion im Bundestag, forderte in der jungen Welt ein Verbot der Grünen, denn: »Wer wollte bestreiten, dass der Politik der Grünen in Jugoslawien und Afghanistan und anderswo weit mehr Menschen zum Opfer gefallen sind als der Politik der NPD?«

Aberwitzige Vergleiche dieser Art lassen nicht nur an der analytischen Kraft ihres Verfassers zweifeln, sondern gefallen auch den Neonazis. Der sächsische Landtagsabgeordnete der rechtsextremen Partei, Jürgen Gansel, lud umgehend zu Gesprächen ein: »Herr Elsässer, Herr Lafontaine, Herr Maurer – lassen Sie uns endlich in Querfront-Gespräche für einen nationalen und sozialen Politikwechsel in unserem Land eintreten!«

Reichlich Kritik, wenn auch im Ton etwas sachlicher, mussten sich die Grünen in der vorigen Woche gefallen lassen. Denn die Führung der Partei hatte es gewagt, die Ostermärsche zu kritisieren. Die Vorsitzende Claudia Roth und Winfried Nachtwei, der verteidigungspolitische Sprecher der Partei, bemängelten, dass die Aufrufe »notorisch wenig« dazu sagten, wie den internationalen Krisen begegnet werden könne. Der Blick verenge sich allzuoft auf die »pauschale Ablehnung des Militärischen«. Etliche Aufrufe erweckten den Eindruck, die US-Regierung, die EU und die deutsche Politik seien eine »einzige ›Achse des Bösen‹«.

Kritik dieser Art empört so manchen in der Partei, die nach wie vor einen gewissen Anteil an pazifistisch denkenden Mitgliedern aufweist. In der vorigen Woche gründete sich sogar eine »Grüne Friedensinitiative«. Wilhelm Achelpöhler, ein Sprecher des grünen Kreisverbandes Münster, sagte der Jungle World, die Gründung sei bereits seit längerem geplant gewesen. Auslöser sei u.a. die Diskussion über die Entsendung der Tornados der Bundeswehr gewesen. »Wir diskutieren eine ›kluge‹ Kriegsstrategie, das kann nicht sein«, sagte er. Deutsche Truppen seien nicht wegen der Rechte der Frauen in Afghanistan, sondern weil man geostrategisch nicht abseits stehen wolle. »Deutschland will dort selbstbewusst seine Interessen vertreten. Wir segeln im Windschatten der USA und sind gleichzeitig deren Konkurrenten.«

Auf die Vorwürfe, dass die Friedensbewegung keine Vorstellung davon habe, was in Afghanistan geschehen solle, wenn es zu einem Abzug der internationalen Truppen käme, sagte er: »Es ist nicht die Aufgabe der Friedensbewegung, sich Alternativen zur Weltordnung auszudenken. Wir müssen einen Plan entwickeln, wie ein Abzug organisiert werden kann. Wir haben ihn noch nicht, aber wir müssen ihn ausarbeiten.«

Die Mehrheit der Partei hat Achelpöhler mit seiner Meinung nicht hinter sich. Der Länderrat der Grünen, der am Wochenende in Bremen tagte, bekannte sich zur Anwesenheit der Bundeswehr in Afghanistan. Sie müsse jedoch auf »eine Assistenzfunktion für den zivilen Wiederaufbau« des Landes beschränkt werden, verlangte Roth.

Die Kritiker der Grünen meinen indes, dass ein Aufbau des Landes erst nach einem Abzug der internationalen Truppen möglich werde. Christine Buchholz aus dem Bundesvorstand der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (Wasg) sagte der Jungle World: »Die ›zivil-militärische‹ Kooperation verhindert, dass dort effektiv geholfen werden kann. Denn Militär dominiert in dieser ›Kooperation‹ und zivile Hilfe wird unglaubwürdig.« Es gebe nur eine Option: Abzug. Sie betont: »Es wird nur die Möglichkeit einer friedlichen und demokratischen Entwicklung geben, wenn die Einmischung von außen aufhört.«

Wie es zu einer demokratischen Entwicklung kommen soll, falls die Taliban die Macht wieder übernehmen, sagt sie nicht. »Wir entscheiden nicht über die Köpfe der afghanischen Bevölkerung hinweg, was gut für sie ist«, meint sie und hofft offenbar auf die afghanische Basisdemokratie. Was die Afghanen unter einem neuen Taliban-Regime überhaupt zu entscheiden hätten, bleibt ihr Geheimnis. Unter dem letzten Regime durften sie sich nicht mal rasieren.

Auch Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung sieht das größte Problem in der »Besatzung«. Diese stelle selbst »ein enormes Gewaltpotenzial« dar. »Allein durch die Isaf wurden nach eigenen Angaben im Jahr 2006 1 000 Zivilisten getötet.« Der Abzug führe zu einem Rückgang der Gewalt, und eine Machtübernahme der Taliban sei »kein zwingendes Szenario«.

Und überhaupt: Viel schlimmer als die Taliban scheinen die USA zu sein, und bedrohter als afghanische Mädchen, die zur Schule gehen wollen, ist offenbar die Sicherheit der Deutschen, Tausende von Kilometern fernab vom Hindukusch. Die Wasg befürchtet, dass Deutschland »in den Sumpf von Bushs Krieg gegen den Terror« hineingezogen werde, wie Buchholz in einer Presseerklärung schreibt. Der außenpolitische Sprecher der Fraktion der Linken, Norman Paech, macht sich ernsthafte Sorgen: »Deutschland wird ohne rechtliche Grundlage in den Afghanistan-Krieg hineingezogen und damit die Terrorgefahr in Deutschland erhöht.«

Die Grünen hingegen treibt weniger die Angst um, dass Deutschland in irgendetwas hineingezogen werden könnte. Die Partei dürfe kein Signal aussenden, dass sie sich auf dem schleichenden Ausstieg aus internationalen Verpflichtungen befinde, sagte Ralf Fücks in Bremen. Jürgen Trittin wandte sich gegen eine »Rückkehr zu den ganz einfachen Wahrheiten wie das Nein zu allen Auslandseinsätzen«. Die Rede von den »einfachen Wahrheiten« ist jedoch ein Hinweis darauf, dass den Wahrheiten der Grünen etwas Schwieriges und Unangenehmes anhaftet: das Verhältnis zum Militärischen.

Sie unterstützen zwar die Isaf-Mission, aber im November haben sie im Bundestag zum ersten Mal einer Verlängerung des Mandats für die Operation Enduring Freedom nicht zugestimmt. In deren Rahmen werden die Taliban vor allem im Süden des Landes bekämpft. Der grüne Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour, der der Isaf im Norden Afghanistans »eine sehr gute Arbeit« bescheinigt, zeigte sich vor kurzem besorgt: »Bis heute ist uns eine umfassende Bewertung über den Einsatz deutscher KSK-Soldaten im Rahmen der Operation Enduring Freedom vorenthalten worden.«

Was manche Soldaten der KSK im Kopf haben, lässt sich aber erahnen, wenn man das im extrem rechten österreichischen Verlag »Pour Le Mérite« erschienene Buch »Geheime Krieger« liest. Mitherausgeber ist Reinhard Günzel, der ehemalige Kommandeur des KSK. Er wurde im Jahr 2003 vom damaligen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) entlassen, weil er eine mit antise­mitischen Klischees versetzte Rede des früheren CDU-Politikers Martin Hohmann gelobt hatte.

Günzel hebt in dem Buch den »Korpsgeist« der Spezialkräfte hervor und schreibt: »Die Kommandosoldaten des KSK wissen genau, wo ihre Wurzeln liegen. Die Einsätze der ›Brandenburger‹, der Vorläufer sowohl der GSG 9 als auch der KSK, gelten in der Gruppe geradezu als legendär.« Die »Division Brandenburg« war ein Spezialkommando der Wehrmacht, das nach Darstellung der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft an Massakern an Juden in der Ukraine beteiligt war. Der ehemalige Kommandeur der »Division Brandenburg«, Wilhelm Walther, ist Mitautor des Buches.

Nach der Lektüre stellt sich die Frage, wie ausgerechnet mit einer Truppe, die sich anerkennend auf eine geheime Mörderdivision der Wehrmacht beruft, die Demokratie nach Afghanistan gebracht werden soll. Das Bild vom guten, helfenden deutschen Soldaten, der ein liebevolles Verhältnis zur afghanischen Zivilbevölkerung pflegt, lässt sich vielleicht nicht für alle Zeit aufrechterhalten.