»Die universitäre Bildung gerät aus dem Blick«

Axel Honneth

Axel Honneth lehrt Philosophie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Zudem ist er seit sechs Jahren geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozialforschung, eine Funktion, die vor ihm unter anderen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno ausgeübt haben. Der Kritischen Theorie fühlt sich auch Honneth verpflichtet. Im Jahr 1994 veröffentlichte er »Kampf um Anerkennung«, seine wohl bekannteste Arbeit, zuletzt erschien bei Suhrkamp »Verdinglichung – Eine anerkennungs­theoretische Studie«.

Ralf Hutter sprach mit ihm über die Veränderungen in der deutschen Universitätspolitik und die Möglichkeiten einer kritischen Wissenschaft.

Was fällt einem generalkritischen Philosophen heute bei dem Begriff »Universität« ein?

Nur Schlimmes, muss ich gestehen. Ich glaube, dass alle Reformen, die derzeit unternommen werden, sich die eigenen Voraussetzungen und Konsequenzen nicht hinreichend klar gemacht haben und es an einer generellen Zielbestimmung mangelt. Die Ökonomisierung der Universitäten schreitet fort, während die Idee der univer­sitären Bildung aus dem Blick gerät.

Die Universitäten werden sich künftig stärker selbst aussuchen können, wen sie aufnehmen. Dafür sollen Tests eingeführt werden. Was halten Sie davon?

Die Vorstellung, über Tests die Aufnahme zu kontrollieren, ist ebenso problematisch, wie es der Numerus Clausus war. Wenn dennoch Zulassungskontrollen unabwendbar sind, weil die Universitäten in der gegenwär­tigen Ausstattung gar nicht dazu in der Lage sind, die große Nachfrage zu befriedigen, sollten Tests durchgeführt werden, die die intellektuellen und kognitiven Begabungen des Einzelnen ermitteln.

Wie nehmen Sie die Studierenden wahr? Sehen Sie Potenziale für Widerstand?

Sie sind nicht weniger resignativ als die Dozentenschaft und die Professorenschaft. Natürlich gibt es studentische Aktivitäten, aber nach meiner Wahrnehmung sind es kleinere Gruppierungen, die Widerstand leisten. In Frankfurt konzentriert sich dieser gegen die Einführung von Studiengebühren sowie gegen den Vorschlag, die Universität zu einer Stiftungsuniversität mit öffentlichem Stiftungsrecht zu machen.

Aber all die Reformen, die die gesamte Funk­tionsweise der Universitäten betreffen, finden so gut wie keine Beachtung. Wie sollte auch die Studentenschaft gegen die Idee der Exzellenzcluster protestieren – das ist von ihren eigenen Belangen viel zu weit entfernt. Mög­licherweise sind jedoch die Effekte solcher Strukturmaßnahmen viel nachhaltiger als die Einführung von Studiengebühren, die durch Darlehen und ähnliches abgefedert werden können.

Da wäre das akademische Personal gefordert?

Ja, aber die hochschulpolitischen Aktivitäten der Professorinnen und Professoren, überhaupt der Dozentenschaft, sind extrem gering. Ich glaube, auch weil die Lage so unklar ist. Uns fehlt es an klaren Vorstellungen, in welche Richtung wir die Uni­versitäten reformieren wollen.

Was würde eine Stiftungsuniversität ­bedeuten?

Ich glaube, selbst der Präsident unserer Universität, von dem der Vorschlag stammt, hat noch kein allzu klares Bild davon, was das am Ende bedeutet. Es bedeutet, dass das Grundkapital der Univer­sität weiterhin aus öffentlichen Geldern des Bundeslandes kommt, sie aber auch auf zusätzliche finanzielle Mittel hoffen darf.

Die entscheidende Frage wird sein, ob die möglichen Geldgeber die Lehre und Forschung beeinflussen können. Hier­bei wird alles davon abhängen, wie man ins­titutionell dafür Sorge trägt, dass die Lehrenden in die Selbstverwaltung der Uni­ver­sität einbezogen werden. Im Ganzen wird es auf einen Machtzuwachs des Präsidenten hinauslaufen. Schon jetzt genießen sie an deutschen Universitäten eine viel größere Macht als die Lehrenden.

Die »Exzellenzinitiative« der Bundesregierung wird die meisten deutschen Universitäten zu Fachhochschulen umwandeln. Übrig werden ein paar Eliteuniversitäten bleiben, die »Spitzenforschung« betreiben können. Kann man diese Entwicklung mit Horkheimer und Adorno eine »Selbst­auf­lösung der Vernunft« nennen?

Ich neige zwar dazu, die Effekte als problematisch zu beschreiben, würde aber nicht so weit gehen, das schon als eine »Auflösung der Vernunft« zu bezeichnen. So ist die Vorstellung, die hinter der Exzellenzinitiative steckt, nämlich dass die Kooperation unter­einander und die Ausstattung mit mehr Geld die Forschung beflügeln könnte, möglicherweise schon konzeptuell falsch. Was die Forschung wieder neu beflügeln könnte, wäre vor allem die Bereitstellung von Zeit.

Ansonsten ist es, wie Sie gesagt haben: Das insgesamt recht gut funktionierende System von miteinander leicht konkurrierenden Volluniversitäten wird all­mählich durch ein hierarchisches Sys­tem von Fachhochschulen sowie einigen Spit­zen­universitäten ersetzt. Das ist ein voll­kommen neues System, das, wie ich glau­be, nicht richtig durchdacht ist und das möglicherweise überhaupt nicht in unsere eigene Bildungstradition mit ihren stark egalitären Ansprüchen passt.

Können solide finanzierte Privatuniver­sitäten den Anspruch nach viel Muße und Zeit nicht eher befriedigen? Wäre es für die Philosophie nicht besser, wenn sie dort unterkommt, als wenn sie an irgendwelche zweitklassigen Universitäten abgeschoben wird, in denen weder Zeit noch Geld vorhanden sind?

Ob die Philosophie dahin abgeschoben wird, weiß ich gar nicht. Die größere Gefahr besteht für die noch kleineren Fächer, die so genannten Orchideenfächer. Und zwar nicht die Gefahr, dass sie abgeschoben werden, sondern in diesen Reformprozessen verschlissen und am Ende ganz aufgelöst werden. Ansonsten müsste eine anständige Hochschulreform bezwecken, Zeit für »selbstzweckhaftes« Lernen und Diskutieren zu schaffen – für Studierende wie für Lehrende.

Was wäre Ihnen lieber: dass die Kritische Theorie – wie es an anderen Universitäten der Fall ist – geschröpft wird oder dass sie aus Prestigegründen von der Frankfurter Universität vereinnahmt wird?

Das sind zwei sehr unschöne Alternativen. Das Institut für Sozialforschung bietet demgegenüber einen gewissen Spielraum, weil wir ein An-Institut sind. Bisher haben wir diese Autonomie für die Lehre nicht in Anspruch genommen. Man kann überlegen, das Institut wieder stärker für die Lehre zu verwenden und es zu einem kleinen Gegengewicht gegen die eher schmalspurige Ausbildung in den einzelnen Instituten zu machen. Das wäre mir die angenehmere Alternative.

Die Initiative »Deutschland – Land der Ideen« hat das Institut für Sozialforschung als »ausgewählten Ort« ausgezeichnet, die Auszeichnung prangt am Eingang wie im Sitzungssaal. Wie kam es dazu?

Wir wurden gefragt, ob wir uns bewerben möchten. Uns war nicht klar, was das für ein Zinnober werden würde, der am Ende auf eine ideologische Werbeaktion für neoliberale Standortpolitik hinausläuft. Wir dachten, wir könnten uns mit Hilfe dieser Kampagne stärker in der Öffentlichkeit präsentieren, gewissermaßen die eigene Forschung in den Vordergrund rücken. Den Tag der Auszeichnung haben wir dann für einen Tag der offenen Tür genutzt. Und es kamen ja durchaus Leute, die Interesse an den Inhalten hatten.

Dennoch: Wenn ich noch einmal vor der Wahl stünde, würde ich es nicht mehr machen.