Müsse’ un’ solle’

Hans Filbinger und Günther Oettinger von christoph villinger

War er Nazi oder Widerstandskämpfer? Spätestens seit das Dokument aus dem Jahr 1937 mit Hans Filbingers Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP die Titelseiten der Zeitungen zierte, hätte man meinen können, der Fall sei erledigt. Aber seit der derzeitige baden-würt­tembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) den kürzlich verstorbenen Filbinger in einer Trauerrede einen »herausragenden Politiker«, eine »große Persönlichkeit« und einen »Gegner des NS-Regimes« nannte, wird um den früheren NS-Marinerichter und Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gestritten. Und der eigentliche Punkt wird dabei meistens verfehlt.

Denn Hans Filbinger hätte die Todesurteile gegen desertierende Marinesoldaten vermutlich genauso im November 1918 gefällt. Dass er unter dem NS-Regime so handelte, ist alleine nicht entscheidend. Die Urteile entsprachen seinem Rechtsverständnis, nach dem sich der Einzelne dem Ganzen bedingungslos unterzuordnen hat.

Deshalb müsste die Auseinandersetzung um Filbinger weniger um seine Vergangenheit als NSDAP-Mitglied als um seine bis zum Tod vertretene rechte Gesinnung gehen. Die Nationalkonservativen um das von Filbinger Ende der siebziger Jahre mit aufgebaute Studienzentrum Weikersheim, in dessen Kuratorium Günther Oettinger noch bis vorige Woche saß, halten nicht viel von den Nazis, weil sie ihnen viel zu »links« und »fortschrittlich«, zu plebejisch waren.

Das soll jedoch nicht heißen, dass das Denken der Nationalkonservativen nicht ganz und gar anschlussfähig an den Nationalsozialismus war und ist. Um der Karriere willen passte man sich im »Dritten Reich« an, machte mit, wurde Parteimitglied und meinte, die Nazis für sich benützen zu können. So wie die Konservativen Hitler in den Jahren 1932/33 nur mal kurz aufräumen lassen wollten. Nur weil die Niederlage gegen die Rote Armee absehbar war, duldete man den Versuch eines Tyrannenmords, keineswegs wegen der Ermordung der Juden. So verklärte man später Graf von Stauffenberg zum Helden und stilisiert sich selbst zum Opfer der Nazis. Dass jedoch einzelne Soldaten ihr Leben selbst in die Hand nahmen und desertierten, war für Leute wie Filbinger ein verabscheuungswürdiges Verbrechen.

Er war ein typischer Vertreter des nationalkonservativen Bürgertums in Baden-Württemberg, dessen Welt aus Pflichterfüllung und Hingabe an »den Staat« besteht. Der Nationalkonservative ist geprägt von einem tief sitzenden Elitedenken und hasst nichts mehr als das »gemeine Volk« und seinen Hedonismus. Nicht ohne Grund sind im Schwäbischen die wichtigsten Hilfsverben »müssen« und »sollen«, nicht »wollen«. Man sagt zum Abschied »Ich muss jetzt gehen« statt »Ich gehe jetzt«. Man ist gefangen in »schicksalhaften Verstrickungen« der äußeren Welt, denen man sich zu fügen hat. Vieles wird im Passiv beschrieben, selbst einfachste Dinge hat man keineswegs selbst zu verantworten, sondern »Es hat sich ergeben«. Der Nationalkonservative ist stets das Opfer der Verhältnisse. »Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit«, ist in solchen Kreisen ein beliebtes Sprichwort.

Günther Oettinger, der Filbinger so gut versteht, ist ein typischer Nationalkonservativer aus Baden-Württemberg. Seit seine Trauerrede in der Kritik steht, handelt er, als habe ihn die Rote Armee in der Zange. Jede Entschuldigung, die man von ihm erwartet, gibt er erst nach heftiger Kritik an seiner Person ab. In einem Brief an den Präsidenten des Studienzentrums Weikersheim, Bernhard Friedmann, schrieb Oettinger in der vorigen Woche, bis zur Klärung der Vorwürfe gegen das rechte Zentrum lasse er seine »offenbar kraft Amtes erworbene Mitgliedschaft« ruhen. Auch diese hatte sich eben so ergeben.