Nachrichten

Erste Hilfe geht vor

Antisemitismus in der DDR. Es kann manchmal etwas länger dauern, bis unliebsame Wahrheiten in entlegene Flecken der Welt vordringen. Im Berliner Bezirk Lichtenberg erinnert man sich der DDR eher wohlwollend. Mit Trotz reagiert man, sollte es jemand wagen, das Andenken des Staats zu beschmutzen. So wurde die Ausstellung »Das hat’s bei uns nicht gegeben!«, die den Antisemitismus in der DDR zum Gegenstand hat (Jungle World, 18/07), in der vergangenen Woche aus dem Senatssaal des Rathauses in Lichtenberg in den Flur verbannt. Die Macher der Ausstellung wurden nicht informiert, die Schautafeln wurden in der falschen Reihenfolge und derart nahe an den Wänden aufgebaut, dass sie zum Teil nicht lesbar waren. Ein Monitor, auf dem Dokumentarfilme laufen sollten, wurde gar nicht erst aufgestellt. Nach den Angaben des Lichtenberger Bezirksamts musste die Ausstellung verlegt werden, weil im Senatssaal am Mittwoch voriger Woche ein Erste-Hilfe-Lehrgang stattfand. Für die schlech­te Unterbringung hatte das Büro der Bürgermeisterin Christina Emm­rich (Linkspartei) ebenfalls eine Erklärung: Man betreibe eben keine Galerie. Triftiger klingen jedoch die Gründe, die in einer Presseerklärung der Lichtenberger Fraktion der Linkspartei angeführt werden: Die Schau bewerte die DDR einseitig und spreche ihr ab, ein antifaschistischer Staat gewesen zu sein. (mst)

The Awful Truth

Michael Moore. Er gilt als der sympathische Che Guevara unter den Dokumentarfilmern. Hat Michael Moore nicht in Filmen wie »Roger And Me«, »Bowling for Columbine« und »Fahrenheit 9/11« die Lügen der Herrschenden aufgedeckt? Und hat er nicht in Sendungen wie »TV Nation« oder »The Awful Truth« die Wahrheit verkündet, die von den Mainstreammedien verheimlicht wurde? Nun ja, vor allem hat er sich selbst zahlreicher Lügen und Manipulationen bedient. Welche Methoden Moore angewendet hat, zeigt der Dokumentarfilm »Manufacturing Dissent« der kanadischen Regisseurin Debbie Melnyk. Für »Roger And Me« ließ Moore z.B. einen Fernsehbericht fälschen. Und Roger Smith, der ehemalige Manager einer General-Motors-Niederlassung, dessen Flucht vor dem wissbegierigen Journalisten das dramaturgische Gerüst des Films liefert, hat keinesfalls hartnäckig ein Interview verweigert. Das unterstellt Moore zwar. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Filmteams widerspricht aber: Smith habe sich mit Moore getroffen und seine Fragen beantwortet. Der Regisseur hingegen wollte sich von Melnyk nicht befragen lassen. »Manufacturing Dissent« lief in der vergangenen Woche auf dem Dokumentarfilmfestival »Visions du réel« im schweizerischen Nyon. (mst)

Wenn kaputt, dann Turbospaß!

Turbonegro. Es gibt gute Rockbands, es gibt schlechte Rockbands. Und es gibt Turbonegro. Der Retro-Rock-Hype ist ja nun bereits auch wieder von gestern. Die vielen Bands, deren Namen mit »The« begannen, vermisst wirklich niemand. Und so kann man sich auf das Wesentliche konzentrieren: Turbonegro. Die norwegische Band, die ihr eigenes Genre namens »Deathpunk« kultiviert hat, hat eine neue Platte mit dem Arbeitstitel »Orgasm In Progress« eingespielt. Abgemischt wurde das Album in Hoboken im US-Bundesstaat New Jersey. Um ihrem Jeans-Schwuchtelimage gerecht zu werden, hat die Band die Stadt in »Homoken« umgetauft. Auf der Myspace-Seite der Band kann man schon einen neuen Song mit dem einprägsamen Titel »Do you, do you dig destruction?« anhören. Im Mai kommen Turbonegro für einige Auftritte nach Deutschland. Und um die Band live zu sehen, nimmt man es durchaus in Kauf, Fans in Jeansjacken mit dem peinlichen Aufdruck »Turbojugend Hohenschönhausen« oder ähnlichen Bekenntnissen zum Provinzlertum zu sehen. (mst)

Die britischen Kollegen

Israel-Boykott. Vor fünf Wochen wurde der BBC-Korrespondent Alan Johnston in Gaza von Bewaffneten entführt. Nun hätte die »National Union of Journalists« (NUJ), die größte Journalistengewerkschaft Großbritanniens, ihre jährliche Delegiertenversammlung in der vergangenen Woche nutzen können, einen Appell an die Entführer oder an die palästinensischen Behörden zu richten, die sofortige Freilassung des Kollegen zu fordern oder diplomatische Schritte anzumahnen. Doch statt Johnstons Fall hatte die NUJ Wichtigeres auf die Tagesordnung gesetzt. Die Mehrheit der Delegierten beschloss wegen »der Massaker an Zivilisten in Gaza« und des »brutalen und von langer Hand geplanten Angriffs auf den Libanon« einen Boykott israe­lischer Produkte und forderte die britische Regierung auf, Sanktionen gegen Israel zu verhängen. Die israelische »Foreign Press Association« und auch etliche Journalisten der NUJ sprachen sich in der vergangenen Woche vehement gegen die Beschlüsse aus. Man fragt sich irgendwie: Was wird die Gewerkschaft eigentlich tun, sollte wieder einmal ein britischer Korrespondent im Irak von al-Qaida entführt werden? Dann werden die Delegierten der NUJ aus Protest sicher nicht mehr zu McDonald’s gehen. (mst)

Die Geister des Dschungels

Schlingensief. Er hat mehr oder minder aussteigewillige Neonazis in seiner Inszenierung von »Hamlet« den »Adolf Hitler tanzen« lassen. In Bayreuth hat er Wagners »Parsifal« auf die Bühne gebracht. Wagners Opern haben es dem Regisseur Christoph Schlingensief anscheinend angetan. Am vorletzten Sonntag wurde unter seiner Leitung »Der Fliegende Holländer« in der brasilianischen Stadt Manaus aufgeführt, allerdings unter dem portugiesischen Titel »O Navio Fan­tasma«, das Geisterschiff. Zur Vorbereitung ist Schlingensief mit dem Orchester auf der Suche nach Geistern den Rio Negro entlang gefahren und hat schwarze Messen und Rituale animistischer Sekten besucht. Überhaupt zeigte sich der Regisseur Aussagen in der Presse zufolge begeistert vom Dschungel, der die Städte verschlinge. Schlin­gensief ist also genau am richtigen Ort, um sein zivilisationsmüdes Brimborium aufzuführen. Und vielleicht bleibt er ja einfach dort, wenn wir Glück haben. (mst)