Und tschüss, Le Pen!

Präsidentschaftswahl in Frankreich von bernhard schmid, paris

Die erste Überraschung war, dass es keine Überraschung gab: Die Wahlergebnisse für die allermeisten unter den französischen Präsidentschaftskandidaten entsprechen weitgehend dem, was die Umfragen prognostizierten. Seit dem »Wahlunfall« von 2002, als der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen und nicht, wie erwartet, der damalige sozialdemokratische Premierminister Lionel Jospin in die Stichwahl kam, rechneten viele Beobachter mit irgendeinem Ausrutscher.

Das Unerwartete trat jedoch nicht ein. Mit einer Ausnahme: Le Pen wurde dieses Mal von den Meinungsforschungsinstituten über- und nicht unterschätzt. Noch nie seit 1988 schnitt er so schlecht ab. Offenkundig ist das Kalkül des konservativen Kandidaten aufgegangen: Nicolas Sarkozy rückte so weit nach rechts und appellierte so oft an die »nationale Identität«, dass er einen Teil der rechtsex­tremen Wähler anziehen konnte. Sein eigenes hohes Abschneiden mit 31 Prozent ist unter anderem auch das Spiegelbild einer Gesellschaft, in dem viele Partikulargruppen immer weiter auseinanderdriften. Ein Teil dieser Gesellschaft verlangt deshalb nach einem »starken Mann« und hartem Durchgreifen, um die Angst vor dem Chaos zu überwinden.

Die zweite Überraschung war die sehr hohe Wahlbeteiligung, die bei 85 Prozent lag und damit einen Rekord für die vergangenen 30 Jahre bildet. Gerade in den ärmeren Schichten und in den Banlieues, wo lange Zeit nur eine Minderheit überhaupt wählen ging, ist die Teilnahme sprunghaft angestiegen. Viele stimmten hier nicht in erster Linie »für«, sondern vor allem »gegen« eine Kandidatur, vor allem, um Nicolas Sarkozys Triumph zu verhindern.

Nach den Bündnisdiskussionen, die in den vergangenen Wochen aufkamen, schälen sich zwei große politische Blöcke heraus. Jüngst näherte sich der wirtschaftsliberale Flügel der französischen Sozialisten (PS) um Dominique Strauss-Kahn und Michel Rocard offen an die christdemokratische UDF an. Im Mitte-links-Spektrum trommeln der neoliberale Grüne Daniel Cohn-Bendit und der Chefredakteur von Charlie Hebdo, Philippe Val, als intellektuelle Geburtshelfer für ein Bündnis zwischen PS und UDF. Ähnlich wie in der italienischen Politik stünden sich damit auf einer Seite ein Spektrum »traditioneller« Sozial- und Christdemokraten und auf der anderen Seite eine erneuerte Rechte gegenüber, die auf eine Mischung aus autoritärem Populismus und Wirtschaftsliberalismus setzt und ehemalige Neofaschisten ins politische Spiel zu integrieren versucht.

Eine der beiden Möglichkeiten wäre, ja, tatsächlich ein »größeres Übel«. Man darf allerdings auf keinen Fall darauf hoffen, dass sich im Falle eines Wahlsiegs Ségolène Royals am 6. Mai irgendetwas verbessern würde. Aber man kann sicher sein, dass sich mit Nicolas Sarkozy als Präsident vieles in einem rasanteren Tempo und auf brutalere Art und Weise verschlechtern würde. Insofern ist zu hoffen, dass die Wähler am 6. Mai eine Richtungsentscheidung treffen zwischen den Trümmern des Sozialstaats und einem Parforceritt in einen autoritaristischen Wirtschaftsliberalismus.

Bereits im ersten Wahlgang bekamen viele Wähler von Royal angesichts ihres Wahlkampfs Brechreiz, betonten ihre Inkompetenz, ihre Arroganz und kritisierten ihre Appelle an reaktio­näre »Werte«. Zu Recht. Je illusions- und hoffnungsloser sie am 6. Mai für Royal votieren, desto weniger lassen sich diese Stimmen als Unterstützung für die nächste Regierung werten. Und das bedeutet bessere Aussichten für künftige gesellschaftliche Kämpfe.