Aufschwung für Männer

Von Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt kann in Deutschland keine Rede sein. Auch vom Wirtschaftsboom profitieren Frauen weniger als Männer. von martin kröger

Sie gehörte zu einer äußerst seltenen Spezies. Karin Dorrepaal war bis zum Herbst vergangenen Jahres Vorstandsmitglied beim Berliner Pharmaunternehmen Schering AG. Damit war sie die einzige Managerin, die im Vorstand eines der 30 größten börsennotierten Unternehmen der Republik zu finden war. Und sie war die zweite Frau überhaupt, die es bis in die Chefetagen dieser Konzerne geschafft hatte.

Mit dem Fortschreiten der Fusion von Bayer und Schering musste die niederländische Krebsforscherin Dorrepaal gehen, da nützten ihr weder ihre »um­fangreichen Kenntnisse der pharmazeutischen Industrie« noch ihre »Erfahrungen in der strategischen Neuausrichtung und Effizienzsteigerungen von führenden Pharmaunternehmen«, die sie nach einer älteren Pressemitteilung von Schering aufzuweisen hatte. Alle der rund 190 Vorstandsplätze der Dax-Unternehmen in Deutschland sind somit wieder fest in Männerhand – trotz der freiwilligen Vereinbarung, welche die rot-grüne Bundesregierung und die Unternehmerverbände 2001 formuliert hatten, um die Chancengleichheit in den Privatbetrieben zu fördern.

»Je höher man in den Führungspositionen schaut, desto weniger Frauen findet man«, sagt Nicola Liebert, die Pressereferentin bei der Interna­tionalen Arbeitsorganisation (Ilo) Deutschland, der Jungle World. Als Sonderorganisation der Uno ist die Ilo dafür zuständig, rechtsverbindliche Empfehlungen und Übereinkommen für den Sozial- und Arbeitsbereich zu erarbeiten, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen aller Menschen in den Mitgliedsstaaten zu verbessern.

Dass es auch in Deutschland weiterhin keine Gleichberechtigung gibt, liegt nach Ansicht der Ilo auch daran, dass die Bundesrepublik bis heute nicht dem Übereinkommen über »Arbeitnehmer mit Familienpflichten« zugestimmt hat, wie die Internationale Arbeitsorganisation bei der Vorstellung ihres zweiten globalen Diskriminierungsberichts vergangene Woche in Berlin kritisierte. Dabei gilt das Papier mit der Nummer 156 als eines der vier grundlegenden Übereinkommen der Ilo zur Förderung der Gleichberechtigung. »Eine Ratifikation durch Deutschland wäre ein deutliches Signal politischen Willens, die Gleichberechtigung aktiv zu fördern«, erklärte ein Sprecher bei der Präsentation.

Um die Gleichberechtigung ist es weltweit weiterhin äußerst schlecht bestellt, heißt es in der Studie mit dem Titel »Gleichheit bei der Arbeit: den Herausforderungen begegnen« zur globalen Arbeitssituation. Zwar gibt es danach auch neuere Formen der Diskriminierung, etwa wegen einer HIV-Infektion, des Alters, eines ungesunden Lebensstils oder der Wahrscheinlichkeit genetisch bedingter Krankheiten. Aber die alte Form der Diskriminierung von Frauen existiert weiter: Sie verdienen weniger, schuften häufiger in informellen Verhältnissen und sind häufiger von Führungspositionen ausgeschlossen.

Die globalen Erkenntnisse seien »voll auf die Bundesrepublik übertragbar«, sagt Liebert. Zwar gebe es in Deutschland inzwischen Gesetze wie das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Diskriminierungen unter Strafe stellt, nur nähmen sehr wenige Frauen die juristischen Möglichkeiten in Anspruch.

»Wir beobachten trotz der einwandfreien Verbotssituation kaum Klagen«, sagt Liebert. Und das, obwohl sich die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt teilweise sogar wieder mehr von einer Gleichberechtigung entferne. Nicht nur, dass Frauen nach wie vor seltener eingestellt werden und seltener in Führungspositionen aufrücken. Nach dem Gleichstellungsbericht der EU-Kommission liegt das Lohngefälle in Deutschland zwischen Männern und Frauen inzwischen wieder bei 22 Prozent, mit steigender Tendenz. Die Bundesrepublik liegt damit auf dem viertletzten Platz in der EU.

Als zentrales Hindernis auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern macht die Ilo nicht nur die schlechte Vereinbarkeit von Fami­lie und Beruf aus. »In Deutschland wird vergleichsweise wenig an aktiver Förderung für die Gleichberechtigung getan«, meint Liebert. Da sei man in anderen Ländern wie Dänemark und den USA viel weiter, wo im öffentlichen Beschäf­ti­gungs­wesen innovative und positive Ideen ausprobiert würden, um zu mehr Chancengleichheit für Frauen zu gelangen. Gleiches gelte für Frankreich, wo beispielsweise in jedem Tarifabschluss extra das Ziel der Gleichbehandlung fest­gelegt sei.

»Hierzulande gibt es nicht einmal ein Untersuchungssystem, mit dem die verschiedenen Berufe auf eine Basis gestellt werden, um sie vergleichbar zu machen.« In anderen Ländern sei es indes normal, verschiedene Jobs – etwa den eines Polizisten und den einer Krankenschwester – mithilfe von Indikatoren wie Eigenverantwortung, phy­sische Belastung oder Zeitaufwand zueinander in Relation zu setzen. Erst mit solchen Bemessungsgrundlagen ließe sich Gleichberechtigung herstellen, ist sich Liebert sicher. Des Weite­ren müsste von der Regierung ein klares Signal ausgehen, dass Gleichberechtigung über­haupt gewollt sei, nicht nur durch unverbindliche Vereinbarungen, son­dern auch durch eine aktive Förderung. Strikte Quotenregelungen würden indes wenig bringen, meint Nicola Liebert, weder sei das Attribut »Quotenfrau« in der Karriere behilflich, noch hätten Quoten bei Klagen vor Gericht Bestand. Und: »Wir müssten viel früher ansetzen, etwa bei der Ausbildungsförderung von Kindern«, fordert die Pressereferentin, um bessere Ausgangsbedingungen für menschenwürdige Arbeit zu schaffen.

Verbessert denn trotz all dieser strukturellen Benachteiligungen wenigstens der viel zitierte konjunkturelle Aufschwung die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt? »Ich bin überhaupt noch nicht auf Idee gekommen, getrennt nach Geschlechtern zu schauen«, räumt Sabine Klinger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gegenüber der Jungle World ein. Die Mitarbeiterin des der Bundes­agentur für Arbeit angeschlossenen Forschungsinstituts ist zwar für die Beurteilung des aktuellen Aufschwungs zuständig, Geschlechterfragen würden jedoch von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe bearbeitet, deren Referentin zurzeit im Mutterschutz sei.

Aber auch ohne die Ergebnisse der Arbeitsgruppe geben die aktuellen Entwicklungen wenig Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation. »Der Aufschwung beruht in der Haupt­sache auf mittelfristigen Investitionen«, sagt Klinger. Im Osten des Landes betreffe dies besonders die Bauwirtschaft, die nach Jahren der Regression wieder boome. Bauwirtschaft? Eine Männerdomäne. Im Westen gebe es immer mehr Teilzeitstellen und Jobs in Zeitarbeitsfirmen, die klassischerweise im Dienstleistungssektor von Frauen besetzt würden. Da sich aber bei dieser prekären Arbeit nicht genug Geld zum Leben verdienen lässt, stellt die Zunahme dieser Jobs gar keine Verbesserung dar. Im Gegenteil.

Und auch die absoluten Zahlen des jüngsten Berichts der Bundesagentur für Arbeit sprechen eine deutliche Sprache. Zwar sind mit 49,2 Prozent gegenüber 50,8 Prozent geringfügig weniger Frauen erwerbslos gemeldet als Männer, nach den Zahlen der Bundes­agentur für Arbeit profitieren Männer jedoch seit Jahresbeginn wesentlich stärker von der Konjunktur. Das Bundesarbeitsamt zählte im April 173 000 weniger arbeitslose Männer als im Januar. Demgegenüber sank die Arbeitslosenzahl bei den Frauen nur um 72 000. Dass die Situation von Frauen ohne deutschen Pass noch wesentlich schlechter ist, ist dabei alles andere als ein Trost.