Die Unerwünschten

Migration ist ein großes Thema im politischen Dokumentarfilm. Vielen Produktionen gelingt eine subjektive Sicht auf die Biografien der Einwanderer. von martina backes

Der politische Dokumentarfilm hat ein neues Schwerpunktthema. Immer häufiger werden Filme gedreht, die individuelle Migrationsgeschichten darstellen. Viele wurden jüngst auf Festivals in Tunis, Ouagadougou, Nyon, Berlin und München gezeigt, manche preisgekrönt. Das diesjährige Freiburger Film-Forum macht Migration und Identität gar zum Festivalthema. Doch nur wenige Filme schaffen es bis ins Programmkino oder ins Fernsehen.

Anlass genug, um zu fragen, was die Filme dem gesellschaftlichen Migrationsdiskurs entgegenhalten, wo sie gelingen und wo sie scheitern. Oder um­gekehrt: Wie geben Dokumentarfilmer – über die individuellen Migrationsgeschichten hinaus – Anstoß zu einer gesellschaftlichen Reflexion über Migrationsdiskurse, was können und was wollen sie bewegen?

»Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez«, aus­gezeichnet als bester Dokumentarfilm der Schweiz 2007, erzählt die Lebensgeschichte eines durch »friendly fire« im Irak getöteten Green-Card-Soldiers. Ein toter Protagonist, »in einem Krieg ­geboren, im anderen gestorben«, ist immer eine dramaturgische Herausforderung. Die Filmemache­rin Heidi Specogna verfolgt sein Schicksal behutsam und stellt es in den Zusammenhang von Globalisierung und nationaler Interessenpolitik. Das Leben der Straßenkinder in Guatemala, die Gefahren und Demütigungen, denen MigrantInnen auf ihrem Weg quer durch Mexiko ausgesetzt sind, ihre Erwartungen an das gelobte Land Amerika, die sich auch in ihrem Scheitern gleichen – diese kollektiven Geschichten werden im Film zugleich ganz persönlich. Alte Schwarz-Weiß-Fotos, Erinnerungen von Hinterbliebenen und Weggefährten, ihre Tränen oder auch voller Hoffnung glänzenden Augen: Specogna gewinnt mit diesen emotionsmächtigen Bildern ein großes Publikum für sich und schaffte es bis in die Berliner Kinos. Dass nicht prekäre Billiglohnarbeit, son­dern ein mit Ruhm und Ehre behafteter Beruf im Krieg die migrantische Sphäre der Hoffnung und Zerstörung durchdringt, ist ein bemerkenswertes, wenngleich gewöhnliches Phänomen: 32 000 mi­grantische Green-Card-Soldaten sind im Krieg in Afghanistan oder Irak im Einsatz.

Die Publikumswirksamkeit des Films hat nur lei­der auch mit dieser Konstellation zu tun: Es kommt viel Empathie auf für einen Soldaten, der seine Hoff­nungen auf Amerika setzt, das aufgrund der Verwicklungen in den Bürgerkrieg in Guatemala mitschuldig ist an seinem unheilvollen Leben auf der Straße, an seinem migrantischen Schicksal des Hin- und Hergeworfenseins und der Identitätskrise, aus­gelöst durch den Verlust der Familie. Zwar wird das propagandistische Ausschlachten des Todes von José Antonio seitens der USA gezeigt, der posthum die amerikanische Staatsbürgerschaft erhält. Doch erlaubt der Film es eben auch, an diesem verdrehten Heldenkult Anteil zu nehmen: Auch wenn ein guatemaltekisches Straßenkind für den Traum Amerika sein Leben im Krieg ließ und sein verzweifelter, aber dadurch umso heldenhafter erscheinender Ein­satz erst nach dem Tod vom Staat anerkannt wurde, sind Soldaten immer noch Soldaten. Der demonstrativen Heldenverehrung der USA eine besondere Anerkennung migrantischer Green-Card-Soldiers entgegenzuhal­ten, ist zwar keineswegs die Intention des Films, aber eine beim Publikum durchaus mögliche Wahrnehmung.

Ganz frei von Parteinahme ist der Film von Ida Haar. Er begleitet mit der Kamera eine Gruppe palästinensischer Arbeiter, die im israelischen Mozihin Luxusvillen für die Reichen bauen. In »Malon Tisha´a Kocha­vim« (»9 Star Hotel«) geht es weniger um das politische Verhältnis der Arbeiter zu den Israelis. Vielmehr rückt die ökonomische Unsicherheit ihres Lebens in den Vordergrund. Zugleich wird der Zuschauer mit dem sehr eigenwilligen Umgang der Bauarbeiter mit ihrer doch so offensichtlichen Perspektivlosigkeit konfrontiert: An der neuen Gesellschaft, die die jungen Männer in Israel mühsam aufbauen, werden sie nicht teilhaben können. Ständig auf der Hut und in Gefahr, verhaftet und abgeschoben zu werden, verharren sie nachts in aus Pappmaschee und Plastik gebauten Schlafnischen in den Hügeln. Die boomen­de Bauindustrie profitiert von der Not der Unerwünschten, die sich um ihre Zukunft sorgen, wenn die Mauer ein Überqueren der Grenze künftig unmöglich macht. Es gibt keinen, wie man vermuten mag, Hass oder Groll gegen die Israelis, nur gemeinsames Durchbeißen und individuelle Träume.

Solche Filme machen sichtbar, was so noch keiner gesehen hat, obwohl es sichtbar wäre. »El Ejido - El Dorado unter Plastik«: Der Titel packt das Publikum bei seinem Vorwissen. Wer noch nicht von den migrantischen Erntehelfern weiß, dank derer preis­güns­ti­ge Gurken und Paprika zu jeder Jahreszeit die europäischen Supermarktregale füllen, lernt in dem Film von Rawad Jhalib die sozialen Bedingungen der Produktion von innen kennen. Indem er die Arbeiter auch in ihrer oft tage- und wochenlang andauernden Suche nach Arbeit begleitet, wird ein System erkenntbar, das Billig­lohnarbeit nicht nur durch Illegalisierung der Arbeiter schafft und im Überangebot bereithält, sondern durch offen rassistische Glaubensbekenntnisse der weißen Farm­besitzer gerechtfertigt wird. Dass die Aufnahmen von der Suche nach trinkbarem Wasser und regendichten Schlafplätzen in einer pestizidbelasteten Umwelt beim Publikum immer wieder auch zu der Reaktion führt, kein Gemüse aus spanischen Gewächshäusern mehr essen zu wollen, ist nicht dem Regisseur anzulasten. Wer so einfache Lösungen strickt, hat von der rassistischen Struktur der globalisierten migrantischen Produktionszusammenhänge leider nicht viel verstanden.

Die teil bizarren Reaktionen des Festivalpublikums auf die individuellen Geschichten in den Do­kumentarfilmen sind auch das Ergebnis des gesellschaftlichen Mediendiskurses. MigrantInnen gehen in diesem Mediendiskurs oft ihres individuellen Schicksals verlustig. Unter anderem, weil sie kaum an dem medialen Diskurs teilnehmen oder nicht gehört werden wollen. Sie werden als Objekte oder eben als Opfer wahrgenommen. In dieser medialen Wahrnehmung geht das Subjektive verloren, Individuen treten als VertreterInnen eines globalen Phänomens auf. Das ist nicht immer so. Und sicherlich nicht die Absicht derjenigen, die sich für die Rechte der MigrantInnen einsetzen. Aber es passiert, und es ist auf eine Art entwürdigend.

Gegen die Tendenz der medialen Sprache, einen weitgehend gesichtslosen Objekt­status von »Men­schen mit migrantischem Hintergrund« zu produ­zieren, wenden sich nahezu alle politischen Dokumentarfilme rund um das Thema Migration. Das Bemerkenswerte an ihnen ist ihr offensichtlicher Anspruch, zwischen persönlichen Motiven und Krisen, gesellschaftlichen Konflikten und globalisierten Bedingungen der Migration hin- und herzuschwenken. Viele der Filme sind großartig, nicht nur dramaturgisch und wegen der un­aufdringlichen Nähe zu den ProtagonistInnen. Sie sind es vielmehr deshalb, weil sie ein Leben am Rande, aber nicht jenseits des Lebens sichtbar machen auch für die, die es nicht sehen wollen. Sie erzählen Migrationsgeschichten, die dem gängigen Bild vom Ansturm der Massen, von institutioneller Ausgrenzung, erzwungener Flucht und einem inhumanen Leben am Rande der Gesellschaft das Menschliche wiedergeben.

»El Ejido«: 24. Mai um 22.45 Uhr auf Arte

»Das kurze Leben des Antonio Gutierrez«, Kino Acud Berlin