Früh übt sich

Im sächsischen Wurzen verwandelten 30 Jugendliche am »Vatertag« ein Juniorenfußballspiel in eine Nazidemonstration. Dass das bekannt wurde, lag vor allem an der Schiedsrichterin. von alex feuerherdt

Eigentlich hätte es ein ganz normales Spiel werden sollen, das die zwölf- bis 14jährigen Jungfußballer des ATSV Frisch Auf Wurzen da kürzlich gegen ihre Altersgenossen des VfB Fortuna Chemnitz auszutragen hatten. Zwar kämpfen beide Mannschaften in der Platzierungsrunde der C-Jugend-Landesliga Sachsen gegen den Abstieg, was der Partie einiges an Bedeutung verlieh. Aber in dieser Altersklasse geht es normalerweise doch eher ruhig zu. Wie gesagt: eigentlich. Denn das Spiel fand an Christi Himmelfahrt statt, am so genannten Vatertag also. Der geht regelmäßig bereits zur Mittagszeit mit dem Genuss von reichlich Alkohol einher, und wie es mit den Bräuchen so ist: Man pflegt sie oft schon in jungen Jahren, bisweilen auch in Kombination mit der Jagd auf vermeintliche oder tatsächliche Nichtdeutsche.

Die Gruppe von knapp 30 Jugendlichen und jungen Erwachsenen jedenfalls, die sich am Nachmittag zu dem Jugendspiel im nahe Leipzig gelegenen Wurzen einfand, war stark angeheitert. Das mag die letzten Hemmungen beseitigt haben, wie aus dem mehrseitigen Zusatzbericht von Christine Weigelt (22) hervorgeht, die bereits seit zehn Jahren Schiedsrichterin und in der Frauen-Bundesliga als Assistentin tätig ist. Demnach wurden kurz nach dem Anpfiff die ersten Feuerwerkskörper gezündet und die Gäste aus Chemnitz sowie das Schiedsrichtergespann mit Parolen bedacht wie: »Du Judenschwein«, »Fick deine Mutter, du Judensau« und »Wir ziehen dir die Vorhaut runter, du Jude«. Auch das so genannte U-Bahn-Lied (»Wir bauen eine U-Bahn von Chemnitz bis nach Auschwitz«) fehlte nicht, gefolgt von der Aufforderung eines Zuschauers: »Los, wir formieren uns jetzt zu einem Hakenkreuz!«

Nach einer knappen Stunde wechselten die Gäste einen Spieler vietnamesischer Herkunft ein, der von den Jugendlichen fortan als »Nazi Goreng« und »Fidschischwein« beschimpft wurde; zudem gaben sie Affenlaute von sich, sobald er in Ballbesitz kam. Als die Chemnitzer nach 65 Minuten einen weiteren Wechsel vornehmen wollten, stürmte einer der Zuschauer an die Seitenlinie und bedrohte sowohl den Einwechselspieler als auch den Trainer der Gäste. Daraufhin unterbrach die Schiedsrichterin die Partie und kündigte deren Abbruch an, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden.

Da die Wurzener keine Platzordner abgestellt hatten, machte sich ihr Trainer Mario Mäding daran, auf die Randalierer einzuwirken. Anschließend war es bis zum Schlusspfiff relativ ruhig. »Danach«, so der Chemnitzer Trainer Dirk Radomski, »versammelten sie sich vor unserer Kabine und drohten uns Prügel an.« Die Schiedsrichter riefen von ihrer Umkleidekabine aus die Polizei. Als die eintraf, waren die Jugendlichen jedoch bereits über alle Berge. In der Zwischenzeit versuchte der Wurzener Schiedsrichterbetreuer dem Spielbericht zufolge, die Ausschreitungen herunterzuspielen: »Wir haben schon genug Ärger. Es ist doch niemand zu Schaden gekommen. Solche Gesänge kommen bei jedem Fußballspiel vor.«

Wurzens Präsident Heiko Wandel konnte das alles nicht glauben: »Ich war nicht selbst vor Ort, aber mir haben mehrere Funktionäre unseres Vereins berichtet, dass überhaupt nichts vorgefallen ist«, sagte er der Jungle World. Es gebe in Wurzen zwar ein paar Neonazis, aber die seien noch nie zu Spielen seines Clubs gekommen. Die Schiedsrichterin, da war sich Wandel sicher, »war schlicht überfordert. Die hat einfach das in den Spielbericht eingetragen, was ihr Assistent ihr ins Ohr geflüstert hat.« Und das könne nur frei erfunden sein: »Die Arbeitslosigkeit in Wurzen ist zwar hoch, und manche ärgern sich verständlicherweise, dass die Ausländer Arbeit haben und die Deutschen nicht. Aber bei uns spielen doch selbst Ausländer mit, und es gab noch nie Probleme.«

Ein Teil der Zuschauergruppe beim Spiel habe aus Wurzener Fußballern älterer Jugendteams bestanden, berichtete Wandel, »doch die haben die Mannschaft nur angefeuert«. Rassistische oder antisemitische Sprüche seien jedenfalls nicht gefallen. Trotzdem habe man zwei A- und B-Jugendspieler »bis zur Klärung der Vorfälle« vereinsintern gesperrt und gegen ein früheres Vereinsmitglied ein Stadionverbot ausgesprochen. »Da sind wir knallhart.«

Mario Mäding, seit zwei Jahren Trainer der Wurzener C-Jugend, konnte die Ausführungen seines Vereinsvorsitzenden nicht ganz bestätigen. »Da ich mich aufs Spiel konzentriert habe, habe ich zwar nicht viel mitbekommen, aber das ›U-Bahn-Lied‹ war schon zu hören«, sagte er der Jungle World. Einige Zuschauer hätten ihm zudem nach der Partie gesagt, dass rassistische Parolen gerufen worden seien. »Wir werden das vereinsintern besprechen und dann entscheiden, was zu tun ist«, sagte Mäding. Er bestritt, nach dem Spiel zur Schiedsrichterin gesagt zu haben: »Wenn du schon etwas schreibst, dann mach’ es nicht so wild, da der DFB eh gerade ganz heiß auf solche Geschichten ist.« So stehe es zwar im Spielbericht, »aber ich habe sie eigentlich nur gebeten zu berücksichtigen, dass wir uns noch nie etwas zuschulden haben kommen lassen«.

Nun beschäftigt sich der Sächsische Fußballverband (SVF) mit den Vorkommnissen. Geschäftsführer Bernd Kraus sagte der Jungle World, das Sportgericht habe Stellungnahmen aller Beteiligten angefordert und werde in Kürze eine Verhandlung anberaumen. Bis dahin seien die Spiele der Wurzener C-Jugend ausgesetzt. »Die rechte Szene ist in Wurzen sehr stark. Es ist bedauerlich, dass solche Vorfälle immer wieder bei uns passieren«, ergänzte er.

DFB-Mediendirektor Harald Stenger kündigte an: »Wir werden das, was geschehen ist, mit aller Konsequenz und Schärfe ahnden.« Rassismus und Antisemitismus hätten im Fußball keinen Platz: »Das ist die Position des DFB, und daran wird sich kein Komma ändern.« Deshalb ziehe er auch seinen Hut vor Schiedsrichterin Christine Weigelt: »Mit ihrem entschlossenen Vorgehen auf dem Platz und der detaillierten Schilderung der Vorgänge im Spielbericht hat sie Zivilcourage bewiesen.«

Martin Endemann, Sprecher des Bündnisses Aktiver Fußballfans (BAFF), kritisierte vor allem die Äußerungen des Wurzener Vorsitzenden: »Es sind leider immer die gleichen Reaktionen, die wir nach rassistischen und antisemitischen Vorkommnissen von Vereinsverantwortlichen erleben müssen: Anstatt sich zur eigenen Verantwortung zu bekennen, wird erst einmal alles abgestritten.« Komme dann doch etwas ans Licht, »wird der Präsident wahrscheinlich wieder über das ›schwere Los kleiner Vereine‹ jammern, die im Stich gelassen würden«.

Dieser Einschätzung stimmte Ingo Stange vom Wurzener Netzwerk für Demokratische Kultur zu: »Es soll mal wieder alles gedeckelt werden. Was bei dem Fußballspiel passiert ist, ist ungeheuerlich, aber es wundert uns nicht. Denn das ist hier der normale Alltagsrassismus, und wahrscheinlich haben sich auch beim Fußball schon häufiger solche Szenen abgespielt wie am Himmelfahrtstag, ohne dass jemand Anstoß daran genommen hätte. Diesmal ist es durch eine couragierte Schiedsrichterin aber an die Öffentlichkeit gekommen. Und das hat hoffentlich Konsequenzen.«

Übrigens muss sich auch ein C-Jugendlicher des ATSV Wurzen vor dem Sportgericht verantworten. Der wurde bis zur Verhandlung gesperrt, weil er seinen vietnamesischen Gegenspieler als »Ausländerschwein« beschimpft haben soll. Früh übt sich.