Mehr Deutsch für Vietnam

Beim Besuch von Horst Köhler in Vietnam ging es nur am Rande um Menschenrechte, konkreter vor allem um Wirtschaftskontakte. Geplant ist die Gründung einer deutschen Universität in Ho-Chi-Minh-Stadt. von marina mai

Mit einer »gewissen Sorge« seien in Deutsch­land die jüngsten Urteile beo­bachtet worden, sagte Horst Köhler in der vergangenen Woche bei seinem Besuch in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi zu Vietnams Präsidenten Nguyen Minh Triet. Dabei bezog sich der Bundespräsident auf die mehrjährigen Haftstrafen für sechs vietnamesische Dissidenten wegen »Propaganda gegen den sozialistischen Staat«. Der vietnamesische Präsident, ein Mann, der aus dem Pro­pa­ganda­apparat stammt und innerhalb der Führungstroika – Präsident, Ministerpräsident, Chef der Kommunistischen Partei – als der eigentliche Betonkopf gilt, wies Köhlers Worte zurück. »Die Menschen haben gegen Gesetze verstoßen. Wir setzen die Priorität auf politische Stabilität«.

Die Deutschen interessieren sich jedoch offenbar nicht nur für die Situation der Menschenrechte in Vietnam. Wenige Wochen vor Köhlers Besuch waren Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder Gäste in der Hauptstadt. Bei ihrem Besuch ging es nicht um Meinungsfreiheit, sondern um wirtschaftliche Beziehungen. Stoiber öffnete einem Tross bayerischer Großunternehmer die Türen zum vietnamesischen Markt. Und Schröder begab sich für den Schweizer Medienunternehmer Michael Ringier auf Reisen, der in dem sozialistischen Land, in dem die Wirtschaft Jahr für Jahr um sieben bis acht Prozent wächst, Anteile an Wirtschafts- Mode- und Verbraucherzeitschriften besitzt.

Auch Köhler wurde von namhaften Vertretern der Wirtschaft begleitet, die sich von dem ersten Staatsbesuch eines deutschen Staatsoberhauptes in Vietnam seit dem Kriegsende im Jahr 1975 mehr Aufmerksamkeit der vietnamesischen Politik für ihre Geschäfte oder ihre angestrebten Handelskontakte versprechen.

Vietnam gehört zu den boomenden Märkten. Billige Arbeitskräfte produzieren Textilien, Schuhe und Spielzeug für den Weltmarkt. Der Mindestlohn liegt je nach Provinz zwischen 45 und 55 Dollar pro Monat. Urlaubsansprüche haben vietnamesische Arbeitskräfte nur auf ein paar Tage im Jahr, und Umweltschutzbestimmungen gibt es so gut wie keine. Zumindest dieses soll sich aber ändern, denn wie beim nördlichen Nachbarn China sind auch in Vietnam die Umweltprobleme nicht mehr zu übersehen. Gute Chancen versprechen sich deshalb auch deutsche Umwelttechnikfirmen.

Ein Schwerpunkt von Köhlers Besuch war angeblich das Thema Bildung. Der Bundespräsident unterzeichnete ein Abkommen über die Förderung der deutschen Sprache an vietnamesischen Schulen und Hochschulen und ein zweites über die Einrichtung einer deutschen Universität in der vietnamesischen Hauptstadt. Die Voraussetzungen sind günstig, denn 100 000 Vietnamesen sprechen mehr oder weniger gut Deutsch. Die 10 000 Akademiker unter ihnen, die in der DDR studiert hatten, nehmen heute Führungspositionen ein. Einer von ihnen ist Bildungsminister, ein weiterer Vize-Bürgermeister von Ho-Chi-Minh-Stadt, andere sind Hochschullehrer oder Berater der Kom­munisti­schen Partei. Und viele von ihnen haben Kinder, die auch im Ausland studieren wollen. Nach dem Wunsch vieler Eltern soll das in Deutsch­land sein.

Gerade deutsche Technische Universitäten haben einen guten Ruf. Doch die restriktiven Einreisebedingungen hierzulande lassen diesen Wunsch oft scheitern. Hessen geht deshalb den umgekehrten Weg und will in diesem Jahr die erste deutsche Universität in dem Land gründen, in dem viele Abiturienten keine Studienplätze bekommen. Nicht ohne die Absicht, die besten Absolventen dann nach Deutschland abzuwerben. Vietnamesische Schüler gelten als lernwillig und in naturwissenschaftlichen sowie technischen Studienrichtungen als besonders leistungsfähig. Die USA haben längst begonnen, dieses Potenzial mit 700 Stipendien zu fördern. Deutschland vergibt bisher gerade einmal zehn Stipendien.

Die Parlamentswahlen, die einen Tag vor Köhlers Ankunft stattgefunden haben, waren dagegen kaum Thema. Die Ergebnisse sind noch nicht ausgezählt, aber das verspricht auch wenig Spannung. Die Mehr­heit der Kandidaten stellten die Kommunistische Partei auf – die einzige legale Partei im Land – oder mit ihr verbundene Massenorganisationen wie etwa die Frauenunion. Anders als in der früheren DDR konnten die Wähler allerdings zwischen mehreren Kandidaten auswählen. Außerhalb der Einheitslisten warben rund 30 unabhängige Kandidaten um die Wähler. Um auf die Listen zu kommen, mussten sie allerdings eine Art Vorauswahl durchlaufen, die alles andere als transparent war und von Vietnamesen im Ausland als Manipulation kritisiert wurde. Dem bisherigen Parlament gehören lediglich drei Unabhängige an.

Vor den Parlamentswahlen fand die schlimms­te Repression gegen Dissidenten seit den achtziger Jahren statt. Im Hinblick auf die Meinungsfreiheit hatte Vietnam in den vergangenen Jahren einige Fortschritte gemacht. So wurde die Pressezensur geringfügig entschärft. Vor einem Jahr, vor dem Parteitag der Kommunisten, wurden in vietnamesischen Zeitungen lebhafte Debatten geführt über die Rolle des Geheimdienstes, über die arg vernachlässigte Ökologie oder über den Führungsanspruch der KP, der in der Verfassung festgeschrieben ist. Eine Gruppe von anfangs 118 Intellektuellen und Geistlichen nutzte die temporäre Freiheit, um im Internet einen Appell für den friedlichen Übergang zum Mehrparteiensystem zu veröffentlichen. Sie sahen sich in der Tradition der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, der Französischen Revolution, aber auch der Unabhängigkeitserklärung von Ho Chi Minh im Jahr 1945.

Solange die Kommunistische Partei vor ihrem Parteitag mit internen Machtkämpfen befasst war, wurde diese Freiheit geduldet, auch wenn die Partei den Anspruch auf das Erbe des populären Revolutionshelden Ho Chi Minh für sich reklamierte. Diese Phase hielt so lange an, bis Vietnam im Herbst seinen Beitritt zur Welthandelsorganisation vereinbarte. Damals wollte sich die vietnamesische Regierung für den Gipfel der Staaten der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsunion APEC Staatsoberhäuptern wie George W. Bush und Wladimir Putin als weltoffen und demokratisch präsentieren. Vor den Parlamentswahlen war aber Schluss mit der Toleranz. Mitunterzeichner des Appells, wie ein katholischer Priester, Rechtsanwälte und Funktionäre einer inzwischen verbotenen unabhängigen Gewerkschaft, wurden zu Haftstrafen verurteilt. Eine Opposition darf es in einem Einparteienstaat nicht geben.