Der reine Horror

Der US-amerikanische Maler joe coleman geht dorthin, wo es wehtut. Im Gespräch erklärt er den Zusammenhang von »painting« und »pain« und beschreibt, wie es ist, Mäusen die Köpfe abzubeißen

Charles Manson, Timothy McVeigh, Albert Fish, Harry Houdini, Hank Williams, Edgar Allan Poe – der Maler Joe Coleman porträtiert die abgründigen, tragischen und monströsen Figuren der US-amerikanischen Geschichte und Popkultur. Seine Bilder zeigen Outsider, er selbst ist längst keiner mehr. Seine Werke sind bei Sammlern gefragt. Sein Bild »Man of Sorrows« hing im Rotterdamer Museum Boijmans Van Beuningen neben den Gemälden von Hieronymus Bosch. Die Kunst-Werke Berlin zeigen zurzeit Colemans bisher größte Werkschau. In ihr sind neben Bildern, Zeichnungen und Comics auch Videos, Spielfilme, Wachsfiguren, Abschiedsbriefe und andere Kuriositäten zu sehen.

Wo liegt der Unterschied zwischen Kult und Religion?

Nach Paragraph vier, sechs und 15 der Verfassung verweigere ich die Antwort. Weitere Fragen?

Ihre Obsession ist die Darstellung des schmerz­lichen, brutalen, gewaltvollen Todes. Sie porträtieren Serienmörderinnen und Vergewaltiger mit Liebe zum Detail. Warum machen Sie das?

Das ist eine Art von method acting. Jedes meiner Bilder ist ein Selbstporträt. Es fängt damit an, dass mir eine Person einfach nicht aus dem Kopf will, also muss ich mich durch sie durcharbeiten. Ich recherchiere alles, was ich über die Person finden kann, und führe Interviews. Es kann das grausamste Monster sein, in dem ich aber meine eigenen schlimms­ten Ängste, Gelüste und Schuldgefühle finde. Ich habe so viel Angst vor dieser beschissenen Welt, in der wir leben, dass ich diese Kunst machen muss, um mich besser zu fühlen. Im Wort »painting« steckt das Wort »pain«. Ich male meine Schmerzen und fühle dabei eine Erleichterung. Du kannst dein Kind mehr lieben als alles andere und gleichzeitig das Gefühl haben: »Oh Johnny, ich könnte dich umbringen!« Ich denke, das ist menschlich.

Trotz der Introspektion in Ihre Abgründe liefert Ihre Kunst keine transzendentalen Auswege über die Spiritualität, Magie oder Esoterik.

Ich bin in einer streng irisch-katholischen Familie groß geworden, aber schon als Kind habe ich die Widersprüche in den formalen Aspekten des Katholizismus erkannt. Meine Mutter wurde exkommuniziert, weil sie sich scheiden ließ. Trotzdem war ich weiterhin fasziniert von den Dramen und den Ritualen des Katholizismus. Diese Religion erklärt das Leben über den Körper. Das hat mich immer fasziniert. Fleisch ist der Beginn der Wahrheit, deswegen haben die Katholiken die Reliquien der Heiligen gesammelt. Auch ich sammle in einem Raum in meiner Wohnung, den ich »Odditorium« nenne, heilige Objekte, wie zum Beispiel den Brief des Kannibalen Albert Fish an die Mutter seines letzten Opfers, in dem er das Rezept beschreibt, nach dem er das Mädchen zubereitete, und die Art und Weise, wie er es aß. Die Dinge, die ich dort sammle, sind tragisch-traurig oder tragisch-schrecklich. Die Malerei und das »Odditorium« sind für mich Fetischobjekte, mit denen ich mir das Monster zum Freund mache, um so das Zerstörungs­potenzial zu bändigen. Das »Odditorium« ist wie eine Kinderfibel, in der an bestimmten Objekten die Grundlagen der Welt erklärt werden.

Ich arbeite mit einer Juwelierlupe und einem Einhaarpinsel acht Stunden am Tag. Wenn ich male, fühle ich mich wie zu der Zeit, als ich ein Junkie war. Mein Geist ist abgestellt, und es sind nur meine Hände, die arbeiten. Diese Art zu malen verlangt Vertrauen. Für mich ist das spirituell. Ich vertraue nur mir selbst und meiner Erfahrung von Leid und Schmerzen. Ich könnte morgen sterben und habe noch viel zu viel zu tun, als dass ich mit Blödsinn wie Satanismus, Schwarzer Magie oder anderen Störungen meine Zeit verschwenden könnte. Kunst und Magie sind ohnehin nur Worte, denen ich nicht vertraue. Es gibt Leute, die behaupten, David Copperfield sei ein Magier. Für mich sieht das, was er macht, nicht wie Magie aus. Wenn jemand ein paar Gardinen im Central Park aufhängt, gilt er als Künstler, während das, was ich tue, nur als Illustration gesehen wird.

Die Unterscheidung zwischen Hoch- und Popkultur wird aber doch seit einiger Zeit erfolgreich von der Lowbrow-Bewegung aufgehoben. Tattoos, Comics, Kitsch und auch Ihre Bilder zählen dazu und werden mitt­lerweile in großen Museen ausgestellt.

Lowbrow ist auch wieder nur ein Wort. Meine Kunst wurde schon mit diversen Labels versehen, ob Pop-Surrealismus, Lowbrow-, Outsider- oder Folk-Art. Die Leute aus diesen Szenen haben mir zwar geholfen, Kontakte herzustellen. In Juxtapoz oder in Raw Vision, den berühmten Magazinen dieser Bewegungen, wurden Bilder von mir gedruckt. Die Herausgeber Robert Williams und John Maizels sind sehr gute Freunde von mir. Aber ich bin völlig genervt von diesen Begriffen. Ich will nicht, dass man mich einen Outsider nennt. Das empfinde ich als Beleidigung. Die Galerien haben sich diese seltsamen Kunstbegriffe ausgedacht, weil sich ein Künstler gut verkaufen lässt, der eine Schocktherapie hinter sich hat oder in einer psychiatrischen Anstalt war.

Sie waren früher berüchtigt für Ihre Performances, in denen Sie auf Partys oder in Galerien Dynamit an Ihrem Körper explodieren ließen. Wollten Sie damit nicht nur sich, sondern auch der Gesellschaft Schmerzen zufügen?

Es hatte nichts mit den Schmerzen der Gesellschaft zu tun. Es war mein eigener Scheiß, deswegen trat ich auch als »Professor Momboozoo« auf. »Mom« für Mama und »Boozoo« für Papa, der Alkoholiker war. Im Oktober 1989, eine Woche nach dem Tod meiner Mutter, habe ich meine letzte Performance aufgeführt. In der Boston Film and Video Foundation fütterte ich das Publikum 20 Minuten lang mit alten, harten Pornofilmen. Ich hing über den Zuschauern an einer Nabelschnur und hatte Dynamit um meinen Körper gebunden. Irgendwann sprang ich von der Leiter, meine Ehefrau Nancy schnitt die Nabelschnur durch und ich zündete das Dynamit. Ich explodierte über dem Publikum. Dann biss ich zwei lebenden Mäusen, die ich »Mama« und »Papa« nannte, die Köpfe ab und spuckte sie ins Publikum. Ich schluckte ein Stück von »Mama« hinunter, ich wollte sie mir einverleiben, aber ich habe es gehasst. Dann setzte ich das Theater in Flammen, weil Mama glaubte, dass sie ewig in der Hölle leiden würde. Ich wollte die Hölle erschaffen, und dann ging der Feueralarm an und ich wurde verhaftet. Ich wurde wegen des Besitzes einer »Höllenmaschine« angeklagt. Ich glaube, sie haben nicht verstanden, was ich da gemacht habe. Es war der Big Bang der Schöpfung. Ich tat es für meine Mutter. Mama war die Beste. Sie war wirklich cool.

Ist es schwierig, Mäusen den Kopf abzubeißen?

Ja, klar ist es schwer. Die Mäuse haben mich sogar in die Lippe gebissen. Sie haben gegen mich gekämpft. Es war der reine Horror. Aber das war die Erfahrung, die ich machen wollte. Ich konnte die Knochen brechen hören. Ich fühlte das Blut in meinen Rachen schießen. Es war schrecklich, und das sollte es auch sein.

Konnte Sie nach der jahrelangen Beschäftigung mit Vernichtungswünschen und Zerstörungstrieben der 11. September schockieren?

Nein, ich habe ihn ja in einem Bild sogar prophezeit. Für mich war das nicht schockierend. Es ist nur sehr seltsam, dass ich mich als kleines Kind in fremden Häusern selbst explodieren ließ, und jetzt laufen überall diese Selbstmordattentäter herum. Ich verstehe die Schüler aus Columbine, sie fühlten so viel Schmerz und glaubten, dass es keinen Ausweg gebe. Aber in der Kunst gibt es einen Ausweg. Ich hatte Glück. Dieselben Konflikte in mir haben eine bessere Person aus mir gemacht, andere Personen wurden von ihnen zerstört. Ich habe dieselben Schmerzen und habe die wirklich schrecklichen Kräfte in eine positive Kraft umgewandelt. Ich denke, die ganze Menschheit ist dazu fähig, aber ob sie es will, weiß ich nicht.

Wenn islamistische Selbstmordattentäter, der Arbeitslose, der seine Sozialarbeiterin erschießt, der SS-Soldat und Joe Coleman dieselben inneren Schweinehunde haben, würden Sie sagen, dass es niemals zum Vernichtungskrieg der Deutschen gekommen wäre, wenn Hitler die Aufnahme in die Akademie der Künste geschafft hätte?

Nein, das würde ich nicht sagen. Ich spreche immer nur für mich selbst. Ich weiß ja nicht einmal, ob du wirklich existierst. Wenn ich beispielsweise Mary Bell, die zehnjährige Mörderin, porträtiere, weiß ich nicht, wer sie wirklich war. Ich empfinde bestimmte Sachen in der Betrachtung dieser Leute, mit denen ich mich identifiziere, aber ob diese von mir porträtierten Leute auch so empfanden, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass das, was ich getan habe, bei mir funktioniert hat. Ich habe eine bestimmte Anzahl an Karten ausgeteilt bekommen. Zuerst habe ich mir die Karten angesehen und gesagt: »Was für ein beschissenes Drecksblatt habe ich da bekommen? Was soll ich damit anfangen?« Aber ich habe das Blatt angenommen und das beste Spiel gemacht, das man mit so schlechten Karten spielen kann.

Manifeste des Surrealismus und Plattencover von HipHop-Bands wurden als Vorbilder für die Terroristen vom 11. September verantwortlich gemacht. Hat man Ihre Kunst auch mit solchen Vorwürfen konfrontiert?

Glauben Sie, die Terroristen brauchten mich dafür? Ich denke nicht, aber es gab einige Serienmörder, die von der Polizei gefragt wurden, ob sie von meinen Bildern inspiriert worden seien. Und manche haben gesagt: »Ja!« Auf eine bestimmte Weise war das ein Kompliment. Wenigstens haben diese Leute guten Geschmack bewiesen.

Die Interpretation, dass Sie ein Anwalt der Serienmörder und Vergewaltiger seien, ist also falsch?

Ich hasse Anwälte. Ich gehe so an die Leute heran wie die Alchemisten, die versuchten, aus den Grundmetallen Gold zu machen. Ich beschäftige mich mit den Grundgefühlen und benutze die primitivsten Werkzeuge. Ich benutze den Grundmüll, den die Gesellschaft als wertlos betrachtet, und mache aus dem Schlimmsten der Menschheit Gold, eine Art von Schönheit.

Noch vor einigen Jahren kamen Sie für eine Performance ins Gefängnis. Heute haben Sie unglaublich viele Kunden auf einer Liste, die darauf warten, ein Bild von Ihnen kaufen zu können. Plötzlich sind die Dinge wertvoll geworden, von denen Sie sagen, die Gesellschaft betrachte sie als wertlos. Wie erklären Sie sich den Wandel in der Wahrnehmung Ihrer Kunst?

Meine Bilder sind immer in dieselbe Richtung gegangen, aber die Welt hat sich verändert und kreuzt zurzeit genau meine Position. Ich hatte schon immer Angst vor der Fragilität der Welt und der Menschen. Vielleicht hat jetzt auch der Rest der Welt realisiert, wie zerbrechlich er selbst ist, und sein eigenes Zerstörungs­potenzial ernst genommen. Ich werde immer meine Richtung beibehalten, aber die Welt wird sich vielleicht in die eine oder andere Richtung weiterdrehen. Meine Lieblings­kritik hinsichtlich meiner Kunst war der Vorwurf, sie sei pathologisch. Das hab’ ich mir zu Herzen genommen. Ich bin ein Pathologe. Das fühlt sich gut an. Besser, als ein Künstler zu sein.

interview: doris akrap, ­danielle de picciotto und ­minou zaribaf

Joe Coleman – Internal Digging. Kunst-Werke, Institute for Contemporary Art, Berlin. Bis 12. August