Das DIY-Spektakel

Nach den Gipelprotesten von carlos kunze

Es ist Dienstag, der »Aktionstag gegen Krieg, Militarisierung und Folter«. 400 oder 500 Protestierende haben sich zu einer Kundgebung am Gelände des Flughafens Laage eingefunden. Auf der Bühne redet eine US-amerikanische Anti-Kriegsaktivistin, die sich auf den Kampf gegen die in Deutschland liegenden fünf US-Kasernen spezialisiert hat. Dass nach dem Grundgesetz von deutschem Boden kein Krieg ausgehen dürfe, sagt sie, gelte auch für die US-Kasernen, aus denen Nachschub in den Irak geflogen wird. Angela Merkel könne das stoppen, morgen schon, wenn sie etwa Ramstein dicht mache. Der Hauptfeind sei nicht das eigene Land, der Hauptfeind USA stehe vielmehr hier im Land. Beifall allerorten.

Ein Sprecher der Interventionistischen Linken geht ans Mikro. Ab 19 Uhr wird Indymedia TV weltweit übertragen, sagt er. Um den Genossen und Genossinnen in aller Welt einen Gruß zukommen zu lassen, sollten die Anwesenden nach vorne an die Absperrung gehen und in die Kameras rufen: »Fuck off, Mr. Bush!« Gehorsam zotteln die meisten nach vorne – einige recken die ausgestreckten Mittelfinger – und rufen: »Bush, go home!« Abends kann man diese Szene in diversen offiziellen Fernsehprogrammen bewundern. Als in weiter Ferne einige Hubschrauber – einer wohl mit Bush an Bord – zu sehen sind, rufen einige ganz Mutige: »Hu-, Hu-, Hubschrauberabsturz!«

Mit Merkel gegen Bush – darin erschöpft sich die politische Radikalität an diesem Tag. In Sachen Klima hatte das Greenpeace in der Vorwoche bereits vorexerziert, als der Energieexperte der Gruppe, Karsten Smid, Bushs Klima-Initiative zu einem »hinterhältigen Ablenkungsmanöver« zur Schwächung des Kyoto-Protokolls erklärte und sagte: »Bundeskanzlerin Merkel muss weiter dafür kämpfen, dass sich die Industriestaaten auf verbindliche Reduktionen der Treibhausgase einigen.« Angela, der Kampf geht weiter!

Viele, die in Rostock und Heiligendamm protestierten, kommen sich schlau vor, wenn sie nicht glauben, was an offizieller Propaganda verbreitet wurde: dass es sich bei den Krawallen in Rostock um »eine der heftigsten Straßenschlachten in den vergangenen 20 Jahren« handelte, eine »Orgie der Gewalt«, einen »Randalerausch der Autonomen« mit »1 000 Verletzten« (alle Zitate von Spiegel online), dass die »Clown’s Army« aus ihren Wasserpistolen ätzende Säure auf die Polizei spritzte, und was es an weiteren Highlights durchsichtiger Lügen gab, die innerhalb von wenigen Tagen dementiert werden mussten, weil sie allzu weit von der Realität entfernt waren.

Bei ihrem Do-it-yourself-Spektakel aber, der selbstgebastelten Bilderproduktion für die »Genossinnen und Genossen weltweit« und die Massenmedien zugleich, ist ein Totalausfall kritischen Denkens zu beobachten. Das kommt nicht von ungefähr: Dominant bei den Gipfelprotesten waren die Protagonisten der von Staatsknete abhängigen NGO und die linken Nachwuchspolitiker. Das Spektakel zu beliefern, fällt ihnen nicht schwer, weil sie in ihren Jobs permanent mit Medien umgehen müssen, und sie vertreten die Ideologie der von der Krise und der Prekarisierung bedrohten unteren Mittelklasse, der sie selbst angehören. Diese will wieder unter die Fittiche des »regulierenden« und »schützenden« Staats kriechen, anstatt ihre reale Proletarisierung kritisch zu reflektieren, die sie dem amerikanischen »Raubtierkapitalismus« zurechnet. In diesem nationalistischen Staatsfetischismus und der damit verbundenen Identifikation mit dem eigenen Staatspersonal liegt die tiefe Einheit, die einen großen Teil der Proteste und die offziellen Feierlichkeiten verbunden hat, jenseits aller spektakulären Differenzen.