Links um ins Parlament!

Am Wochenende entsteht das gesamtdeutsche Sammelsurium »Die Linke«. von regina stötzel

Ob sie schon zählen, wie viele Male sie noch schlafen müssen, bis es endlich so weit ist? Ein großes Ereignis steht bevor für die Mitglieder der Linkspartei und der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (Wasg), eins wie Geburtstag und Hochzeit, Weihnachten und Ostern in einem. Endlich wächst zusammen, was zusammengehört! Am Samstag werden sich die beiden Parteien offiziell zur neuen Formation »Die Linke« vereinigen.

Das Glück ist perfekt, denn der Nachwuchs ist auch schon da. Zwar nicht offiziell, aber irgendwie vereinigt sich die trotzkistische Politsekte Linksruck gleich mit. Eigens zu diesem Zweck hat sie sich Anfang April in Frankfurt am Main als »selbständige, separate Organisation« aufgelöst und will Anfang September innerhalb der neuen Partei ein »Netzwerk von Marxisten« gründen.

»Das neue Haus ›Die Linke‹ ist bezugsfertig«, verkündete Lothar Bisky frohgemut, der mit Oskar Lafontaine den Parteivorsitz übernehmen soll. Jenes Haus muss enorme Ausmaße haben. Denn »Die Linke« ist groß und kann so manches.

Perfekt beherrscht sie den Straßenkampf. »Nahezu geschlossen« hatte sich die Lafontaine-Gang auf den Weg an die Ostsee gemacht, »um sich in die breite Phalanx der Kritiker und Gegner des G8-Gipfels« einzureihen, wie es in einer Presseerklärung hieß. Der Fraktionsvorsitzende selbst scheute keine Mühe, »das gigantische Sicherheitsdickicht aus 13 000 Polizisten zu durchdringen«, um in Ros­tock zu demons­trieren. Auf der Abschlusskundgebung durfte Lafontaine zwar nicht sprechen, dafür erklärte er im Großzelt in Bad Doberan einmal mehr, wie der Kapitalismus zu bändigen sei: mithilfe der Tobin-Tax, der Zwille der Globalisierungskritiker. Er bezeichnete die Vertreter der G8-Staaten als »Top-Terroristen«, verlangte Pressefreiheit, die er selbst vor vielen Jahren im Saarland eingeschränkt hatte, sprach von dem Ziel, die Waffenindus­trie zu vergesellschaften, und gab sich kämpferisch: »Wir brauchen den Generalstreik.«

Sein Genosse Ulrich Maurer, langjähriger Vorsitzender der SPD in Baden-Württemberg und im Schattenkabinett Rudolf Scharpings einst als Innenminister gehandelt, verteilte Wasser, Schokolade und Tabak unter den Blockiererinnen und Blockierern des G8-Gipfels und betonte, »dass ›Die Linke‹ immer eine Partei der Straße sein werde«. So stand es in Marx21, dem Nachfolgeorgan von Linksruck. Bildet Ketten, mit Lafontaine und Maurer!

Die Rolle der Opposition in den Parlamenten beherrscht »Die Linke« aus dem Effeff. Im Bundestag geht es unterhaltsamer zu und höher her, seit Gysi und Lafontaine wieder mit dabei sind. Es werden Anfragen gestellt, und wenn es leer ist auf den Rängen, kann man schon mal eine Abstimmung gewinnen, die nicht von Belang ist. Seit dem Einzug in die Bremer Bürgerschaft sind die Mitglieder der »Linken« beflügelt, ja, geradezu übermütig. Sie feierten das Zustandekommen einer gesamtdeutschen linken Partei und die Etablierung des quasi historisch überfälligen Fünf-Parteien-Systems in Deutschland. Und eins dürfte ja wohl klar sein: erst Bremen, dann die ganze Welt!

Im Regierenwollen sind sie mindestens ebenso perfekt. Wer bei der »Linken« wird sich vor der »Regierungsverantwortung« drücken wollen, wenn sie ihm oder ihr zu Füßen gelegt wird? Lafontaine plant schon sein Revival als saarländischer Ministerpräsident in einer rot-roten Koalition. ­Katina Schubert und Elke Breitenbach aus dem Vorstand der Linkspartei wollen »spätestens 2009« für einen »Richtungswechsel der Politik hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung und ziviler Konfliktlösung« sorgen.

So wie in Berlin schon vor Jahr und Tag geschehen. Dort regieren sie, routiniert wie alte Hasen, die Mitglieder der Partei »Die Linke«. Sie kürzen Löhne, schaffen Stellen für Ein-Euro-Jobber, privatisieren, verteuern Sozialtickets, sparen, sparen, sparen und bedauern besser als alle anderen Politiker die »Sachzwänge« der Real­politik.

»Die Linke«, das bedeutet kaum zu fassende Vielfalt. Nicht mehr gehören ihr bloß Sozialisten, Kommunisten, Sozialdemokraten, autoritätshörige Parteisoldaten und ein paar Linksradikale an, die meinen, in und mit der Partei etwas reißen zu können. Mit dabei sind auch Gewerkschafter und Keynesianer, Trotzkisten, Aktivisten aus Sozialforen und Initiativen und eine Unzahl profilierter Individuen.

Da ist Oskar Lafontaine, der an der faktischen Abschaffung des Asylrechts mitwirkte, der für Folter unter gewissen Umständen Verständnis zeigte, der deutsche Arbeiter vor »Fremdarbeitern« schützen wollte, der den Bau von Auffanglagern für Flüchtlinge in nordafrikanischen Ländern begrüßte und eine Gemeinsamkeit zwischen linker Politik und dem Islam darin sieht, dass »das Zinsverbot noch eine Rolle« spiele. Da ist der Bundestagsabgeordnete Hakki Keskin, der in Frage stellte, dass es einen Völkermord an den Armeniern gegeben hat, und Seite an Seite mit einem ehemaligen Vorsitzenden der Grauen Wölfe durch Berlin spazierte. Da ist Peter Porsch, der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Sächsischen Landtag, der seiner Sehnsucht nach »Heimat« freien Lauf ließ, und da ist Wolfgang Gehrcke, der Sprecher der Bundes­tagsfraktion für internationale Beziehungen, für den die Hamas bei einem Treffen von »Friedenskräften« nicht fehlen darf.

In einer solchen Gesellschaft fühlen sich auch die ehemaligen Mitglieder von Linksruck zu Hause. Böse Zungen nannten »Unterwanderung«, was bei der Wasg geschah, dabei sollte man besser von »fruchtbarer Zusammenarbeit« sprechen. Mit Christine Buchholz hat eine aus der streng hierarchisch strukturierten Organisation nunmehr gute Chancen, stellvertretende Parteivorsitzende zu werden. Zwei weitere Linksruckler sind Mitglieder im Vorstand des SDS, dem noch taufrischen Hochschulverband der Partei »Die Linke«, viele andere arbeiten den hauptamtlichen Politikern zu. Nunmehr wollen die Trotzkisten die »historische Chance« nutzen, »für eine am Klassenkampf orientierte Partei« zu streiten, wie es in der Erklärung zur Auflösung von Linksruck heißt. Wer einmal eine Veranstaltung von Linksruck besucht hat und über die große Anzahl rhetorisch geschulter, agitierender Nervensägen gestaunt hat, kann sich lebhaft vorstellen, wie das aussehen könnte.

Ihr Faible für »das Recht unterdrückter Völker auf nationale Selbstbestimmung« bzw. »nationale Befreiungskämpfe gegen imperialistische Politik« verhehlen die Linksruckler nicht. Wegen ihres mehrfach geäußerten Verständnisses für palästinensische Selbstmord­attentäter und Aussagen, die zumindest indirekt das Existenzrecht Israels in Frage stellten (»Israel ist ein Unterdrückerstaat. Deshalb bedeutet die Anerkennung Israels zugleich die Aufrechterhaltung der permanenten Kriegs­situation«), wollte der Fusionsbeauftragte Bodo Ramelow mit ihnen jedoch »ein ernstes Wort« sprechen, wie in der taz zu lesen war.

Ja, »Die Linke« ist wahrhaftig so »offen und plural, streitbar und tolerant«, wie es in ihrem »programmatischen Gründungsdokument« steht! Da kritisieren die einen die »antiisraelischen Positionen« der anderen, da fragt sich das Parteimitglied Ulla Jelpke, »ob Oskar Lafontaine in Migrationsfragen zu einem humanitären Kurs bereit« sei. Doch im »neuen Haus« findet sich für alle ein Eckchen. Sie vereint, dass sie »den Neoliberalismus«, Hartz IV und die Kriege der USA doof finden. Die einen nennen es Sammelbecken, die anderen Sammelsurium.