Müder Planet

Die 52. Biennale formuliert eine Kritik der Globalisierung. von dimitrina sevova und alain kessi

Denke mit den Sinnen, fühle mit dem Kopf«, lautet der Titel der 52. Internationalen Kunstausstellung der Bien­nale in Venedig. Der Titel klingt nach altbekannter Wahrheit und nach sekundenwährender Einsicht. Der Kritiker und Theoretiker Robert Storr, der das Motto gewählt hat, ist der erste amerikanische Direktor in der bisherigen Geschichte der Biennale. Storr, der aus einer linken Kulturtradition kommt, versucht einen radikalen kuratorischen Zugang. Sein Ziel ist es, zu einem Vertrauen in die politische Kraft und den Sinn der Kunst zurückzufinden, die Kunst als Teil eines kulturellen intellektuellen Eigentums definiert – und nicht als Eigentum einer Museumsabteilung oder einer privaten Sammlung.

Über das Vermischen gänzlich verschiedener Sprachen, Vorgehensweisen, Ästhetiken und Technologien baut die Ausstellung einen autonomen Raum auf. Das Anliegen ist ein Zur-Vernunft-Kommen im Widerstand gegen die Krise der Repräsentation und der Ideologie, gegen das Verlangen nach Selbstzerstörung. Ei­ne Vorgehensweise, die auf die künstlerischen Avant­garden Anfang des vorigen Jahrhunderts verweist, in denen ästhetische und intellektuel­le Werte und politisches Engagement eins wurden. Deshalb stehen auf dieser Biennale die Inhalte, die Botschaften im Vordergrund.

Storr stellt keine Grenze auf zwischen Techno­logien, verbindet verschiedene Kunstmedien und -vorgehen, die sich teils widersprechen. Die Graffitis auf den Wänden neben den schwe­ren musealen Ölbildern oder Fotokopien lehren uns, dass alle Technologien »neu« sind und bloß Ausdrucksmittel sowohl für museale Kunst als auch für die Verständigung im Alltag. Storrs Konzept zielt darauf, es dem Publikum abzugewöhnen, Bilder auf die Schnelle zu konsumieren und sich vom Spektakel einlullen zu lassen. Dabei bezieht er sich denn auch explizit auf Guy Debord und die Situationisten. Er möchte ein Treffen organisieren zwischen dem Publikum und der zeitgenössischen Kunst, wobei die Zuschauer nicht in ihrem Kunstkonsum bevormundet, sondern in die Sinnproduktion einbezogen werden sollen – in ein moralisch-intellektuelles, aber auch sinnliches Genießen von Kunst. Kunst ist kein warmes Bad für Dösende, kein Ruhesessel für müde Businessleute. Die Biennale ist aber auch keineswegs nur für Experten oder Sammler gemacht.

Der räumliche Aufbau der Ausstellung zwingt einen geradezu, das Tempo zu verlangsamen, verunmöglicht den schnellen Durchgang, um Reflexionen Raum zu geben. Ein heterogenes Publikum bewegt sich durch die Ausstellung, teilweise mit spürbarem Unverständnis, Verlegenheit, Desorientierung.

Die Biennale zeichnet das Bild einer globalen Welt, die ausgesprochen erschöpft und verbraucht ist vom neoliberalen Kapitalismus und einem nicht enden wollenden globalen Krieg, mar­kiert durch lokale und globale Konfliktlinien.

Aber auch die Zerstörung der Kunst selbst wird verhandelt. Ein verfaulendes Rom dient als Symbol des Falls des Zentrums, das nicht auf die neuen Bar­baren hoffen kann, die es vollends zer­stören und einen Neubeginn einläuten könnten. Es gibt kein Außen mehr, keine Barbaren an der Außengrenze des Imperiums.

Am Eingang des ehemaligen italienischen Pavillons, der einen Teil der kuratorischen Ausstellung beherbergt, baumeln in Nancy Speros Installation »Macht keine Gefangenen« die abgeschnittenen Köpfe von Aufständischen. Die statische Imposanz der raumfüllenden Skulptur vermag auch die ansonsten von drastischen Medien­bildern abgehärteten Sinne zu beeindrucken und widersetzt sich der schnellen Konsumtion.

Im nächsten Raum gibt es ein Video, das ganz ohne Spezialeffekte auskommt. Man sieht durch ein Loch im Dach eines Gebäudes in Basra im Irak hindurch, das durch eine fallende Bombe, die nicht explodiert ist, gerissen wurde. Weitere Videos thematisieren die Ökonomie der Bilder, viele Arbeiten sind in Schwarz-Weiß gehalten oder wirken betont monoton, fast »langweilig« und untergraben mit ihrer Ästhetik die Alleingültigkeit globaler spekulativer Bilder. So zum Beispiel das Video von Mario Garcia Torres, »Offener Brief an ›Dr Atl‹«, über die Erfindung einer Landschaft im Dienste der Tourismusindustrie, in Zusammenhang mit einem geplanten Ausläufer des Guggenheim-Museums in Mexiko. Oder das Video »Resonante Oberflächen« von Marion de Boer, mit einem Interview der brasilianischen Psychoanalytikerin Suely Rolnik über ihre Freundschaft zu Deleuze und Guattari und die kulturelle Heterogenität von Sao Paolo.

»Morrinho Project« heißt ein junges Kollektiv aus Brasilien, das ein umfangreiches Modell einer Stadt aus Steinen, Blech, Spiel­zeugen und anderen Billigmaterialien gebaut hat und es mit Legosteincharakteren bevölkert. In ihrem Video formulieren sie Einsichten und Erfahrungen. Hier vermischen sich die Kritik der globalen Stadt, Fragen von Territorium und Grenzen, von Krieg mit Spiel, Spaß, Kritik sowohl politisch als auch institutionell ans Kunstsystem gewendet. Die Werthierarchien überlappen in kon­sequenter künstlerischer Haltung und emotionellem und politischem Engagement. Es ist eine der unterhaltsamsten Arbeiten, und das Publikum verweilt.

Storr ist mit seinem Konzept und mit linker Stimme ein Risiko eingegangen. Was bei all seinem Verlangen nach Aufbrechen von Hierarchien und Aufzeigen von vielfältigen Stimmen befremdend wirkt und an machistische Revolutions­rituale denken lässt, ist die Auswahl von 72 männlichen künstlerischen Positionen und nur 26 weiblichen.

Auf einer Diskussionsveranstaltung in Belgrad hatte er sich noch in eine politische Tradition der feministischen Bewegungen, der schwarz-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der Schwar­zen Panther und der Aufstände von Stonewall in den sechziger und siebziger Jahren gestellt. Das Ungleich­gewicht in der Repräsentation kann auch nicht durch die starke Präsenz einiger wichtiger feministischer Künst­lerinnen wettgemacht werden. Verstärkt wird die Enttäuschung noch durch die Erinnerung an die vorige Biennale, kuratiert von Rosa Martinez, bei der im Eingang zur Arsenale auf Großleinwänden die Guerilla Girls Fragen zur ungenügenden Vertretung von Frauen in Kunsträumen stellten und Statistiken lieferten.

Es bleibt nur noch übrig, für die nächs­te Biennale einen Anteil von 47,5 Prozent männlichen und 48,5 Prozent weiblichen Künstlern zu wünschen.