Nach dem Sturm

Die Aktionen der rechtsextremen Szene gegen den G8-Gipfel waren ein Flop. Dennoch feiert sie sich selbst. von jan langehein

Mit großmäuligen Worten hatte Udo Voigt, der Vorsitzende der NPD, seine Anhänger zur Teilnahme an der Demonstration am 2. Juni in Schwerin aufgerufen: »Die Welt soll wissen, dass der Kampf gegen die Globalisierung ein Kampf der Völker ist. Und dieser Kampf, darauf wartet ganz Europa, muss von Deutschland ausgehen.« Für die Neonaziszene sollte es der politische Höhepunkt des Jahres werden; NPD und Kameradschaften hatten sich unter dem Dach der »Gib8«-Kampagne zusammengerauft und wollten mit mindestens 2 000 Anhängern gegen den G8-Gipfel und für »nationalen Sozialismus« demonstrieren. Aber die Justiz machte ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Zunächst hatten Gerichte in Mecklenburg-Vorpommern den Aufmarsch wegen Polizeinotstands verboten; dann scheiterten die Anmelder mit dem Versuch, das Verbot im letzten Moment vom Bundesverfassungsgericht aufheben zu lassen. So kurzfristig könnten sie das nicht entscheiden, ließen die Verfassungsrichter von ihrer Pressestelle mitteilen. Auch eine Ausweichkundgebung der Rechtsextremen in Ludwigslust wurde verboten.

Schwerin blieb also am 2. Juni eine wenigstens von auswärtigen Neonazis freie Zone; die 2 500 Polizisten, die das Innenministerium trotz des Großeinsatzes in Rostock in die Landeshauptstadt abkommandiert hatte, vertrieben sich ihre Zeit damit, den Antifas das Leben schwer zu machen, die trotz des Verbots der Neonazidemonstration nach den Rech­ten sehen wollten. Auch die Gegendemonstration war verboten worden, weil das Ordnungsamt den »Schwarzen Block«, der sich nachmittags in Ros­tock austobte, in Schwerin erwartete.

Angela Marquardt, die Anmelderin der Antifademonstration, wurde nach Angaben des Antifabündnisses Mecklenburg-Vorpommern bereits morgens um zehn Uhr per Platzverweis aus der Stadt geworfen; 150 Linke wurden am Bahnhof festgesetzt und schließlich vorübergehend in Gewahrsam genommen. Der Sprecher des Bündnisses, Gerhard Hahn, kritisierte das Vorgehen der Behörden: »Mit Maschinenpistolen und Wasserwerfern wollte die Polizei all das verhindern, was im Grundgesetz verankert ist – das Recht zu demonstrieren.«

Den Organisatoren der rechtsextremen Demons­tration war es unterdessen gelungen, ihre Anhänger in andere Städte umzuleiten, wo sie versuchten, das Verbot in Schwerin durch Spontankundgebungen zu umgehen. In Berlin gelang es der NPD, mit ihren Bussen am Pariser Platz vorzufahren, 140 ihrer Anhänger marschierten unter Führung von Voigt zwei­mal durchs Brandenburger Tor. 350 Nazis demonstrierten in Lüneburg, bei Auseinandersetzungen mit den Rechtsextremen wurden dort drei Polizisten verletzt; die Polizei nahm 130 »Kameraden« vorübergehend in Gewahrsam. 300 Rechtsextremisten trafen sich außerdem in Wittenberge, 250 in Güstrow und jeweils knapp 100 in mehreren anderen Städten in Nord- und Ostdeutschland.

Gegenüber der Presse klagt die NPD bitter über die Aufmarschverbote in Schwerin und Ludwigslust und das Vorgehen der Polizei gegen die Spontankundgebungen. Generalsekretär Peter Marx sagte in Schwerin: »Die Abdankung des Rechtsstaates nimmt immer groteskere Formen an. Während einige tausend vermummte multikriminelle Linksextremisten Terror und Verwüstung nach Rostock brachten, ging der Staat mit brutaler Härte gegen friedliche NPD-Spontankundgebungen für das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit vor.« Seine Partei sei nicht bereit, sich weiter »kriminalisieren und terrorisieren« zu lassen. Das Argument des Bundesverfassungsgerichts, für eine Entscheidung über das Verbot in Schwerin sei keine Zeit gewesen, beantwortete er mit der Ankündigung, in ähnlichen Fällen demnächst direkt den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof anzurufen.

Trotz der Klagen feierte die »Gib8«-Kampagne intern ihr Projekt als großen Erfolg. Eine Nachbereitung zu den Ereignissen des 2. Juni trägt den Titel: »Ein guter Tag für den nationalen Widerstand«. Das Verbot habe gezeigt, wie hilflos die »Führungs­eliten der liberal-kapitalistischen Ordnung« der Tatsache gegenüber stünden, dass das Volk den »Gipfel der Globalisten« nicht mehr wolle. Nur noch durch grundgesetzwidrige Maßnahmen könne »das System« davon ablenken, dass rund die Hälfte der Bevölkerung längst mit ihm abgeschlossen habe. Es zeige sich außerdem immer wieder, dass das System zu seiner Machterhaltung die Autonomen brauche: »Sie machen jene Drecks­arbeit, die man offiziell nicht erledigen kann. Was zu verhindern nicht möglich ist, überlässt man den Schwarzen Schlägertruppen.«

Das Verbot der rechtsextremen Kundgebungen offenbare in Wahrheit die Unsicherheit des Systems, es neige bereits zu unüberlegten Handlungen. Der »Gib8«-Kampagne habe dies nur genutzt, denn »der demütigende Druck gegen nationale Kräfte hat seit langem wieder einmal dazu geführt, dass flächendeckend der Kampf um die Straße als ein Ziel nationaler Politik erfolgreich sein konnte. Nach dem Protest mit Ansage kommt nun nämlich der spontane Volkszorn.«

Mit dem »spontanen Volkszorn« waren wohl die Spontandemonstrationen gemeint, auf die die Neonazis ausgewichen sind, nachdem klar war, dass sie in Schwerin keinen Fuß vor die Busse bekommen würden. Die Wirkung dieser Aktionen wird von ihren Veranstaltern dementsprechend überhöht. Über den Marsch auf dem Pariser Platz heißt es, die »ganze Republik ist in Aufruhr«, weil Voigt und seine Leute durch das »Tor der Freiheit« marschiert seien; und der saarländische NPD-Vorsitzende, Frank Franz, stellt angesichts des Tagesverlaufs die Frage: »Befindet sich die BRD in Auflösung?«

Wohl kaum. Trotzdem aber feiern die Neonazis ihr halbes Dutzend kleinerer Kundgebungen in Norddeutschland als Erfolg. Das kann vermutlich nicht einmal die eigenen Anhänger über das Desaster hinwegtäuschen. Die Medien­öffentlichkeit, die die Rechtsextremen mit einer Demonstration in Schwerin erreichen wollten, haben sie nicht bekommen. Selbst für Voigts Marsch durchs Branden­burger Tor interessierte sich kaum jemand, schließ­lich flogen in Rostock die ersten Steine und die Innenstadt versank in den Tränengasschwaden der Polizei.