Wieder im ­Gespräch

Serbien und Europa von boris kanzleiter

Das gab es bisher noch nie. Die neue serbische Regierung hat die Chefanklägerin des Jugoslawientribunals, Carla del Ponte, auf ei­gene Initiative nach Belgrad einge­laden, um über die Suche nach mutmaß­lichen Kriegsverbrechern zu berichten. Carla del Ponte stellte nach ihrer Visite in der vergangenen Woche den serbischen Institutionen ein gutes Zeugnis aus. Sie begrüß­te die Bildung eines »Nationalen Sicherheitsrates«, der in Zukunft die Aktivitäten der serbischen Organe koordinieren soll. Nach der Verhaftung des ehemaligen Generals Zdravko Tolimir ist del Ponte optimistisch, dass bald auch der ehemalige bosnisch-serbische Armeechef Ratko Mladic vor dem Tribunal sitzen könnte.

Auch die Europäische Union reagiert erfreut auf die ersten Taten der Mitte Mai neu formierten Regierung in Belgrad. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn wartete del Pontes Votum gar nicht erst ab. Er machte bereits vor der Inspektionsreise der Chef­anklägerin deutlich, dass die wegen mangelnder Zusammenarbeit mit dem UN-Tri­bunal im Frühjahr 2006 abgebrochenen Verhandlungen über ein EU-Assoziationsabkommen wieder aufgenommen werden. Funktionäre der Europäischen Kommission halten nun sogar die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Serbien noch in diesem Jahr für möglich. Vorbedingung bleibt allerdings die Auslieferung von Mladic.

Europas Optimismus ist erstaunlich. Denn tatsächlich sind es bisher hauptsächlich Ver­sprechungen, die auf eine neue Bereitschaft Serbiens zur Kooperation mit dem Tribunal hindeuten. Mit Tolimir wurde zwar tatsächlich zum ersten Mal seit Jahren ein vom UN-Tribunal zur Fahndung ausgeschriebener schwergewichtiger mutmaßlicher Kriegsverbrecher verhaftet. Der Erfolg der serbischen Behörden relativiert sich allerdings, wenn man weiß, dass Tolimir in den vergangenen Monaten drei Schlaganfälle erlitten hat und den Strapazen des Lebens im Untergrund kaum noch gewachsen war. Es ist zwar durchaus möglich, dass ein Teil der neuen Regierung die Belastung, fortwährend auf Kriegsverbrecherjagd zu sein, endlich abstreifen will. Solange es aber keine weiteren konkreten Resultate gibt, sind Zweifel an der Ernsthaftigkeit angebracht. Menschenrechtsorganisationen wie das serbische Helsinki-Komitee warnen jedenfalls davor, dass die erneuten Zugeständ­nisse der EU letztlich dazu führen könnten, dass alles so bleibt, wie es ist.

Der eigentliche Grund für Olli Rehns Ini­tia­tive zur Wiederaufnahme der Assoziationsgespräche dürfte daher ein anderer sein. Die EU möchte die proeuropäische Regierung Serbiens, die in einem qualvollen viermonatigen Verhandlungsprozess zustande kam, mit einem öffentlichkeitswirksamen Schritt unterstützen. Der Schock über eine mögliche Zusammenarbeit des alten und neuen Premierministers Vojislav Kostunica mit den nationalistischen Radikalen sitzt tief. Nachdem vor der Regierungsbildung mit einer neuen Isolation Serbiens gedroht worden ist, um die Radikalen außen vor zu halten, gibt es jetzt Lob für anständiges Benehmen.

Die EU will die Kanäle nach Belgrad offen halten, um Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Kosovopolitik der neuen Regierung zu schaffen. Wenn die USA und die EU tatsächlich ernst machen und in den kommenden Monaten die Unabhängigkeit Kosovos durchsetzen wollen, werden sie in jedem Fall mit erbittertem Widerstand aus Serbien rechnen müssen. Da macht es einen Unterschied, ob die Kommunikation wenigs­tens in anderen Fragen klappt.