Wurzener Wandlungen

Seit die Ausschreitungen in Wurzen bei einem Fußballspiel am »Herrentag« überregional bekannt wurden, sind die Verantwortlichen plötzlich sehr einsichtig. von alex feuerherdt

Im sächsischen Wurzen sind derzeit erstaunliche Metamorphosen zu beobachten. Am »Herrentag« hatten dort knapp 30 junge Zuschauer ein Jugendfußballspiel des heimischen ATSV Frisch Auf in eine rechtsextreme Kundgebung verwandelt (Jungle World, 22/07). Beim Wurzener Club bestritt man jedoch lange Zeit vehement, dass antisemitische und rassistische Parolen gerufen und die Schiedsrichter sowie die Gäste aus Chemnitz bedroht wurden. Der Vereinspräsident Heiko Wandel war sich vielmehr sicher, dass die Schiedsrichterin ihren Zusatzbericht frei erfunden habe und die Zuschauer, darunter eine Reihe von Spielern anderer Jugendteams des Vereins, die Jungfußballer nur anfeuern wollten.

Doch diese Version ließ sich nicht halten. »Der Ver­ein übernimmt die Verantwortung für die Geschehnisse und räumt zugleich ein, sowohl am Tag des Vor­falls als auch in der Aufarbeitung der Vorkommnisse nicht angemessen auf die Situation reagiert zu haben«, heißt es inzwischen in einer Erklärung des Clubs. »Insbesondere bedauern wir den in der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck, dass der Verein die Geschehnisse verharmlose und die Aufklärung blockiere.« Man entschuldige sich daher bei Fortuna Chemnitz, dem Schiedsrichter-Trio, den zuständigen Fußballverbänden sowie »allen Fußballspielern und Anhängern dieses Sports«.

Vor allem drei Gründe dürften den Ausschlag für diese Kehrtwende gegeben haben: erstens die Ermittlungen der Polizei, die gegen fünf mutmaßliche Rädelsführer Verfahren einleitete, zweitens die Recherchen lokaler wie überregionaler Medien und drittens die Entscheidung eines Sponsors, seine Zuwendungen vorläufig einzufrieren. Nun beeilt man sich in Wurzen, so zu tun, als sei alles in bester Ordnung. Man habe 18 Vereinsmitglieder ermittelt, die an den Ausschreitungen beteiligt gewesen seien, sagte Ralf Neustadt, der Vizepräsident des ATSV. Ihre Namen werde man den zuständigen Behörden mitteilen. »Hier wird nichts, aber auch gar nichts unter den Teppich gekehrt.«

Auch Jürgen Schmidt, Oberbürgermeister von Wurzen und Vizepräsident des Clubs in Personal­union, verurteilte die Vorfälle. Dennoch sah er seine Stadt – seit Jahren eine Hochburg der Neo­nazis – auch zu Unrecht verunglimpft. Es sei »bedauerlich, dass einige Journalisten und E-Mail-Schreiber den schlimmen Vorfall vom Himmelfahrtstag mit Ereignissen aus den neunziger Jahren in Verbindung bringen. Sie nutzen das Geschehene, um unsere Stadt wieder zurück in die braune Schublade zu stecken.« Dennoch werde man »das Geschehene auswerten« und dann handeln.

Woran man dabei in Wurzen denkt, ist auf der Homepage des Vereins nachzulesen. Neben »Trainings- und Spielstrafen« für die Beteiligten seien »Arbeitseinsätze bei der Sportplatzerweiterung« im Gespräch; außerdem habe man »erzieherische Maßnahmen« beschlossen, und zwar »eine Reise in die KZ-Gedenkstätte Buchenwald«. Dort, so Jürgen Schmidt, könnten die Jugendlichen sehen, »was Juden einst angetan wurde«.

Ingo Stange vom Wurzener Netzwerk für Demokratische Kultur betrachtet solche Aktivitäten mit Skepsis: »Es ist bestenfalls naiv zu glauben, der Besuch in einem ehemaligen Konzentrationslager werde schon automatisch Abhilfe schaffen«, sagt er der Jungle World. »Außerdem müssen nicht nur die Jugendlichen sensibilisiert werden, sondern vor allem die Eltern, Trainer und Funktionäre. Ein vernünftiges Konzept kann ich nicht erkennen.«

Unterdessen hat das Sportgericht des Sächsischen Fußballverbands (SFV) sein Urteil gefällt. Wegen des rassistischen Verhaltens seiner Zuschauer und des Verstoßes gegen die Platzordnung muss der ATSV Wurzen 1 200 Euro Strafe zahlen. Die betroffene Jugendmannschaft wurde zudem für das nächste Pflichtspiel gesperrt und mit einem Abzug von drei Punkten bedacht. Der Verein hat das Strafmaß akzeptiert.