Zurück zur guten alten Tradition der Selbstkritik

Auf Kuba ist die journalistische Arbeit ausländischer Berichterstatter erschwert worden. Die nationale Presse genießt hingegen das Privileg, ausgewählte Missstände ungewohnt deutlich kritisieren zu dürfen. von lars griff

Die wichtigste Zeitung Kubas heißt Bohemia und gibt heute wie ehedem den journalistischen Kurs vor. Als »unsere stärkste Burg« hat sie Fidel Castro nach der Revolution von 1959 bezeichnet, weil sie die bärtigen Revolutionäre in der Sierra Maestra publizistisch unterstützte. Doch derzeit finden die Leser im altgedienten Revolu­tionsblatt ungewohnt kritische Beiträge. So hat der Bohemia-Journalist Ariel Terrero die kubanische Landwirtschaft als »unproduktives Martyrium« bezeichnet. Die Kollegen von der Granma, der Zeitung der kommunistischen Partei Kubas (PCC), und der Juventud Rebelde, dem Blatt der kommunis­tischen Jugendorganisation, gingen nicht wesentlich sanfter mit den Missständen des kubanischen Wirtschaftssystems um. Das ist harsche Kritik an der Agrarpolitik des Landes, wie man sie früher eher im Miami Herald oder in den kritischen Internetforen finden konnte, in der monotonen Presse der Insel jedoch vergebens suchte. Kritik an Veruntreu­ung, mangelnder Effizienz und Produktivität, Betrug oder Doppelmoral ist in Kuba derzeit alles andere als selten. »Über diese Alltagsprobleme haben wir schon vor Jahren berichtet«, sagt Iván García lapidar. Der Journalist gehörte zur unabhängigen und international bekannten Nachrichtenagentur Cuba Press. Gemeinsam mit Raúl Rivero, seiner Mutter Tanía Quintero und einem guten Dutzend weiterer Journalisten hat er über die Situation auf Kuba berichtet. Damals waren Reportagen aus dem kubanischen Alltag in der Presse des Landes eine Seltenheit, und Berichte über die Widersprüche zwischen ideologischem Anspruch und der schwie­rigen Wirklichkeit sollten nicht nach außen dringen.

Heute, unter der Regie von Raúl Castro, dem jün­geren Bruder des langsam genesenden Fidel, wird die katastrophale Situation in der Landwirtschaft genauso thematisiert wie der latente Schwund im staatlichen Dienstleistungssystem. »Ausreden unerwünscht«, lautet die Devise des Interims-Staatschefs, der effiziente Strukturen schätzt. Die Presse scheint dabei ein Instrument, um diese Botschaft des kleinen Bruders zu verbreiten. »Mit mehr Pressefreiheit hat das wenig zu tun«, sagt Iván García. »Es ist nur wenige Monate her, dass ich das letzte Mal Besuch vom Staatschutz bekam und aufgefordert wurde, das Schreiben weiterhin zu lassen«, erzählt er.

Seit einem Jahr hat er nichts mehr veröffentlicht. »Damals akzeptierten die Redaktionen die mündliche Übermittlung von Texten per Telefon nicht mehr, und da ich keinen Laptop hatte, musste ich aufhören zu arbeiten«, erklärt García. Seine Texte erschienen fortan nicht mehr auf den Internetseiten des Encuentro Cubano, der wichtigsten Kulturzeitung außerhalb der Insel. Mittlerweile hat er einen Computer. »Nur der Internetzugang fehlt noch, aber das ist allein eine Frage des Geldes«, sagt er. Auf Kuba gibt es auf dem Schwarzmarkt einen schwunghaften Handel mit Zugangscodes, und wer die nötigen »chavitos« besitzt – so werden die konvertiblen Peso in Kuba genannt –, ist schnell online. Allerdings liest das kubanische Kommunikationsministerium den E-Mail-Verkehr mit, und durch diverse Filter werden Websites von exilkubanischen Organisationen blockiert.

Das gilt auch für die Websites von Dissidenten wie Oswaldo Paya, dessen Familie in Spanien die Seite ­online gestellt hat. Mittlerweile sind fast alle international bekannten Oppositionellen im Internet vertreten. Al­lerdings werden auch die Spuren der User im Internet ausgewertet, um z.B. unab­hängige Journalisten wie Iván Garcia strafrechtlich belangen zu können. Mehr als 20 kubanische Journalisten sitzen nach Angaben von »Reporter ohne Grenzen« derzeit mit Haftstrafen zwischen 14 und 27 Jahren in Gefängnissen auf Kuba. Erst im Mai wur­de mit Roberto de Jesús Guerra Pérez, der als freier Journalist für amerikanische Web­sites gearbeitet hatte, ein weiterer freigelassen.

Für unabhängige Journalisten ist es ausge­sprochen schwer, auf der Insel zu arbeiten, da sie oft als Söldner im Dienste des Imperiums, also der USA, bezeichnet werden, weshalb ihnen schnell hohe Gefängnisstrafen drohen. Zu 20 Jahren Haft wurde Raúl Rive­ro, Kubas wohl bekanntester Journalist und Dich­ter, im Frühjahr 2003 verurteilt. Knapp zwei Jahre später wurde er auf internationalen Druck freigelassen und lebt derzeit im Exil in Spanien. Tania Quintero, die Cuba Press damals gemeinsam mit Rivero aufbaute, musste das Land nach handfesten Drohungen verlassen und erhielt Asyl in der Schweiz.

»Die Zahl der unabhängigen Journalisten in Kuba ist seit 2003 stark zurückgegangen, und es sind nur noch einige wenige, die wie der Wirtschaftswissenschaftler Oscar Espinosa regelmäßig schreiben«, schildert García die derzeitige Situation. Und auch die Arbeits­bedingungen für die akkreditierten Journalisten und die Pressevertreter, die mit einem Arbeitsvisum nach Kuba kommen, sind schwie­riger geworden. Sie werden einer sehr genauen Prüfung unterzogen. So hat der Chef des internationalen Pressezentrums in Havanna, José Luis Ponce, Ende Februar mehreren Korrespondenten vorgeworfen, gegen die Regeln der journa­listischen Ethik und der Objektivität verstoßen zu haben. Die drei Journalisten Stephens Gibbs von der BBC, Gary Marx von der Chicago Tribune und César González Calero von der mexikanischen Tageszeitung El Universal wurden vorge­laden und über das Ende ihrer Arbeitserlaubnis informiert. Dabei, so González Calero, habe man nichts an der Qualität seiner Informationen auszusetzen gehabt, wohl aber am Fokus der Berichterstattung.

Kein Einzelfall, denn viele der rund 150 internationalen Korrespondenten in Kuba klagen, dass seit dem Rückzug Fidel Castros die Funktionäre im internationalen Pressezentrum überaus nervös seien. »Seither wird unsere Arbeit von den Funktionären des Pressezentrums oft kritisiert«, klagt ein Korrespondent, der anonym bleiben will. Und mit der neuen Verordnung für Auslandskorrespondenten, die im Oktober vorigen Jahres verabschiedet wurde, ist der Druck weiter erhöht worden. So kann die Akkreditierung nach Artikel 46 zeitweise oder ganz aufgehoben werden, falls die Arbeit der Korrespondenten es »an journalistischer Ethik« fehlen lasse. Journalisten, die nur für einige Tage oder Wochen nach Kuba kommen, müssen detailliert darlegen, womit sie sich auf Kuba zu beschäftigen gedenken und in welchen Medien sie veröffentlichen werden.

Verstöße gegen diese Agenda, so zum Beispiel Interviews mit Vertretern der Opposition, können zum Verlust der Akkreditierung und zur Ausweisung führen, so die neuen Bestimmungen. Seitdem ist die Zahl der von Kuba erteilten Arbeitsvisa zurückgegangen.

Eine ganze Reihe von Journalisten, die daraufhin versuchten, in den vergangenen Monaten mit einem einfachen Touristenvisum nach Kuba zu kommen, um dort inkognito zu arbeiten, wurde bereits auf dem Flughafen abgefangen und mit der nächsten Maschine zurückgeschickt. Andere wurden bei ihrer Ausreise penibel kontrolliert und hatten wie eine BBC-Mitarbeiterin Schwierigkeiten, ihr Material aus dem Land zu schaffen. Eine kritische Berichterstattung wird deutlich schwieriger, und auch die Anträge auf Arbeitsvisa von mehreren deutschen Journalisten wurden in den vergangenen Monaten abschlägig vom internationalen Pressezentrum in Havanna beschieden.

So wurde dem Mittelamerika-Korrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung, aber auch der ARD und dem Handelsblatt die Arbeitserlaubnis verweigert. Für Iván García ist das keine Überraschung, denn Raúl Castro gilt in Kuba als Kontrollfanatiker. Und das ist auch ein Grund, weshalb García sein Geld derzeit lieber mit Hochzeitsvideos verdient, statt Artikel zu schreiben, für die er teuer bezahlen muss.