Die Liebe zum Spiel

Oder: Warum die Titelbilder der Jungle World nur in der Jungle World entstehen können. von thomas blum

Es gibt große Konzerne, die einer Hand voll geistloser Kretins bereitwillig astronomisch hohe Monatsgehälter dafür bezahlen, dass sie Slogans erfinden wie »Ich liebe es!« oder »Nichts ist unmöglich«.

Diese Leute werden dann die »Kreativ-Abteilung« genannt. Für gewöhnlich sitzen sie um einen Tisch herum, tun so, als ob sie nachdächten, und am Ende kommen ein paar recht kümmerliche Phrasen oder teure, langweilige Fotosessions dabei heraus. Arbeiten solche »Kreativ-Abteilungen« für Zeitschriften oder Magazine, ist auf den Titelbildern immer dasselbe zu sehen: leicht bekleidete Damen, die sich auf Motorhauben räkeln, oder ernst drein­schauende Politikerköpfe, die so angeordnet sind, dass sie jeweils in die Augen des anderen sehen (»Das Duell«).

Organisierte Geistlosigkeit. Man kennt das. Und hat genug davon.

Wenn hingegen sonntagabends oder montags in der Redaktion der Jungle World ein Titelbild entsteht, geht es ganz anders zu: Einige unserer Titelbild-Spezialisten versammeln sich um den Layouter, scherzen haltlos und werfen, das jeweilige Wochenthema betreffend, wahllos Bonmots in die Runde.

Nicht wenige unserer Titelbilder sind bestenfalls so treffend, so bizarr oder so komisch, weil sie im Verlauf eines Geschehens entstehen, das die meisten Journalisten, weil sie ihre Arbeit betreiben wie ein Fließbandarbeiter, nur vom Hörensagen kennen: dem Spiel. Der Layouter ruft launig in die Runde: »Was fällt euch denn zum neuen Papst ein, dem reaktionären Arschloch?« Kurzes Schweigen. Aufgeregtes Tuscheln. Ein Kollege macht übermütig einen halbgaren Vorschlag. Und dann antwortet plötzlich ein für gewöhnlich als eher still und zurückhaltend bekannter Kollege ganz unerwartet leise: »Gottes williger Vollstrecker«. Alle lachen. Und dann wissen alle: Die Schlagzeile steht.

Oder etwa die Geschichte mit den Bratwürsten (»Spezialitäten aus Thüringen«). Nur so viel dazu: Wenn man das Bild, das einem vorschwebt, nirgends findet, dann muss man es selber machen. Und eines kann ich Ihnen sagen: Wir geben uns in solchen Fällen große Mühe.

Zuweilen sind wir hie und da auch übers Ziel hinaus … hmm … geschossen (»Demokratie im Anmarsch«), aber wer wäre so spitzfindig, uns derlei bis heute nachzutragen?

Einmal, ein einziges Mal in der Geschichte der Jungle World, trug die Zeitung auf ihrem Titelblatt sogar (Seien Sie ehrlich: Welche andere Zeitung würde sich derlei jemals trauen?) für genau eine Woche einen anderen Namen (Dschungel Welt). Das sollte Sie zwar verstören, aber wundern sollte es Sie nicht. Denn das, was redaktionsintern gelegentlich als »organisierter Regelbruch« bezeichnet wird, daraus speist sich unser Redaktionsalltag.

Den Beweis dafür, dass wir mit der Gestaltung unserer nicht selten ungewöhnlich aussagekräftigen Titelbilder nicht nur Neuland beschritten haben, sondern auch gehöriges Aufsehen erregt haben, haben mittlerweile andere Zeitungen erbracht: Sie kopieren uns.

Wie zum Beispiel einige nicht ganz unbekannte Tageszeitungen, die seit einiger Zeit dazu übergegangen sind, große oder beinahe ganzseitige Bilder auf der Titelseite zu drucken. Dass wir die ersten waren, die derlei getan haben, darüber schweigt man heute gerne.

Der Jungle World ist es in den vergangenen zehn Jahren ganz hervorragend gelungen, ohne eine »Kreativ-Abteilung« auszukommen. Und das liegt daran, dass wir keine brauchen. Wir haben nämlich etwas, das viele andere nicht haben: eigene Ideen. Und so soll es auch bleiben.