Das Böse tunneln

Vor der Veröffentlichung des neuen »Harry-Potter«-Romans gibt’s den Warm-upper im Kino: »Harry Potter und der Orden des Phönix«. von jürgen kiontke

Er konspiriert mit einer kleinen Gruppe von Mittätern. Er will die gute Sache vor dem Bösen retten. Die Verschwörung fliegt auf. Tadel, Verweis, das kennt noch jeder in der Mittelstufe, aber dann: Festnahme wegen unerlaubter Flunkerei, Internierung, Folter, Schauprozess.

Nein, hier ist nicht die Rede vom Gezerre um das Stauffenberg-Projekt des Scientologen-Nichtsnutzes Tom Cruise. Aber fast. Denn während sich die Deutschen noch mit dem Hubbard-Jünger streiten, ob er den Hitler-Atten­täter spielen und in der Kreuzberger Polizei­wache Friesenstraße drehen darf, hat der an­dere Superheld, Harry Potter (Daniel Rad­cliffe), schon Probleme vom Hals geschafft: Sein Hitler heißt wie jedes Mal Lord Voldemort (Ralph Fien­nes), Widerstand muss geleistet werden, bald ist das neue Buch zu erwarten, und davor steht die Verfilmung von Teil fünf an – Thema: Zauber­junge wird erwachsen.

Wieso Stauffenberg, der Hitler-Attentäter? »Im Hauptquartier sagen wir dir, was los ist« – »Niemand verlässt die Formation, nicht mal, wenn einer getötet wird« – »Das Abendessen muss bis nach der Lagebesprechung warten«. Verräter. Wahn vom reinen Blut. Werwölfe. Miss­geburten. Abschaum der Erde, ein Prozess vor dem Zauberervolksgerichtshof – »Sie wissen doch auch, dass Sie es verdient haben, ­bestraft zu werden«; ja, die Ankläger haben die Freisler-Mütze auf dem Kopf und die Feindpropaganda im »Täglichen Propheten« auf ihrer Seite: »Das Attentat ist nicht zu leugnen.« Die Dialoge kann Cruise schon mal übernehmen.

Aber anders als Stauffenberg hat Harry mehr Superkräfte und kann damit die Richter bezaubern – die Anklage wegen nicht jugendgemäßer Anwendung von Magierkräften muss fallengelassen werden.

Denn der Brillenträger ist ein Siegertyp. Die »Harry-Potter«-Saga, wir erinnern uns: Es geht um … , dann werden seine Eltern … , der Mörder Voldemort versucht, auch ihn … , zurück bleibt nur eine Narbe … , Harry kommt auf die Zauber­schule … , tolle Freunde, Superabenteuer, Monster, Riesenspinnen, erfolgreich wie sonst Bibel und Koran. Darum lesen Eltern ihren Kindern vor, bis die das selbst können und in der Schule Harry-Potter-Theaterstücke aufführen, über die eben diese Eltern einschlafen. Für Opa und Oma: der Roman als ungekürzte Hörbuch­fas­sung, 27 CDs.

Mit Superlativen geht’s auch in der Verfilmung des fünften Teils los, »Harry Potter und der Orden des Phönix«: eben noch Sonnenschein, jetzt voll der krasse Sturm. Gerade will der fette Dorftrottel Dudley, Sohn von Harrys Pflegefamilie, dem unliebsamen magischen Jugendlichen die Tassen im Schrank sortieren, da tauchen die Gestalten zum Straßenkampf auf: Dementoren, die Killermumien, Wesen des Todes, wollen die beiden abmurksen. Rettung gibt es in der letzten Sekunde. Aber die Todesdrohung steht.

Nun steht bevor, was jeden 16jährigen auf der Welt täglich umtreibt: kämpfen, kämpfen, kämp­fen. Das kommt Harrys sozialrevolutionärem Wesen entgegen. »Die Rebellion beginnt«, lautet der Untertitel des Films. Da stehen Harry und seine fünf Mitstreiter, ihre hochenergetischen, äußerst leicht reizbaren Zauberstäbe im Anschlag.

Ja, die viele Energie. Jetzt wünscht man sich mal was Unerwartetes. Aber die Jugend will die Verhältnisse wieder ordnen. Wir werden wieder Rockmusik hören. Oberknorke abhängen. Verweise von der Schule kassieren. Delirieren nach dem Flatrate-Koma. Uns beschweren über die zu praxisferne Ausbildung. »Harry-Potter«-­Autorin Joanne K. Rowling weiß Bescheid, die Frau ist alleinerziehende Mutter.

Potter: »Ich kämpfe. Die Wahrheit wird siegen!« – »Jawohl«, brüllen seine Mitstreiter, »wir brauchen einen Lehrer!« Ach je, schon wieder Frontalunterricht, wie sollen sie es besser wissen: Es herrscht ja Ausbildungsnotstand.

Endlich 16 – so könnte »Harry Potter und der Orden des Phönix« auch heißen. Allmachtsfantasien, erster Filmkuss, erste Nackenmuskeln: wenn sich Potter-Darsteller Daniel Radcliffe nur nicht – specknackig mit zu kleinem Kopf – so an Elijah Wood als Frodo in »Herr der Ringe« anschleichen würde. Wenn man im Kino sitzt, hier Fantasy-Abenteuer, da Krieg der Magier, da gibt’s nicht nur den Filmriss. Sondern auch einen in Richtung »Star Wars«: Ob jetzt junger Zauberritter oder Yedi-Ritter – mit ihrem Lichtschwert, mal kürzer, mal länger, kämpfen sie alle.

Erwachsen werden. Davor haben alle Angst. »Was ist, wenn ich böse werde?« fragt der konsternierte Zauberteenie Potter; da ergeht es ihm nicht besser als allen jugendlichen Superhelden wie Spider- oder Superman. Erwachsen werden, das bringt jede Menge Ärger, und man muss für jede Kleinigkeit ins Gefängnis. Der Kern des Erwachsenseins ist: eine Gedanken-Standleitung zum Bösen zu haben. Das gilt nicht nur in der Wolfsschanze, das ist ordinäre Mainstream-Fantasy-Fantasie, an den Ecken schön rundgeschliffen, und damit massenkonsumierbar. Produzent David Heyman meint: »An sich handelt es sich hier nicht um einen politischen Film. Aber die Politik der Zauberwelt spielt doch eine wichtige Rolle.«

Die Welt in »HP 5« soll nicht mehr einfach kindlich zweidimensional, nur gut oder nur böse, sondern mindestens um eine Schicht komplizierter sein. Damit man das auch sieht, sind 20 Minuten des Films in 3D-Technik gedreht worden – damit man auch besser glauben kann, was man sieht.

Es ist die Geschichte eines Märchens – dem von der Erziehung. Sie sagt uns, nichts sei dringender als eine gute Pädagogik. Die bringt gute Umgangsformen, einen wachen Verstand, lässt einen immer als primus inter pares dastehen, verhilft einem zum Einfamilienhaus mit Garten, zum Plasmafernseher, zum Sieg und zur Erkenntnis. Jeder ist was ganz Besonderes, und deswegen ist der Weg in die Gesellschaft auch was massenhaft Besonderes.

So ist denn die Welt des vermeintlich ungezogenen Jugendlichen in Wirklichkeit die eines künftigen Herrschers der Welt, und damit eine schwierige. Der Mann braucht noch Orientierung. Dann klappt es auch mit den Gefühlen. Und wenn es mit den Gefühlen klappt, klappt’s auch mit dem Zaubern. Und wenn es mit dem Zaubern klappt, dann auch mit der Liebe, beinahe wär’s vergessen worden.

»Harry Potter« erzählt, wie man der Vorgartenhölle entflieht und zum leitenden Angestellten wird, um dann wieder im besseren Vorgarten zu landen. Gemeinsam mit dem weisen Vorzauberer wird unser Urteil milde ausfallen: »Du bist nicht böse. Du bist ein guter Mensch, dem Böses geschehen ist.«

Das erklärt jede Handlung, das Böse will getunnelt werden. Und auch wir werden zu unseren ungestümen Mitschülern gehen, ihnen erstens die Stirn, zweitens die Wange hinhalten, und dann werden wir ihnen diesen Satz sagen.

Harry Potter und der Orden des Phönix (GB 2006). Regie: David Yates. Start: 12. Juli