Deine Organe sind gefragt!

Der Nationale Ethikrat will Bedingungen dafür schaffen, dass sich mehr Menschen zur Organspende bereit erklären. Eine Organentnahme soll bereits dann möglich werden, wenn sich ein Verstorbener zu Lebzeiten nicht explizit dagegen ausgesprochen hat. von oliver tolmein

Es war ein Hype vom Allerfeinsten: Eine Woche lang redeten sich in den europäischen Medien Ethiker, Juristen und Ärzte die Köpfe heiß, wo auf der Skala der rücksichtslosesten Medienhaie die Fernsehshow der niederländischen Firma Endemol anzusiedeln sei. In der Sendung, die im Frühjahr ausgestrahlt wurde, wollte angeblich eine sterbenskranke Frau einem von drei Kandidaten ihre Nieren schenken. Dann aber offenbarten die Fernsehmacher, dass das Projekt nur eine Inszenierung mit echten Kranken und einer gespielten Todkranken war. Dass der Sender angeblich nur Gutes tun wollte, nämlich die Bereitschaft der Menschen erhöhen, Organe zu spenden, versöhnte etliche der Empörten wieder mit den Produzenten des Spektakels.

Dass mehr Nieren, Lebern oder Herzen gebraucht werden, als derzeit von spendewilligen Menschen angeboten werden, ist in der Europäischen Union weithin Konsens; auch wenn die Überzeugung, die von so vielen in öffentlichen Erklärungen geteilt wird, sich am Lebensende als bemerkenswert folgenlos erweist: Kaum jemand verfügt, all der innovativen Werbestrategien zum Trotz, über einen Spenderausweis.

Da die Nutzung von Körperteilen zur Heilung von Kranken sich längst etabliert hat und die Übertragung von Organen sich finanziell lohnt und gleichzeitig zur hohen Kunst der Akutmedizin zählt, deren Beherrschung nicht nur dankbare Patienten, sondern auch erhebliches Renommee in der eigenen Zunft nach sich zieht, werden mit einigem Nachdruck Wege gesucht, mehr Organe zu gewinnen. Kurz bevor in den Niederlanden die Volksstimmung mit dem inszeniertem Happening geschürt wurde, um so die zu geringe Spendenbereitschaft anzuregen, hatte in Deutschland der Nationale Ethikrat eine bemerkenswerte Stellungnahme veröffentlicht, deren Titel programmatischen Charakter hatte: »Die Zahl der Organspenden erhöhen«.

Ausgangspunkt für die Überlegungen des Ethikrats ist die Empirie: Wie kommt es, dass in Spanien pro einer Million Einwohner etwa 30 postmortale Organspenden verzeichnet werden, während es in Deutschland nur 15 sind? Unter anderem, da sind sich die Ethikräte einig, liegt es am Recht. Nach der im Transplantationsgesetz festgeschriebenen erweiterten Zustimmungsregelung ist in erster Linie die zu Lebzeiten schriftlich (vorzugsweise im Organspendeausweis) dokumentierte Einwilligung bzw. Nicht-Einwilligung des potenziellen Organspenders maßgeblich für die Zulässigkeit einer Organentnahme. Wenn es keine schriftlichen Zeugnisse des potenziellen Spenders gibt, müssen die Angehörigen klären, ob sich der Verstorbene mündlich zur Frage einer Organentnahme geäußert hat.

Wenn der Verstorbene zu Lebzeiten keine Erklärung abgegeben hat, ist sein mutmaßlicher Wille ausschlaggebend. Diese Zustimmungslösung ist nach Auffassung des Ethikrats zu res­triktiv. Die Widerspruchslösung, bei der eine postmortale Organentnahme stets zulässig ist, so lange der Betroffene selbst bzw. seine Angehörigen der Organspende nicht widersprochen haben, führt eben zu einer besseren Ausbeute.

Deswegen möchte der Ethikrat ein zweistufiges Vorgehen durchsetzen. In der ersten Stufe soll erreicht werden, dass deutlich mehr Bürger Spenderausweise unterzeichnen; dafür sollen ihnen bei günstigen Gelegenheiten (etwa bei der Führerscheinprüfung oder der Ummeldung etc.) entsprechende Formulare vorgelegt werden. In der Diskussion war auch, auf der neuen elektronischen Gesundheitskarte einen entsprechenden Vermerk zu platzieren.

Dass die Ethiker eine Pflicht zur Erklärung nicht direkt fordern, liegt vor allem daran, dass sie zu Recht erhebliche Realisierungsprobleme befürchten und sich auf keinen Fall nachsagen lassen wollen, sie wollten einen Zwang zum Spenden etablieren. In der zweiten Stufe sollen die Angehörigen derer, die keinen Spenderausweis unterschrieben, aber auch keinen Widerspruch verfügt haben, der Organentnahme nicht mehr zustimmen müssen, sondern ihr nur noch widersprechen können.

Die Stellungnahme des Ethikrats erweist sich so als die akademische Variante des Endemol-Spektakels. Die Ethikberater sind so wenig wie die Unterhaltungsspezialisten bereit, die Argumente der Gegner einer Organspende aufzugreifen und zu respektieren. Sie wollen sich auch nicht damit auseinandersetzen, warum trotz aller Kampagnen, positiver Meinungsumfragen und Erklärungen, dass Organspenden ein prinzipiell richtiger Weg seien, sich so wenige Bürger als Organspender zur Verfügung stellen. Für sie geht es bei dem Thema in erster Linie um den effizientesten Weg, einen Mangel zu beseitigen.

Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass die Organspende im Prinzip eine moralische Pflicht der Bürger sei. In einer Stellungnahme des Ethikrats heißt es: »Die Bereitschaft zur postmortalen Organspende ist in diesem Sinne als praktische Bewährung jener Solidarität anzusehen, die einem von schwerer Krankheit oder dem Tod bedrohten Mitmenschen geschuldet ist.« Damit bleibt nur noch die Frage offen, wie der Staat Rahmenbedingungen schaffen kann, damit auch möglichst viele Explantationen möglich werden.

Das Selbstbestimmungsrecht der Patienten wird so zwar nicht prinzipiell in Frage gestellt, von autonomer Handlung kann aber keine Rede mehr sein. Die ethischen Gebote, mit denen sich der Ethikrat verabschiedet – er wird voraussichtlich noch in diesem Jahr durch ein das Parlament beratendes Gremium ersetzt –, werfen auch Fragen zum Umgang mit Lebendspenden auf, die in der knappen Stellungnahme nicht angesprochen werden. Doppel-Organe wie vor allem die Niere oder Organe, bei denen es reicht, einen Teil des Organs zu implantieren, wie etwa die Leber, werden nämlich auch von lebenden Spendern gewonnen. Die Erfolgsrate der Lebendspenden ist höher als die bei postmortal entnommenen Organen. Die ethischen Konflikte sind dafür bei der Lebendspende größer. Es kommt zu Abhängigkeiten, der moralische Druck, einer nahestehenden Person durch eine Lebendspende zu helfen, kann größer sein, und zudem birgt die Lebend­spende erheblich Risiken für den Spender.

Die Überlegungen, wie die der Zahl der Organspender zu erhöhen sei, geraten auch in Konflikt mit den Überlegungen, den Patientenverfügungen für das Lebensende einen höheren Stellenwert einzuräumen. Die Vorstellung der Patientenautonomie geht davon aus, dass das würdevolle Sterben einen herausragenden Stellenwert habe. Auf diesen Umstand hat vor allem der FDP-Abgeordnete Michael Kauch hingewiesen.

Die Idee, das Aufkommen an Spenderorganen dadurch zu erhöhen, dass möglichst viele Situationen geschaffen werden, in denen die Bürger gehalten werden, sich zu entscheiden, ignoriert zudem, dass gerade auch dem Recht auf Nicht-Wissen und Nicht-Entscheidung im bioethischen Zusammenhang ein beachtlicher Wert zukommen muss. Hier besteht auch eine Gemeinsamkeit der Kampagnen für die Stärkung der Patientenverfügung und für die Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Erhöhung der Zahl der Organtransplantationen: In der Gesellschaft werden Entscheidungen forciert, die zum Ziel haben, dass sich Menschen auf Extremsituationen frühzeitig vorbereiten.

In der Debatte über Patientenverfügungen dominiert das Ideal des auf kostenintensive Weiterbehandlungen verzichtenden Menschen, der den eigenen Lebenswert unter bestimmten Voraussetzungen als zu niedrig einstuft; in der Kontroverse um Organtransplantation soll erreicht werden, dass sich Individuen auch im Sterben gemeinnützig verhalten und dafür auch auf ein würdevolles Sterben verzichten. Die Überlegungen des Nationalen Ethikrats sind wohl eher der Anfang als das Ende der Entwicklung neuer Anforderungen an die Selbstverwertung.