Kirche von rechts unten

In Bielefeld hielt eine Initiative über Monate hinweg eine Kirche besetzt, um deren Verkauf an die Jüdische Gemeinde zu verhindern. Nun erzielte sie einen ersten Teilerfolg. von dirk lehmann

Am 25. März blieben sie einfach sitzen. Für 96 Tage hielt die »Bürgerinitiative für die Erhaltung der Paul-Gerhardt-Kirche« die Kirche besetzt, um den Verkauf des Gebäudes an die Jüdische Kultusgemeinde Bielefeld zu verhindern. Diese möchte die Kirche zu einer Synagoge umbauen, da ihre bisherigen Räume für die inzwischen 250 Mitglieder zu klein geworden sind. Die letzte Bielefelder Synagoge wurde im Jahr 1938 zerstört.

Ende Juni wurde die Besetzung der Kirche beendet. In Gesprächen zwischen den Besetzern und Vertretern der Evangelischen Kirchengemeinde wurde ein Kompromiss erzielt: Die Initiative darf die besetzten Räume bis Mitte September nutzen. Dann könne das Gebäude der Jüdischen Gemeinde übergeben werden, sagte die Superintendentin des Kirchenkreises Bielefeld, Regine Burg, optimistisch im Gespräch mit der Jungle World. Indessen könnte sich die Einigung am Ende doch noch als Erfolg für die Gegner des Verkaufs der Kirche erweisen.

Die Zusammenlegung von zuvor eigenständigen Gemeinden und der anschließende Verkauf von nicht länger benötigten Kirchen ist angesichts der gegenwärtigen Umbrüche in der Evangelischen Kirche ein für die Gläubigen zuweilen zwar schmerzhafter, aber inzwischen normaler Vorgang. So bereitete auch die Fusion der Paul-Gerhardt-Gemeinde mit der Neustädter Mariengemeinde im Jahr 2005 zunächst kaum Probleme. Der daran maßgeblich beteiligte Herman E. Geller, ehemaliger Finanz- und Baukirchmeister, behauptet in der Neuen Westfälischen Zeitung, die Gemeinde »trägt das mit«. Selbst den geplanten Verkauf der Paul-Gerhardt-Kirche sah er gelassen. Als aber Ende 2005 bekannt wurde, dass die jüdische Gemeinde Interesse an der Kirche zeigte, formierte sich plötzlich der Widerstand.

Formell ist der Weg zum Verkauf zwar geebnet. Die Kirche ist entwidmet, die für den Umbau beantragten Mittel sind bewilligt, und über zentrale Punkte des Vertrags herrscht Einvernehmen. Insbesondere Geller lässt aber seither zusammen mit einigen weiteren Gemeindemitgliedern nichts unversucht, den Verkauf zu hintertreiben. Nachdem sie auf dem Rechtsweg scheiterten, besetzten sie die Kirche.

Spricht man mit Geller, so stellt sich der Verdacht ein, dass weit mehr im Spiel ist als bloß rührselige Trauer über den Abschied von einer Kirche. Der Jungle World sagte er etwa, die Evangelische Kirche habe sich im Jahr 1998 an den Gläubigen »vorbei« gegen die »Missionierung von Juden« ausgesprochen. Die Initiative erklärte am 22. März, die Evangelische Kirche spiele mit dem Verkauf die »jüdische Karte«. Sie schlug vor, dass die Kirche ein Nachbargrundstück für den »Neubau einer Synagoge zur Verfügung« stelle.

Als Beweis gegen eine etwaige Judenfeindschaft der Initiative führt Geller den Besuch einiger »jüdischer Mitbürger« in der Kirche an. Wer der Initiative dennoch ein judenfeindliches Ressentiment unterstellt, wird von ihm bezichtigt, mit »Moralkeulen« aufzuwarten.

Der Oberbürgermeister der Stadt, Eberhard ­David (CDU), hingegen sieht »Totschlagargumente aus dem Wörterbuch der Political Correctness« am Werk, das »Stadtimage« dürfe nicht beschädigt werden, warnte er in einer Rede während einer Ratssitzung. »Jetzt müssen Gespräche her«, meinte die Neue Westfälische Zeitung, und ein Leserbriefschreiber pflichtete ihr bei und schrieb, »Menschen, die den Synagogenneubau befürworten«, könne man »nicht einfach als Judenfeinde bezeichnen«.

Und auch vom rechtsextremen Spektrum werden die Kirchenschützer unterstützt. In einem Beitrag des WDR-Magazins »Cosmo-TV« war Ende April Meinhard Otto Elbing, ehemaliges Mitglied der inzwischen verbotenen Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP), zu sehen, wie er mit den Besetzern diskutiert. Er scheint das Potenzial der Aktion zu erahnen.

Das Ende der Besetzung stellt aus Sicht der Initiative nur den Auftakt für eine weitere Gegenwehr dar. So ist man bemüht, die Fusion der Kirchengemeinden aus dem Jahr 2005 anzufechten. Damit, so sagte Geller kampfbereit zur Jungle World, wären alle »Verkaufsverhandlungen zunichte«.