Montags lebt das Reich

In Kassel demonstrieren jeden Montag Nationalisten und Revanchisten. Mittlerweile regt sich Protest dagegen. Von Martin Sehmisch

Während der Documenta präsentiert sich Kassel betont gastfreundlich. Die Ansagen in der Straßen­bahn ertönen auch in englischer Sprache, und 1 001 Chinesen wurden im Rahmen des Kunstwerkes »Fairytale« von der lokalen Tageszeitung mit asiatischen Schriftzeichen begrüßt. Die multikulturelle Idylle wird in der Königsstraße unweit zahlreicher Orte, an denen Kunstwerke der Documenta gezeigt werden, allerdings jeden Mon­tag von einer kleinen Ansammlung rechtsextremer Demonstranten gestört. Ihre »Montagskund­gebung basisdemokratisch« hat nicht mehr, wie noch im Jahr 2005, den Protest gegen Sozialabbau und Hartz IV zum Thema. Mittlerweile versammeln sich junge Rechtsextremisten unter dem Motto »Deutschland braucht eine Verfassung«.

Die Kundgebung meldet seit einem halben Jahr regelmäßig Peter Pawlak an, der im Jahr 2005 als Direktkandidat der Liste Die Linke im Schwalm-Eder-Kreis antrat. Auf seinem Auto prangt ein Aufkleber der ebenso obskuren wie revanchistischen Vereinigung »Exilregierung des Deutschen Reiches«. Sie behauptet, das Deutsche Reich bestehe völkerrechtlich bis heute fort. Auf ihrer Web­site zählt sie große Teile des heutigen Polens zu ihrem Einzugsgebiet.

Offenbar ist es dem ehemaligen Busfahrer und Lackierer Pawlak auf seiner Reise vom vorgeblich linken Protest gegen Hartz IV bis zum äußersten rechten Rand gelungen, auch andere mitzunehmen. So war zwischenzeitlich auch Gisela M., ein ehemaliges Mitglied des Kasseler Friedensforums, zu der Gruppe gestoßen. Sie nimmt mittlerweile nicht mehr an den Kundgebungen teil und ist beim Friedensforum nicht mehr erwünscht. Zum letzten Aufgebot Pawlaks gehört auch das ÖDP-Mitglied Veit Grimm, der nach Angaben der Internetseite von Attac Kassel noch immer zuständig für die Attac-Arbeitsgruppe Welthandel und WTO ist.

Auf schwarz-rot-goldenen Schildern legen Pawlak und seine Mitstreiter regelmäßig Zeugnis über ihre Denkweise ab. »Wir sind weder Rechte noch Linke, sondern Deutsche«, heißt es etwa. Als im Mai auch der Neonazi Mike Sawallich zu der Kund­gebung stieß, wurde das Kasseler Bündnis gegen Rechts aufmerksam. Der stellvertretende Landes­vorsitzende der Jungen Nationaldemokraten verteilte NPD-Material und wagte es gemeinsam mit Gesinnungsgenossen erstmals, auf der Einkaufsmeile offen aufzutreten.

Seit Anfang Juni wurden die Kundgebungen regelmäßig unangemeldet von jungen Leuten des Bündnisses gegen Rechts begleitet. Sie verteilten Flugblätter und versuchten, durch Platzbesetzun­gen die Kundgebung der »Reichsbürger« zu verhindern. Die Polizei verwies sie allerdings stets des Platzes. Dies rief die Kritik des Stadtverordne­ten der Fraktion Kasseler Linke, Norbert Domes, hervor. »Das Engagement der Kasseler gegen Rechts verdient Unterstützung und keine Abschreckung durch massive Polizeipräsenz oder gar Kriminalisierung der Proteste«, meint er.

Die Stadt könne das Treiben derzeit nicht verhindern, erklärte Bürgermeister Thomas-Erik Junge (CDU) Anfang Juli. Es sei aber mit dem Landesamt für Verfassungsschutz und der Staatsschutzabteilung der Polizei geredet worden, »um mögliche strafrechtsrelevante Erkenntnisse zu ermitteln, die ein späteres Versammlungsverbot der Montagsdemonstranten rechtfertigen könnten«. Zwar werde der Magistrat die Aktionen des Bündnisses gegen Rechts nicht unterstützen. Er sei sich aber bewusst, dass das Auftreten rechtsextremer Demonstranten »einen erheblichen Image­schaden für das Ansehen der Stadt Kassel und der Bundesrepublik Deutschland nach sich zieht«. Deshalb habe der Magistrat dafür gesorgt, dass die Kundgebung nur noch am äußersten Rand der Fußgängerzone stattfinden könne.

Am 9. Juli zog erstmals eine angemeldete Demonstration der Neonazi-Gegner durch die Innenstadt. Ein Sprecher warnte vor der »immer größer werdenden Naziszene in Nordhessen«. Mittlerweile wohne fast der gesamte Landesvorstand der Jungen Nationaldemokraten (JN) in Kassel. Die mit 50 Teilnehmern eher spärlich besuchte Demonstration konnte einen ersten Erfolg verbuchen: Pawlak und Konsorten sagten an diesem Montag ihre Kundgebung erstmals ab.