Ein Brecht’scher Cartoon

Hat man es bei den »Simpsons« mit komischer Subversion und Desillusionierung zu tun, gar mit dezentrierter Kunst? Wird hier in Form einer satirischen Zeichentrickserie mit leichter Hand Ideologiekritik oder gar Klassenkampf betrieben? Oder ist die Serie nur ein großes nihilistisches Spaßprogramm, in dem die Mächtigen und die Schwachen gleichermaßen lächerlich gemacht werden? Von James M. Wallace.

Humor«, so warnte E. B. White uns, »kann man sezieren wie einen Frosch, aber er stirbt dabei, und die Innereien sind nur noch unter einem rein wissenschaftlichen Aspekt interessant.« (1) Auch wenn sich ein sozialistischer Wissenschaftler daranmachen würde, den Humor marxistisch zu sezieren, würde er ihn ganz sicher abtöten und lediglich die hässlichen Innereien der bürgerlichen Ideologie bloß­legen.

Es ist nicht so, dass Marxisten keinen Spaß verstehen. Marx selbst versuchte sich an einer Komödie und schrieb einen Roman à la Tristram Shandy. Doch Humor ist eine schwierige Herausforderung für alle, denen Gerechtigkeit und Gleichheit am Herzen liegt: Denn was ist eigentlich so lustig an einem Land, in dem fünf Prozent der Menschen 95 Prozent des Reichtums kontrollieren? Ist es ein Verrat an marxistischen Prinzipien, wenn man einerseits weiß, dass in den USA jede Woche 20 Arbeiter bei ­ihren Jobs getötet und noch viel mehr angegriffen werden, und andererseits lacht, wenn der durchlöcherte Ladenbesitzer Apu zu Homer sagt: »Ich will dir nichts vormachen. Bei diesem Job wird ab und zu auf dich geschossen.« (»Lisas Pony«, Folge 43) Vielleicht hat Rabbi Krustofsky aus den »Simpsons« ja recht, wenn er konstatiert: »Das Leben ist kein Spaß; das Leben ist todernst.«

Aber die »Simpsons« sind ein großer Spaß, und der Humor der Serie berührt so viele Bereiche, dass man einfach lachen muss – egal, was für einen politischen oder wirtschaftlichen Standpunkt man vertritt. Und weil diese Sendung oft als »subversiv« bezeichnet wird, könnte man erwarten, dass sie besonders diejenigen anspricht, die kritisch gegenüber herrschenden Ideologien sind und sich dafür interessieren, wie Kunst die Fundamente der gesellschaftlichen Macht zu erschüttern vermag. Natürlich ist Humor sehr subjektiv, und es könnte sein, dass er etwas von seinem Gehalt verliert, wenn man ihn analysiert, dennoch möchte ich untersuchen, wie die komische Subversion bei den »Simpsons« funktioniert.

In einem Comedy-Seminar könnte man die Serie als perfektes Beispiel benutzen, um die grundlegende Frage zu beantworten, was eine Sache überhaupt erst lustig macht: die Unstimmigkeiten. Wir lachen dann am lautesten, wenn zwei normalerweise unvereinbare Elemente aufeinandertreffen, wenn Ideen, Bilder, Gefühle und Überzeugungen zusammenkommen, die wir sonst in unserer Wahrnehmung getrennt halten. Wir amüsieren uns über den Zusammenbruch des Gewöhnlichen und Konventionellen, über die Konterkarierung unserer Erwartungen oder, um es mit Kant zu sagen, über eine »plötzliche Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts«. (2)

Homer: Mein Gott. Außerirdische! Fresst mich nicht! Ich habe Frau und Kinder. Fresst die!

(»Hugo, kleine Wesen und Kang«, Folge 193)

Homer: O mein Gott; ich hab mich so für diesen Antrag 24 [illegale Einwanderer aus Springfield abzuschieben] engagiert, um einen Sündenbock zu finden, dass ich überhaupt nicht daran gedacht habe, dass es vielleicht jemanden treffen könnte, den ich mag. Apu, du wirst mir wirklich von ganzem Herzen fehlen.

(»Volksabstimmung in Springfield«, Folge 151)

In beiden Beispielen besteht der Witz aus der Erwartung, was man in einer ähnlichen Situation selbst sagen würde, und dem, was tatsächlich gesagt wird. Unsere Erwartungen stammen von unserer Erfahrung, wie sich Väter und Freunde normalerweise verhalten würden. Ein Vater, der seine Familie anführt, um um sein Leben zu bitten, würde das normalerweise im Hinblick darauf tun, dass seine Familie von ihm abhängt, und nicht, dass sie für ihn herhalten soll. Wenn umgekehrt die Familie in Gefahr ist, dann sagt der konventionelle, mutige und edle Vater: »Nehmt mich statt ihrer.« Die üblicherweise erwartete Selbstlosigkeit eines Vaters wird auf einen Schlag mit Homers selbstsüchtiger und komischer Bemerkung zusammengebracht und kontrastiert. Die Komik beruht natürlich auf der »Irrealität« von Kunst; ein echter Vater, der seine Kinder für sein eigenes Überleben opfert, ist alles andere als lustig. Es ist ja generell nicht komisch, wenn ein Vater seinen Sohn betrügt, doch in einer Kunstform, die auf komischer Unstimmigkeit und »Schock« beruht, verlieren unsere Konventionen für einen Moment an Gültigkeit, so dass wir uns ihrer vielleicht zum ersten Mal bewusst werden und darüber nachdenken, warum wir überhaupt gelacht haben. Subversion basiert auf Erkenntnis, und wie jede Comedy, die sich auf das Prinzip der Unstimmigkeit stützt, fordern uns die »Simpsons« auf, zumindest darüber nachzudenken, wie wir die Welt normalerweise ­betrachten. In unserer »normalen« Sichtweise sollten Väter selbstlose und loyale Ernährer sein, die sich um jeden Preis ihrer Familie verschrieben haben.

Im zweiten der angeführten Beispiele fällt Homers kurze Erleuchtung komplett in sich zusammen, als er Apu erzählt, er würde ihm »von ganzem Herzen fehlen«. Diese Emphase macht alles nur noch komischer. Sie zeigt, dass Homer nicht versteht, dass er teilweise selbst für Apus Abschiebung verantwortlich ist und ihm gleichzeitig ganz freundlich mitteilt, wie sehr er ihn vermissen wird. Natürlich gibt es für Homer keinen Widerspruch zwischen diesen beiden Gefühlen. Er sagt nur: »Mir war gar nicht klar, dass du gehen würdest. Auf Wiedersehen.« Doch für die Zuschauer, die mit den Gepflogenheiten von Freundschaft vertraut sind und daher eine Entschuldigung von jemandem erwarten würden, der gerade seine Mitschuld an einer schlechten Tat erkannt hat, ist Homers Verhalten überraschend. In einer Gesellschaft mit anderen Gepflogenheiten wäre dieser Witz demnach gar nicht komisch.

In dieser Passage spielt der Humor auf unser Bewusstsein für konventionelle Verhaltensweisen an und stellt auf einer anderen Ebene die Mängel eben jener Verhaltensweisen heraus: die Suche nach Sündenböcken, Pauschalisierungen, das Vergessen der Tatsache, dass abstrakte politische Ansichten reale Konsequenzen für jeden Einzelnen haben, und die Leugnung des Widerspruchs von persönlichem und öffentlichem Leben. All dessen ist Homer schuldig. Anders gesagt enthält Homers komplizierte Feststellung viele Einsichten über unser soziales Verhalten und unsere Beziehungen zu anderen. Diese Einsichten können wir nur satirisch verstehen, da wir wissen, dass es Pauschalisierungen, Schuldzuweisung, unangemessenes Verhalten und so weiter in einer vollkommenen Welt nicht gäbe.

Wenn Homer sagt: » … ich hab’ mich so für diesen Antrag 24 engagiert, um einen Sündenbock zu finden … «, dann finden wir das komisch, weil das Konventionelle mit dem Ideal zusammenprallt und uns der Wahrheitsgehalt in Homers Kommentar überrascht. Schließlich geben die Menschen nur höchst selten so ungeniert ihr unethisches Verhalten oder unlogisches Denken zu. Homers beiläufiger Hinweis auf eine übliche Praxis, auf die eigentlich keiner stolz sein sollte, ist komisch. Wie bei jeder Satire setzt der Angriff auf die Untugenden oder Mängel der Menschen eine bessere Welt voraus, in der wir uns alle richtig und anständig verhalten. In diesem Fall lenkt die Unstimmigkeit unsere Aufmerksamkeit auf das gewohnte mensch­liche Verhalten und stellt in Frage, ob dieses Verhalten angebracht ist. Satiren dieser Art lassen uns oft typische Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Ansichten auf den Prüfstand stellen und darüber nachdenken, wie man die Welt verbessern könnte und, in unserem Fall, wie man Pauschalisierungen und Schuldzuweisungen vermeiden könnte.

Weil Satire auf einer intellektuelleren Ebene als zum Beispiel Slapstick funktioniert, setzt sie bei ihren Zuschauern mehr voraus: Sie müssen begreifen, was gerade ins Lächerliche gezogen wird, und sollten wissen, wie die ideale Welt aussehen könnte. Wer Jonathan Swifts »Ein bescheidener Vorschlag …« kennt, eine der geistreichsten Satiren aller Zeiten, der weiß, dass man die Satire dabei zunächst gar nicht erkennt und glaubt, Swift würde beispielsweise ernsthaft dafür eintreten, irische Kinder zu schlachten, wo er doch eigentlich darauf aufmerksam machen möchte, wie englische Großgrundbesitzer die irische Bevölkerung und deren Land regelrecht »verschlungen« haben. Der Leser oder Zuschauer muss diese Wendung kapieren, oder die Satire verfehlt ihren Zweck. Die Satire stellt höhere Ansprüche an ihre Leser als jede andere Form der Komödie. George Meredith, Zeitgenosse von Marx und führender Romancier des späten viktorianischen Zeitalters, war wie viele andere Schriftsteller der Meinung, dass Literatur (und vor allem das Drama) lehren sollte, wie eine gerechte soziale Ordnung beschaffen sei. Komödien, die »nachdenkliches Lachen« hervorriefen, könnten zudem die Aufmerksamkeit auf die Marotten der Menschen lenken und so zur Heilung der gesellschaftlichen Leiden beitragen. (3) Außer Swifts »Ein bescheidener Vorschlag …« könnten wir aus früheren Zeiten noch Ben Jonsons »Volpone« und »Die Eitelkeit der menschlichen Wünsche« anführen, aus späteren Zeiten Lord Byrons »Don Juan« und viele andere mehr. Während moderne Theoretiker nicht mehr glauben, Literatur könne oder solle gesellschaftliche Probleme lösen, folgen die meisten Komödien – auch die im Fernsehen – immer noch dem Muster, dass entweder die Gesellschaft nach einem humaneren Plan neu geordnet wird oder, im Fall der Satire, auf Gebräuche, Unsitten, Illusionen, Rituale und wahllose Gesetze hingewiesen wird, die jede Veränderung hin zu einer besseren Welt behindern.

In der Tradition der Komödie hätte demnach – und hat tatsächlich – eine subversive Satire wie »Die Simpsons« das Ziel, Heuchelei, Angeberei, exzessiven Kommerz, unnötige Gewalt und andere Merkmale unserer modernen Gesellschaft bloßzustellen und gleichzeitig auf etwas Besseres zu verweisen. Marxistisch ausgedrückt hieße das, satirische Komödien wie »Die Simpsons« schaffen zeitweilig Distanz zu der herrschenden Ideologie des kapitalistischen Amerika. Der Begriff »Ideologie«, wie Michael Ryan ihn definiert, »beschreibt die Ansichten, Haltungen und Gefühle, die eine Gesellschaft ihren Mitgliedern einprägt, um eine automatische Reproduktion der sie strukturierenden Grundlagen zu generieren. Ideologie ist das, was die gesellschaftliche Macht ohne direkten Zwang bewahrt.« (4) Mit anderen Worten sind die Selbstlosigkeit und Loyalität, die wir von unseren Vätern erwarten, und die Demut und Reue, die wir hoffentlich empfinden, wenn wir unsere Freunde verletzt haben, wie auch die Haltungen, die zu Pauschalisierungen und Schuld­zuweisungen führen, sowie die grundlegenden Werte unserer sozialen Beziehungen und wirtschaftlichen Bedingungen eine bestimmte Ausformung von Ideologie. Eine wahrhaft subversive Satire wie »Die Simpsons« mit all ihren falschen Anleitungen und Unstimmigkeiten fordert uns auf, für einen Moment die Ideologie von außen zu betrachten; entweder um die Elemente dieser Ideologie zu objektivieren (Loyalität, Demut, Reue) oder um über all die Überzeugungen, Haltungen und Gefühle »nachdenklich« zu lachen, die unsere moderne Gesellschaft kennzeichnen. In erster Linie jedoch kann, im marxistischen Sinne, das Lachen – das Intelligenz, Bewusstsein und Distanz verlangt – einem Publikum helfen, der Indoktrination einer Ideologie zu widerstehen, die »eine automatische Reproduktion der sie strukturierenden Grundlagen« generieren und die »gesellschaftliche Macht bewahren« soll. Im Kapitalismus führen der Wettbewerb und die Beurteilung eines Menschen nach seinem Äußeren beispielsweise zu Stereotypen. Der Autor von Komödien kann zeigen, dass dies nichts als Angewohnheiten sind und nicht etwa unsere natürliche Weise zu handeln und zu glauben. So kann er in uns den Widerstand dagegen stärken. Die vielen Stereotype in den »Simpsons« sind so gesehen keine boshafte Darstellung ethnischer Gruppen, sondern vielmehr eine Warnung vor unserer eigenen Neigung zu Pauschalisierungen.

Anders als viele traditionelle und »realistische« Sendungen, die eine Ideologie in Frage stellen oder propagieren, bieten uns die »Simpsons« die Chance, uns von der Ideologie und ihren »strukturierenden Grundlagen« zu befreien, zu denen Wettbewerb, Konsum, blinder Patriotismus, exzessiver Individualismus und weitere Haltungen gehören, auf denen der Kapitalismus beruht. Weil »Die Simpsons« eine Zeichentrickserie sind, können die Autoren sich Dinge erlauben, die in realistischen Sendungen nie möglich wären, was ihnen darüber hinaus Gelegenheit gibt, die Illusionen von Realität zu zertrümmern und den Glauben an den Kapitalismus als einzig mögliches System ad absurdum zu führen. Sendungen, die das Leben allzu genau abbilden, vermitteln uns den Eindruck, dass die dargestellte Realität unvermeidlich und natürlich ist. So ist es wohl nicht übertrieben, »Die Simpsons« als eine Art Brecht’sche Fernsehsendung zu bezeichnen. Auf ähnliche Weise wie Bertolt Brecht die künstlichen Elemente des Dramas – die Einheit der Handlung, sympathische Charaktere, universelle Themen – verwarf und Techniken forderte, die das Publikum »entfremden« oder distanzieren, verschlüsseln auch die »Simpsons« die Realität. Die Serie fordert uns intellektuell heraus, uns nicht wie gewohnt mit den Figuren zu identifizieren und weiterhin den ideologischen Gehalt dessen, was wir sehen, zu beurteilen. Der marxistische Kritiker Pierre Macherey würde in den »Simpsons« ein ausgezeichnetes Beispiel einer »dezentrierten« Kunst finden, die den ideologischen Gehalt in sich auflöst und so die Grenzen dieser Ideologie aufzeigt.

Als eines der besten Beispiele für die auf Unstimmigkeit basierende, subversive Haltung der »Simpsons« gegenüber der kapitalistischen Lehre dient der folgende Wortwechsel, der ganz für sich selbst steht und zu gut ist, um analytisch besudelt zu werden.

Lisa: Beeil dich, Mom. Wenn wir nicht bald zur Messe kommen, sind die guten Comics alle schon weg!

Bart: Seit wann interessierst du dich für gute Comics? Du kaufst doch bloß immer »Casper, das feige Gespenst«.

Lisa: Das heißt »das freundliche Gespenst«. Ich finde es traurig, dass du Freundlichkeit mit Feigheit gleichsetzt, das kann deiner Beliebtheit nur schaden.

Bart: (zeigt Comics von Casper und Richie Rich) Weißt du was? Ich finde, Casper ist der Geist von Richie Rich.

Lisa: Hey, die sehen ja wirklich gleich aus.

Bart: Wie ist Richie bloß gestorben?

Lisa: Vielleicht hat ihn die Einsicht umgebracht, dass die Jagd nach Geld zutiefst albern ist.

Marge: Kinder, was soll denn so ein philosophisches Thema!

(»Drei Freunde und ein Comic-Heft«, Folge 31)

Von einer radikalen Satire mit Wortwechseln wie diesem oder etwa dem bissigen Porträt des bösen Mr. Burns könnte man erwarten, dass bürgerliche Ideologie und repressive Werte konsequent bloßgestellt werden. Leider ist das jedoch nicht der Fall.

Weil Polit- und Gesellschafts­satire in einer kapitalistischen Gesellschaft fast schon per definitionem deren Werte in Frage stellt, sollte sich ein Marxist eigentlich ganz wohl in Evergreen Terrace fühlen. Das ist aber offenkundig nicht der Fall. In der öffentlichen Meinung ist der Marxismus ein Synonym für Kommunismus (dafür gibt es gute Gründe), und viele Fans der »Simpsons« wissen, dass die Marxisten in Springfield ganz und gar nicht willkommen sind. Als Itchy und Scratchy auf einen anderen Sendeplatz verlegt werden, muss Krusty den Cartoon »Osteuropas Lieblings-Katz-und-Maus-Team, Arbeiter und Parasit« (»Krusty, der TV-Star«, Folge 74) zeigen, der einen finsteren und langweiligen Blick auf die Ausbeutung der Arbeiterklasse wirft und sofort Krustys Fernsehstudio leer fegt. In »Großer Bruder – kleiner Bruder« (Folge 72) wendet sich ein Vertreter der Kommunistischen Partei Springfields kurz vor Beginn eines Football-Spiels an die Menge. Zum Unglück für den abgetakelten Demagogen ist jedoch »Tomatentag«, und die Menge bewirft ihn mit den verteilten Tomaten. In »Homer, der Auserwählte« (Folge 111) durchsucht Grampa Abe Simpson seine Brieftasche nach einem Beweisdokument für seine Mitgliedschaft in der Bruderschaft »Die Steinmetze«:

Abe: Aber natürlich. Sehen wir mal nach (er durchsucht seine Brieftasche). Ich bin … ähm … Prämiensparer, Freimaurer, dann Kommunist und Präsident der Schwulen-und-Lesben-Vereinigung – warum, weiß ich auch nicht. Ah, da ist sie ja – die Steinmetze.

Anscheinend hat die Kommunistische Partei einen weiteren verwirrten alten Mann dazu verleitet zu unterschreiben. Oder vielleicht ist ja auch gemeint, dass der Kommunismus ein altes und schwaches System sei, dessen Ableben von allen, einschließlich der Mitglieder der Heavy-Metal-Band Spinal Tap, gefeiert wird:

Derek: Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer mehr vom Tod des Kommunismus profitiert hat als unsere Band.

Nigel: Außer den Menschen, die in den kommunistischen Ländern gelebt haben.

Derek: Oh ja, da hast du Recht, daran hatte ich gar nicht gedacht.

(»Der Fahrschüler«, Folge 57)

Während der Spielverderber Karl Marx in Springfield nicht so willkommen ist, tritt Groucho gleich in mehreren Episoden auf. Entweder persönlich (in der Menge um Dr. Hibbert in »Auf Wildwasserfahrt«, Folge 86) oder paraphrasiert in – ausgerechnet! – der Episode »Eine Klasse für sich« (Folge 137). Marge, die endlich merkt, dass sie sich von ihrer Familie entfremdet hat, nachdem sie versucht hat, in den örtlichen Country Club aufgenommen zu werden, lehnt das ganze Gehabe mit einer Version von Grouchos berühmtem Ausspruch ab: »Ich möchte keinem Club beitreten, der mich nur so als Mitglied aufnimmt.« Diese Anspielung ist natürlich ein Muss, da die Marx Bro­thers mit ihrer Bloßstellung der so genannten besseren Gesellschaft berühmt geworden sind. Doch die Paraphrase ist hier wirklich brillant. Während Groucho noch all den Organisationen entsagte, deren Standards so niedrig waren, dass er zugelassen werden konnte, entsagt Marge der Organisation, die nur die Marge zulässt, die all ihre Ersparnisse in ein tolles Kleid angelegt hat, ihren alten Wagen außer Sichtweite parkte und ihrer Familie befahl, das normale Verhalten einzustellen und »einfach gut« zu sein. Marge fühlt sich nicht wohl und verzichtet auf eine Ideologie, die sie zwingt, ihre wahre Identität und ihr wahres Wesen aufzugeben. Groucho, dem die Subversion nicht fremd ist, der aber definitiv kein Marxist ist, liefert also die Inspiration für Marges triumphalen Verzicht auf die versnobten Country-Club-Leute; und obwohl alles, was mit Karl Marx zu tun hat, aus der Stadt verbannt ist, zeigt Marge mit ihrer Loslösung von der repressiven Ideologie dennoch wahre marxistische Sensibilität.

Und doch könnte die letzte Szene von »Eine Klasse für sich« den Leser von Marx’ Schriften verwirren. Während die herrschende Klasse gründlich verspottet wird, endet die Episode damit, dass die Simpsons weiter in ihrem Haus nahe dem Krusty Burger vor sich hin leben.

Pimple-Faced Kid: (wischt den Boden) Hey, sagt mal, kommt ihr gerade vom Abschlussball?

Bart: So was Ähnliches.

Marge: Aber uns ist klar geworden, dass wir uns an einem Ort wie diesem eigentlich viel wohler fühlen.

Pimple-Faced Kid: Oh Mann, ihr seid verrückt. Der Laden ist ein Abfalleimer.

Während die Familie den grausamen und unaufrichtigen Mitgliedern des Country Club weise den Rücken zuwendet (»Ich kann nur hoffen, dass sie meinen Versuch, sie fertigzumachen, nicht allzu ernst genommen hat«, sagt einer von ihnen im Hinblick auf Marge), scheint der Widerstand der Simpsons gegenüber den Reichen und Golfspielern machtlos und unwirksam zu bleiben. Die Schwäche ihres Protestes wird schon zu Beginn der Episode angedeutet, als Lisa sieht, wie Kent Brockmans Tochter einen Kellner beleidigt, der ihr ein Mortadella-Sandwich anstelle eines Seeohrs bringt. Lisa regt sich darüber auf, wird aber gleich darauf von einem Reiter auf einem Pony abgelenkt, ihrem Lieblingstier. Später sieht man sie ebenfalls auf einem Pony reiten und hört sie sagen: »Mom, sieh mal, ich hab was Lustigeres entdeckt, als sich zu beschweren.«

Wenn Lisas Tirade gegen Unverschämtheiten und die schlechte Behandlung der Angestellten nur ein »Sichbeschweren« ist, das schon durch ein Pony zum Schweigen gebracht werden kann, wie sollen wir dann ihre ausgezeichneten Kommentare im weiteren Verlauf der Sendung verstehen, etwa als sie zum Aufnahme-Dinner in den Club geht (»Ich werd’ die Leute fragen, ob sie die Nachnamen ihrer Dienstmädchen kennen oder bei den Butlern den Vornamen«), oder ihre erstaunliche Einschätzung von Richie Rich? Und was ist mit all den stichelnden antiideologischen Bemerkungen, die sie all die Jahre von sich gegeben hat? Natürlich kann Lisa als kleines Mädchen leicht durch ihr Lieblingstier abgelenkt werden, weshalb wir ihr Schwanken vielleicht nicht zu hoch bewerten sollten. Doch diese Episode zeigt, wie die Serie ständig genau das untergräbt, was einer linken Weltanschauung zuweilen auffällig nahe kommt, oder eigentlich jede politische Haltung. Es ist, als würden die Autoren eine konsequente politische oder gesellschaftliche Stellungnahme unbedingt vermeiden wollen. Was zumindest eine gründliche Abrechnung mit der besitzenden Klasse hätte sein können, wird zur Niederlage für die Klasse der Simpsons, die Homer als »Obere-untere-Mittelklasse« (»Die Springfield Connection«, Folge 121) beschreibt. Damit meint er Menschen, die sich, auch wenn sie nicht Fabrik- oder Bergarbeiter sind, dennoch darum sorgen müssen, woher das Geld kommt. Am Ende von »Eine Klasse für sich« wird die Ordnung auf Kosten der Simpsons wieder hergestellt, die in ihre gewohnte Umgebung zurückkehren, den »Abfalleimer«, wo sie sich wohl zu fühlen gelernt haben. Am Schluss ist also nicht klar, wer genau das Ziel dieser Satire ist oder welche bessere Welt hinter all den Klassenkämpfen liegt. Vielleicht soll ja auch die gesamte Idee des Klassenkampfs ins Lächerliche gezogen werden.

Jedenfalls sind am Ende nicht Lisas gelegentliche Spitzen gegen die zerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus der Grund dafür, dass sich Marge in einem Laden wie Krusty Burger wohl fühlt, sondern vielmehr Marges eigene Bürgerlichkeit. Sie war dicht an einem revolutionären Moment, ist dann aber wieder zurückgefallen in die gewohnte und stille Akzeptanz der Dinge, wie sie sind.

Das subversive Etikett der gesamten Serie ist somit etwas verblasst – es sei denn, wir sollen in der letzten Szene mit den Simpsons mitfühlen. Friedrich Engels selbst hat in einem viel zitierten Brief an eine junge Schriftstellerin gesagt, »der Dichter ist nicht genötigt, die geschichtliche zukünftige Lösung der gesellschaftlichen Konflikte, die er schildert, dem Leser in die Hand zu geben«. (5) Die Leser – in unserem Fall die Zuschauer – können manches von dieser Arbeit natürlich selbst tun. Doch die Autoren der »Simpsons« scheinen einige Mühe darauf verwandt zu haben, dass wir unser Mitleid nicht der Familie oder sonst jemandem schenken, der leidet oder unterdrückt wird. Sie weigern sich offensichtlich, sich auf eine Seite zu schlagen, und machen die Mächtigen wie die Schwachen gleichermaßen lächerlich. Während Grouchos Bananenschalen genau unter die Sohlen der Reichen, der anmaßenden Akademiker und der korrupten Politiker gelegt wurden, sind die der »Simpsons« dort und an jeder Menge anderer Orte platziert, so dass Einwanderer, Frauen, Alte, Südstaatler, Homosexuelle, Übergewichtige, Fleißige, politisch Interessierte und alle anderen marginalisierten oder verleumdeten Gruppen genauso darauf ausrutschen wie die miesen Industriekapitäne. Keiner ist vor Spott oder Lächerlichkeit gefeit.

Man nehme als Beispiel nur das Bild der Arbeiter. Mal von Lisa abgesehen, könnte man von Autoren, die Golfspieler verspotten, doch erwarten, dass sie sich auf die Seite der Arbeiter schlagen. Aber nirgendwo in den »Simpsons« wird eine solche Sympathie oder Empathie gezeigt; das Bild der Arbeiter legt vielmehr nahe, dass die Autoren und Produzenten Subversion nicht als Aufstand gegen ungerechte Arbeitsbedingungen oder Kampf für bessere Voraussetzungen der Arbeiterklasse verstehen. In »Prinzessin von Zahnstein« (Folge 149) denkt die Gewerkschaft (die »Internationale Bruderschaft der Jazztänzer, Konditoren und Nukleartechniker«) unter Anführung der Arbeiter Lenny und Carl (Lenin und Marx?) nicht einen Augenblick nach, ehe sie die Forderungen der Gewerkschaft nach zahnärztlicher Versicherung gegen die Zusage für ein Fass Bier bei jedem Gewerkschaftstreffen eintauscht. Ein Streik bricht aus, und obgleich die Gewerkschaft am Ende wieder zu ihrem ursprünglichen Plan zurückkehrt, geschieht das nur durch die Dummheit von Mr. Burns und dem Gewerkschaftsboss Homer. In einer anderen Episode tragen streikende Lehrer Plakate, und man hört »Sagt es raus in alle Welt, die Lehrer brauchen einfach mehr Geld« und »Mehr, mehr, mehr«. Und das Motto der Springfield-Autoshow lautet: »Wir grüßen die amerikanischen Arbeiter – jetzt schon 61 Prozent drogenfrei.« Viele Figuren der Serie werden durch ihre Arbeit definiert, und es gibt kaum einen (außer vielleicht Frank Grimes, und der wird schnell ins Jenseits befördert), der kein Stümper oder Verlierer ist. Alle sind sie ungeschickt, unehrlich, faul, kriecherisch, ungebildet, unmoralisch, kriminell oder ganz einfach nur dumm – wofür natürlich Homer das beste Beispiel ist. In einer denkwürdigen Episode rettet Homer das Atomkraftwerk in Shelbyville vor der Kernschmelze, indem er dank des ­Eene-­meene-­muh-Verfahrens endlich den richtigen Knopf findet.

Bei einem derartigen Angriff von allen Seiten ist es fast unmöglich zu sagen, wen oder was die »Simpsons« aufs Korn nehmen wollen. Es ist, als hätte Jonathan Swift erst Engländer attackiert, die arme Iren verschlingen, und dann die armen Iren selbst. Weil das Ziel so ungenau definiert und so allumfassend ist, gab es bei manchen Episoden Zuschauer, an denen die eigentliche Aussage vorbeiging. Als die katholische Kirche an der Parodie einer Super-Bowl- Werbung Anstoß nahm, änderte der ausführende Produzent bei Wiederholungen dieser Folge eine Schlüsselzeile. Der Zwang, etwas umzuschreiben, zeigt einerseits, dass sogar vermeintlich subversive Sendungen einer korporativen Kontrolle unterliegen, andererseits illus­triert dies jedoch auch, dass eine Satire, die sowieso keine Meinung dazu hat, wie die Welt beschaffen sein sollte, problemlos eine Aussage durch eine andere ersetzen kann. Die Sendung hat eigentlich alles aufs Korn genommen, was die Sponsoren und das Publikum ihr durchgehen ließen. Alles, was recht und billig ist.

Da »Die Simpsons« nun mal auf keiner Vision einer besseren Welt beruhen, fügt die Serie lediglich ein paar einzelne komische Momente zusammen, die in ihrer Gesamtheit keinen durchgängigen politischen Standpunkt ergeben, schon gar nicht einen subversiven. Wenn Episoden wie »Eine Klasse für sich« mit der Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung enden und sowohl die Leute vom Country Club als auch Marges Familie mit ihrer Situation zufrieden sind, dann unterläuft die Sendung ihr eigenes Subversivsein und propagiert eben jene Institutionen und gesellschaftlichen Beziehungen, die sie angeblich attackiert. Klassengegensätze werden nur aufgebaut, um humorvoll ausgebeutet zu werden. Und die Späße, die für sich genommen außerordentlich witzig, überraschend und herausfordernd sind, bilden in ihrer Gesamtheit eine Weltsicht, die zugleich nihilistisch (alles wird attackiert) wie auch konservativ ist (die tradierte gesellschaftliche Ordnung bleibt bestehen). Die Satire kollabiert in einem Ausbruch einzelner Späße, und wir bleiben dort zurück, wo wir angefangen haben – in einer Welt der Ausbeutung und des Kampfes. Es geht ganz klar um die Witze, die Pointen, die komischen Gegenüberstellungen, die gelegentlich schockierende Binsenweisheit im Munde eines Kindes. Doch größere Ziele wie eine konsequente politische oder gesellschaftliche Idee werden ignoriert. Als Homer während eines Streits zwischen seiner Tochter und einem albanischen Austauschstudenten einen seiner denkwürdigsten Sprüche von sich gibt, bleiben wir verwundert und sprachlos zurück:

Bitte, Kinder, hört auf euch zu zanken. Vielleicht hat Lisa recht, mit Amerika als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, und vielleicht hat Adil recht, mit der Maschinerie des Kapitalismus, die mit dem Blut der Arbeiter geölt wird.

(»Tauschgeschäfte und Spione«, Folge 13)

Können wir auch nur irgendetwas ernst nehmen, das Homer in der Sendung sagt, oder ist das wieder mal nur eine witzige Bemerkung in einer Sendung, die voller witziger Bemerkungen ist? Hat Homers Einsicht das gleiche Gewicht wie manch anderer seiner Kommentare?

Ach, Dad, du hast viele große Taten vollbracht, aber jetzt bist du nun mal ein alter Mann, und alte Leute sind überflüssig.

(»Die Springfield-Bürgerwehr«, Folge 89)

Lisa, wer seinen Job nicht mag, der streikt auch nicht. Da latscht man einfach täglich hin und arbeitet nur mit halber Backe. Das ist amerikanische Arbeitsmoral.

(»Der Lehrerstreik«, Folge 120)

Die meisten Zuschauer wissen, dass ein kluger, sensibler und dialektisch denkender Mensch Homers erste Bemerkung zu Lisa als Zeichen universellen Einvernehmens gemeint haben könnte. Nur würde dieser Mensch eben nicht die zweite und dritte Bemerkung von sich geben. Die Inkonsequenz seines Charakters macht Homer zum Sprachrohr für die Zeilen der Autoren. Jeder Witz ist in seinem kleinen Zusammenhang lustig, zusammengenommen jedoch bilden die einzelnen Witze keine Vision eines gesellschaftlichen Fortschritts und keine Kunstform, die exakt darstellt, wie die Menschen leben und handeln sollen. Sicherlich ist »Die Simpsons« keine realistische Fernsehsendung, doch die Zuschauer können sich nicht einmal mit den Figuren identifizieren, wenn sie nur der guten Pointe dienen und so immer weniger menschlich werden oder gar zum Chamäleon mutieren. In diesem Fall richtet sich die Subversion gegen die Typisierung. Nur der Witz bleibt. Nichts ist wirklich wichtig. Die Kinder haben ihren Spaß. Und um Marx zu paraphrasieren: Alles, was fest ist, zerschmilzt in Gelächter.

Anmerkungen:

(1) E. B. White, »Some Remarks on Humor«, in: The Second Tree from the Corner, New York, 1954, S. 174

(2) Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, § 54

(3) George Meredith, An Essay on Comedy and the Uses of the Comic Spirit, New York, 1897, S. 141

(4) Michael Ryan, »Political Criticism«, in: Contemporary Literary Theory, hrsg. von Douglas Atkins und Laurie Morrow, Amherst, 1989, S. 203

(5) Friedrich Engels, Brief an Minna Kautsky, 26. Nov. 1885, MEW, Bd.36, S. 394

James M. Wallace ist Assistenzprofessor und Lehrstuhl­inhaber für Englisch am King’s College, Pennsylvania. Er hegt die Hoffnung, mit Tomaten beworfen zu werden.

Sein Essay, der hier in gekürzter Form erscheint, wurde mit freundlicher Genehmigung des Verlags folgendem Band entnommen: William Irwin / Mark T. Conrad / Aeon Skoble (Hrsg.): Die Simpsons und die Philosophie. Schlauer werden mit der berühmtesten Fernsehfamilie der Welt. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus de Palézieux. Tropen-Verlag, Berlin 2007. 256 Seiten, 19,80 Euro. Das Buch erscheint dieser Tage.