Globalisierungsgegner mit Schlipsen

Viele europäische Regierungen betrachten staatlich gelenkte Investitionsfonds aus asiatischen Ländern als Konkurrenz bei der Neuaufteilung der Welt. Da die ­Asiaten sich an europäischen Kernindus­trien in­teressiert zeigen, wird in der EU über Schutzmechanismen diskutiert. Von Lutz Getzschmann

Sie stammen nicht aus den USA, sind staatlich statt privat und werden deshalb weniger beharrlich als »Heuschrecken« bezeichnet. Aber irgendwie böse sind sie trotzdem. Man kann geradezu von einer Offensive staatlicher Investitionsfonds aus Nicht-EU-Ländern sprechen, die in Eu­ropa dazu geführt hat, dass über einheitliche Schutzmechanismen diskutiert wird. »Goldene Aktien« sollen verhindern, dass finanzkräftige Investoren die Kontrolle über die Schlüsselunternehmen der Länder gewinnen.

Gemeint sind Anteilsscheine an Unternehmen, die mit besonderen Vorzügen, etwa einem Vetorecht oder dem Mehrfachstimmrecht, verbunden sind. Was in Deutschland, mit der einzigen Ausnahme des Volkswagen-Konzerns, im Jahr 1998 abgeschafft wurde, ist in anderen EU-Ländern nicht unüblich. So hält etwa der französische Staat »Goldene Aktien« beim staatlichen Energie­versorgungsunternehmens EDF und bei der Groß­bank Crédit Lyonnais, während der spanische Staat sich mit ihnen seine Macht in der Telefongesellschaft Telefónica sichert.

Im Juli bestätigte Bundeskanzlerin Angela Mer­kel, dass es Überlegungen gebe, die strategischen Interessen Deutschlands angesichts der bevorstehenden Übernahme von vier Airbus-Werken durch private Investoren mit der Einführung »Goldener Aktien« zu schützen, entsprechende Maßnahmen würden von der deutschen und der französischen Regierung geprüft. Daraufhin erweiterte der Handelskommissar der EU, Peter Mandelson, die Debatte auf die gesamte Europä­ische Union, deren Unternehmen vor allem vor dem »unzulässigen politischen Einfluss« russischer und chinesischer Staatsfonds zu schützen seien.

Tatsächlich investieren staatlich gelenkte Fonds aus Russland und den Golfstaaten seit einiger Zeit ihre gigantischen Einnahmen aus dem Öl- und Gas­geschäft verstärkt in westliche Unternehmen. Als größter Staatsfonds der Welt gilt die von den Vereinigten Arabischen Emiraten betriebene Abu Dhabi Investment Authority mit einem geschätzten Vermögen von 875 Milliarden US-Dollar. Zwei Staatsfonds aus Singapur bringen es zusammen auf 430 Milliarden Dollar. Norwegen ist mit 300 Mil­liarden aus seinem staatlichen Pensionsfonds dabei, die russische Regierung mit rund 100 Milliarden. Auch die chinesische Regierung ist aktiv und verfügt über Devisenreserven von rund 1 200 Milliarden Dollar. Mandelson forderte im Einklang mit der deutschen Kanzlerin eine einheitliche Regelung für die EU und regte an, eine zwischen der EU-Kommission und den beteiligten Regierungen geteilte Zuständigkeit ins Auge zu fassen, da die einzelnen Staaten meist nur ihre eigenen Interessen verfolgten.

Als Wende um 180 Grad kann Mandelsons Forderung getrost bezeichnet werden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hatte die EU-Kommis­sion staatliche Vetorechte bisher immer vehement abgelehnt, und Urteilssprüche des Europäischen Gerichtshofs hatten ihre Entscheidungen gestützt. Angesichts des Selbstbewusstseins der neu erstarkten Wirtschaftsmächte scheint man inzwischen einiges anders zu sehen.

Die britische Regierung lehnte eine einheitliche Übereinkunft in dieser Frage ab, Großbritannien heiße Investoren stets willkommen, erklärte der neue britische Finanzminister Alistair Darling (Labour Party). Aus den Niederlanden hieß es hingegen, eine deutliche Mehrheit im Parlament einschließlich der oppositionellen Sozialistischen Partei sei dafür, den Erwerb »Goldener Aktien« zu erlauben, notfalls auch ohne Abstimmung mit den europäischen Nachbarn.

In Deutschland fiel das Echo recht gemischt aus. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) lehnte das Schutzinstrument entschieden ab. Es sei nicht akzeptabel, »dass der potenzielle Einfluss ausländischer Staaten auf die Geschäftsführung durch den faktischen Einfluss der heimischen Politik ersetzt wird«, sagte sein Sprecher Klaus Bräunig. Der Vorsitzende der Geschäftsführung des Automobilzulieferers Bosch, Franz Fehrenbach, bekundete hingegen in der Welt seine Unterstützung für den Vorschlag und erklärte, es sei bedenklich, wenn wichtige deutsche Branchen Gefahr liefen, unter den Einfluss großer staatlich gelenkter Unternehmen aus Ländern zu geraten, die nicht demokratisch verfasst seien und nicht über vergleichbare Rechtssys­teme verfügten.

Angesichts der unterschiedlichen Reaktionen der europäischen Regierungen, insbesondere der deutlichen britischen Ablehnung, scheint die von Mandelson geforderte einheitliche Regelung vom Tisch zu sein, kaum dass sie angesprochen wurde. Zu groß sind die Interessenunterschiede zwischen den Staaten und den jeweils dominierenden Kapitalfraktionen.

Was in dieser Hinsicht in Deutschland passiert, ist dennoch interessant, da sogar innerhalb des BDI protektionistisch-staatsinterventionistische Meinungen den investitionsfreundlichen gegenüberstehen. Dass Vertreter der Autozulieferer, die in den vergangenen Jahren wegen zahlreicher Betriebsübernahmen in Mitleidenschaft gezogen wurden und ohnehin eher auf den deutschen Markt orientiert sind, dem wachsenden Einfluss ausländischer Staatsfonds feindselig gegenüberstehen, ist nachvollziehbar. In den Vorstandsetagen anderer Branchen hingegen, die selbst auf Expansion in alle Welt setzen, herrscht die Befürchtung vor, eine protektionistische Wirt­schaftspolitik könnte langfristig den eigenen Übernahmeplänen schaden. Zum Anwalt dieser Fraktion machte sich neben der FDP auch das Handelsblatt. Dessen Kolumnist Frank Wiebe verstieg sich folgerichtig zu der denkwürdigen Aussage: »Die gefährlichsten Gegner der Globalisierung laufen nicht mit Transparenten über die Straße, sondern sitzen mit Krawatte im Büro.«

Solche Töne sind allerdings eher die Ausnahme. Der Trend geht eindeutig dahin, Schutzmechanismen für deutsche Unternehmen zu befürworten. Darauf deuten Stellungnahmen aus der CDU, der SPD und dem DGB hin. Da wollen auch Vertreter der Unternehmerverbände nicht zurückstehen. Anton Börner, der Präsident des Bun­desverbandes des deutschen Groß- und Außenhandels (BGA), verkündete, hinter dem wachsenden Einfluss politisch gelenkter Kapitalfonds verberge sich ein geostrategischer Ansatz, »der die Neuauflage des Kalten Krieges mit anderen Mitteln bedeutet«. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun, äußerte sich ähnlich, warnte aber zugleich davor, »vorschnell in die freiheitliche Wirtschaftsordnung einzugreifen und vor allem Eigentumsrechte in Frage zu stellen«. Sicher ist sicher. Die unterschiedlichen Interessen der Unternehmer verdeutlichte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer, Patrick Adenauer, indem er anmerkte, die Bundesregierung solle eher ein Gespür dafür entwickeln, dass jene überseeischen Einkäufer die Marktführer in den Nischen des Weltmarktes kaufen wollten, nicht die Telekom oder die Deutsche Bahn AG.

Stellt sich noch die Frage, warum die Debatte eigentlich ausschließlich um den Schutz vor Staats­fonds geführt wird, nicht aber um den vor privaten Investmentfonds. Die Antwort kann nur lauten: Weil die Privaten von dre Regierung und den Unternehmern her erwünscht sind, um genau solche Unternehmen wie die Telekom oder die Deutsche Bahn AG aufzumischen und zu aggressiv expandierenden global players aufzurüsten, während die Staatsfonds aus Russland, China oder den Golfstaaten als Agenturen konkurrierender Mächte im Kampf um die politische und ökonomische Neuaufteilung der Welt verstanden werden. Investmentfonds wie Black­stone stehen schon bereit, um die Deutsche Telekom mit frischem Kapital zu internationalisieren und auf Kosten outgesourcter Beschäftigter in den internationalen Wettbewerb zu führen. Und darum, wer wen frisst und wem das Ganze letztlich nutzt, geht es ja.