LeserInnenworld
Jungle World 30/07: Der Naturbegriff ist korrumpiert
Zum Behufe der Naturbeherrschung
Cord Riechelmann watet in seinem Resüme im gleichen Sumpf, in dem er »Al Gore, Herbert Grönemeyer und die deutsche Vanity Fair« versacken sieht. Um sich das nicht einzugestehen, kleistert er die dunkle Ahnung mit sprachlich vakanten Plattitüden zu (Wie genau denkt man ein »buchstäblich begriffenes Verhältnis«, und was denkt man da?) und dreht mal eben die Kategorienordnung der naturwissenschaftlichen Methodologie um. Denn natürlich basiert die Wissenschaft nicht auf der Prognose, sondern auf drei Paradigmen: Experiment, Gesetz und Fortschritt. Die Prognose kann nur Anwendung finden, wenn das Wirken von Gesetzen als der Natur inhärentes dynamisches Prinzip anerkannt ist. Der Naturbegriff, den Riechelmann entwickelt sehen mag, unterscheidet sich in keinem Deut vom hergebrachten. Dieser übrigens wurde in Bacons Novum Organum erstmals expliziert, und das um 1620, interessanterweise also zu einem Zeitpunkt, in dem der Kapitalismus sich gerade zu entwickeln begann. Bacon stellt die Forderung auf, zum Behufe der Naturbeherrschung (!) Datenmaterial zu massieren und Gesetze festzustellen. Damit dies zu erreichen ist, muss er die Natur aufspalten in processus und schematismus, in substrat- und substanzlose Wandlung, die sich an homogener, unbestimmter Materie abarbeiten soll. Das ist geschichtlich und kulturell einmalig, und anhand dieser Trennung wird auch die fatale Rolle des Menschen, der sie ja erst durchgeführt hat, sinnfällig: Wenn nämlich Gesetze wirken, dann dürfen und müssen wir uns durchaus als deren Exekutoren begreifen. Dieses stumme Apriori wurde in den letzten knapp 400 Jahren nicht aufgegeben. Wissenschaft funktioniert, sei es leicht modifiziert, nach diesem Prinzip. Hier hätte man denn auch die traurige Kluft zwischen Mensch und Natur mitsamt dem Beherrschungsverhältnis zu lokalisieren: Wenn ohnehin Gesetze wirken, dann dürfen, ja müssen wir uns als deren Exekutoren begreifen. Wir machen uns die Natur untertan, weil sie als Untertan geboren ward. Hier hätte Kritik anzusetzen. Riechelmann erkennt immerhin richtig, dass Ethik dem asymmetrischen Mensch-Natur-Verhältnis immer nachgeschaltet und deswegen falsch ist. Was er nicht erkennt, weil er es blind voraussetzt, ist die Legitimität der naturwissenschaftlichen Methode. Die ist aber, dialektisch genug, sowohl Geburtshelferin als auch Kind kapitalistischer Vergesellschaftung, ja, Erkenntnistheorie. Die Wissenschaft ist nur von links sanktionierte Spiegelung des Warenfetischs.
c. p.