Rettet die Revolution!

Der letzte linke Student hat über Elvis Presley nachgedacht und fragt sich nun besorgt, was von der Revolution bliebe, wenn Elvis tot wäre. von jörg sundermeier

Der letzte linke Student sinniert. Und der letzte linke Student sinniert nicht. Nicht sinniert der linke Student, denn: wer immer nur sinniert, wird verrückt. Verrückt wird man: weil die Verhältnisse so sind. Und wie sind die Verhältnisse so? Die Verhältnisse sind schlecht. Das sind sie: denn die Revolution hat noch nicht stattgefunden. Ohne Revolution aber: keine Befreiung. Ohne Befreiung wiederum: kein gutes Denken. Ohne gutes Denken aber: denkt man schlecht. Schlechtes Denken wiederum: macht verrückt. Und verrückt: darf man nicht werden. Denn: dann wird man zum Störfaktor. Sowohl: im Verkehr. Wie auch: bei den Meetings. Oder gar: auf den Barrikaden.

Allerdings gleichzeitig: sinniert der letzte linke Student auch. Trotz: der hier eingehend beschriebenen Gefahr. Denn: etwas zu tun und etwas nicht zu tun, das: nennt man Dialektik. Oder: Poststrukturalismus. Oder: Erleuchtetes Denken. Jedenfalls und vor allen Dingen: macht Dialektik schlauer. Und schlauer: soll man immer werden. Denn: Schlauheit bringt die Menschheit nach vorn. Und vorn: ist die Revolution. Und die: ist das Ziel. Wie auch: der Weg das Ziel ist. Zur Revolution kommt es eigentlich also: ganz automatisch. Allerdings: man muss sich schon bewegen.

Der letzte linke Student nun sinniert, denn er hört eine Platte. Was für eine Platte hört er? Er hört eine Platte von Elvis Presley. Elvis Presley: das war der Amerikaner, der die Schwarzen bestohlen hat. Geklaut hat er: die Musik. Und geklaut hat er: die Chuzpe. Und geklaut hat er auch: den Hüftschwung. Denn: Rock’n’Roll ist eine schwarze Musik. Und nicht: eine weiße.

Allerdings: Elvis Presley hat den Rock’n’Roll in die ganze Welt getragen. Sogar: bis nach Deutschland. Ohne Elvis Presley: wäre der Rock’n’Roll noch immer eine Musik in den Ghettos. Von den Schwarzen: für die Schwarzen. Gewissermaßen also: l’art pour l’art. Wie heute: der HipHop. Dank Elvis Presley: hören nun aber alle Rockmusik. Und Rockmusik ist Revolutionsmusik. Denn zu Rockmusik: hat man nicht nur Sex. Nein! Zu Rockmusik: schlägt man Stühle kaputt. Zu Rockmusik: hängt man Minister auf. Zu Rockmusik: stürzt man Regierungen. Siehe: Bill Haley. Oder: Rammstein.

Weil andererseits: kann man sich etwa vorstellen, dass die Musik von Beethoven bei der Erstürmung der Bastille gespielt wird? Kann man sich etwa vorstellen, dass die Musik von Beethoven beim Guillotinieren von Königen gespielt wird? Kann man sich etwa vorstellen, dass die Musik von Beethoven gespielt wird, während ­Elsers Bombe im Bürgerbräukeller explodiert? Kann man sich aber vor allen Dingen vorstellen, dass die Musik von Beethoven gespielt wird, wenn man vielleicht auch mal Sex hat? Nein, kann man nicht. Folglich: hat Beethoven keine Revolutionsmusik verfasst. Elvis Presleys Musik aber: ist das Gegenteil von Beethovens Musik. Beethovens Musik: ist keine revolutionäre. Elvis Presleys Musik: muss daher eine revolutionäre Musik sein. Q.e.d.

Also: Elvis Presleys Musik begleitet die Revolution. Ja, Elvis Presleys Musik befördert sogar die Revolution. Und: sogar nach Deutschland hat Elvis Presley die Rockmusik gebracht. Er hat sogar: in Deutschland gelebt. Und er hat: Deutschland geliebt. Er wollte gegen Hitler kämpfen. Allerdings: kam er zu spät. Dennoch: hat er den Rock’n’Roll nach Deutschland gebracht. Und damit: Hitler noch mal besiegt. Denn: Rock’n’Roll ist wie Sex. Und: Rock’n’Roll ist revolutionär. Sexualität aber und Revolution: sind nicht faschistisch. Folglich ist der Rock’n’Roll auch antifaschistisch. Das sollte man: bitteschön: immer mitbedenken!

Nun muss man jedoch leider konstatieren: Elvis Presley gilt als tot. Und: tot muss er auch sein. Denn: die Revolution hat noch nicht stattgefunden. Das ist bedauerlicherweise wahr. Daher: wird man ja auch jeden Tag fast ganz verrückt. Und lebt: ein geschädigtes Leben. Und eben kein: ganzheitliches. Siehe: oben.

Ein lebender Elvis Presley aber: hätte die Revolution ganz sicher durchgesetzt. Qua: Rock’n’Roll. Genauer: Ein lebender Elvis Presley hätte die Revolution durchsetzen müssen. Denn Revolutionäre werden niemals müde. Und sie sind bis zur Revolution: nur Tote auf Urlaub. Und merke: 1968 war es schon fast so weit. Und 1977: hätte es noch mal so weit sein können. Siehe: Deutscher Herbst. Und siehe: Charta 77. Doch: Elvis Presley starb. Oder verschwand. Oder wurde ermordet. Oder: war sonst wie weg. Und darum eben: keine Revolution.

An dieser Stelle vom Sinnieren muss der letzte linke Student mal ganz kurz etwas machen, was er normalerweise nicht macht. Eigentlich nämlich ist er: ein kühler Denker. Andererseits aber: ist es oft zum Ausrasten. Deswegen erlaubt sich der letzte linke Student jetzt schnell: eine kurze Denkpause. Und denkt nicht überhitzt. Sondern: regt sich ab. Wie macht er das? Er wirft die Hände gen Himmel! Er rauft sich die Haare! Er guckt: ganz wütend! Und macht mit seinem Mund: Grrr! Grrr! So: jetzt ist der letzte linke Student wieder ganz kühl. Und kann daher: endlich wieder weitersinnieren. Wieder: ruhig.

Denn unweigerlich steht: eine Frage im Raum. Das ist logisch. Feststellungen: gerieren Fragen. Fragen: verlangen Antworten. Antworten: sind Feststellungen. Und Feststellungen: gerieren wieder Fragen. Aber: das ist nicht müßig. Das ist gut für das Denken. Denn: das Denken geht im Kreis, weil der Kopf rund ist. Heißt: im Kreis zu denken, ist eine Notwendigkeit. Dieses Kreisdenken ist nämlich: erzwungen durch die Biologie.

Die Frage, die nun im Raum steht, lautet: kann die Revolution ohne Revolutionsmusik stattfinden? Mit anderen Worten: kann die Revolution ohne Elvis Presley stattfinden? Hier wiederum muss man bedenken: die Revolution muss so oder so stattfinden. Stattfinden muss sie: denn sonst hören der Hunger und der Krieg und das Alleinsein und das Schlafwandeln ja nie auf. Und stattfinden muss sie auch: denn sonst gibt es keine Hoffnung mehr und nichts zu tun. Und stattfinden muss die Revolution schließlich: weil sich, wenn die Revolution gar nicht stattfindet, die ganze Arbeit ja überhaupt nicht gelohnt hat. Und: nach vorne zu gehen, hätte dann keinen Sinn mehr. Aber: wie kann die Revolution noch stattfinden? Wenn doch: Elvis Presley weg ist? Die Antwort liegt auf der Hand: ohne Elvis Presleys Musik wäre die Revolution wahrscheinlich gar nicht möglich. Schlimmer noch: ohne Elvis Presleys Musik käme vielleicht sogar Hitler wieder! Und dann: wäre Deutschland verloren. Und tags drauf (»morgen«): die ganze Welt. An dieser Stelle vom Sinnieren muss sich der letzte linke Student das Gesicht mit beiden Händen einfangen. Und: lautlos schreien. Weil: diese Vorstellung ist wirklich zu schrecklich!

Also: steckt der letzte linke Student in einem Dilemma. Denn Elvis Presley ist weg, aber: Elvis Presley darf nicht weg sein. Allerdings kennt der letzte linke Student: die Technik der Dialektik. Und die besagt: was ist: ist nicht. Und auch: was nicht ist: ist. Demzufolge: ist es dialektisch gedacht, wenn man sagt: Elvis Presley ist tot. Und aber zugleich auch sagt: Elvis Presley lebt. Dann: lebt er und ist tot.

Nun kann man fragen: geht denn das? Und man kann antworten: ja, das geht. Denn: man kann es denken. Und: was gedacht werden kann, ist real. Das sagen: Aristoteles, Heraklit und Joanne K. Rowling. Die drei jetzt: nur so beispielsweise.

Daher schreibt der letzte linke Student in sein besonderes Notizbuch: »Elvis ist nicht mehr da. Aber er ist auch nicht weg. Elvis ist ledigl. in einem Zwischenstadium. Vielleicht liegt er im Koma. Und eines Tages steht er wieder auf. Doch das wissen wir nicht, weil man den Fans immer alles verheiml.. Durch die indikative Methode kann man jedoch zweifelsfrei feststellen, dass Elvis noch lebt. Wir müssen also nur warten. Eines Tages tritt Elvis wieder an unsere Seite und dann kommt die Revolution. Und unsere Arbeit wird endlich Früchte tragen.« Das schreibt der letzte linke Student in sein besonderes Notizbuch. Und es ist wie immer logisch, klar und wahr. Und: es versprüht auch einen Funken Hoffnung. Und Hoffnung: ist wie Zuversicht. Und die ist: gut. Und auch wir sollten das Vertrauen nicht verlieren und ruhig mal alles auf eine Karte setzen.