Bomben vor dem Referendum

Die Anschläge auf Yeziden im Irak setzen die Politik der Vertreibung nichtmuslimischer Minderheiten fort. kommentar von thomas von der osten-sacken

Nachdem der stellvertretende irakische Premierminister Berham Saleh den Ort der Attentate im Nordirak besichtigt hatte, sagte er, es sehe dort aus, als hätte eine Atombombe eingeschlagen. Etwa 500 Menschen fielen am 14. August einem der bislang verheerendsten Selbstmordanschläge im Irak zum Opfer, als vier Lastwagen voller Sprengstoff etwa gleichzeitig in den von Yeziden bewohnten Dörfern Tel Asir und Jabar zur Explosion gebracht wurden. Angaben yezidischer Organisationen zufolge waren 70 Prozent der Toten und Verletzten Frauen und Kinder. Trotz verschiedener Warnungen, so ihre Kritik, hätten weder das irakische Militär noch die US-Truppen die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt.

Yeziden sind Anhänger einer präislamischen Religion und gelten den Islamisten als »Teufelsanbeter«, seit Jahren sind sie das Ziel von Anschlägen. Die Region Sinjar, in der das Massaker stattfand, gehört offiziell zum Gouvernement von Mossul, wird aber de facto von der Kurdischen Demokratischen Partei kontrolliert. Im November soll ein Referendum stattfinden, in dem die Bewohner der Region entscheiden können, ob sie sich der Autonomieregion anschließen wollen. Mehrheitlich würden sie wohl für eine Vereinigung mit den Kurden stimmen, denn in deren Gebiet ergeht es Yeziden weit besser.

Bislang ist aber unklar, wer für das Massaker verantwortlich ist. Vermutlich nicht jene obskure Truppe namens »Türk Yntikam Birlidi«, die einen rassistischen Bekennerbrief veröffentlichte, obwohl die Türkei derzeit ihre Aktivitäten im Nordirak verstärkt, um das Referendum über die Zukunft der erdölreichen Stadt Kirkuk zu verhindern. US-Sicherheitskreise gehen eher von einer Urheberschaft al-Qaidas aus, die, geschwächt durch Offensiven amerikanischer und irakischer Truppen, sich nun ein besonders leichtes Ziel ausgesucht hat, um medienwirksam zu demonstrieren, dass sie ungeschlagen ist.

Andere vermuten Anhänger des gestürzten Ba’ath-Regimes Saddam Husseins hinter dem Anschlag. Ebenso wie andere Minderheiten haben die Yeziden unter der ba’athistischen Arabisierungspolitik leiden müssen. In den siebziger Jahren wurden die Bewohner der Region Sinjar deportiert und arabische Stämme wurden dort angesiedelt. Nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 wurden dann die meisten zuvor angesiedelten Araber, häufig unter Gewaltandrohung, vertrieben.

Wer auch immer hinter dem Massaker steht, eines ist sicher. Der entfesselte Terrorismus, der sich gezielt gegen alle nichtmuslimischen Minderheiten richtet, beschleunigt nur rasant eine Entwicklung, die im frühen 20. Jahrhundert unter den Fahnen von Nationalismus und Islamismus begonnen hat: die Vertreibung all jener, die einst die Intelligentsia in den nahöstlichen Staaten stellten, ob Juden, Armenier oder Assyrer, und damit auch die weitere Ethnisierung der verbleibenden Minderheiten. Schon fordern yezidische Organisationen, eine UN-Schutzzone für sie im Nordirak einzurichten. So entfalten die von Saddam Hussein systematisch geschürten Konflikte weiter ihre Dynamik.