Das große Zwischen­durch­spielen

Sie sind meistens über 40, weiblich und verdienen gut. Sie werden von Herstellern von Computerspielen als »Casual Gamers« bezeichnet und sind die neue Zielgruppe der Spieleindustrie. Einfache Freizeit-, Karten- und Brettspiele werden in dieser Woche auf der 6. Games Convention in Leipzig vorgestellt und sollen vor allem unerfahrene Gelegenheitsspieler ansprechen. von boris mayer

Europas größte Spielemesse, die an diesem Donnerstag in Leipzig eröffnete, wird, wenn man den Veranstaltern glauben mag, auch dieses Jahr neue Rekorde aufstellen. Mehr als 200 000 Besucher sollen es an den vier Publikumstagen werden, die Zahl der Aussteller ist so groß wie nie zuvor und die Branche ist angesichts von erwarteten zwei Milliarden Euro Umsatz äußerst optimistisch.

Die Games Convention ist eine laute und bombastische Messe. Die Großkonzerne der Branche werden sich eine Materialschlacht liefern und ihre Stände, wie in den vergangenen Jahren schon, als riesige Game-Areale mit Plätzen für viele hundert Besucher gestalten, die die in Leipzig vorgestellten Spiele gleich an Ort und Stelle ausprobieren können.

In der Branche gilt die Games Convention allerdings nicht als die wichtigste Messe dieser Art. Die beiden Spielemessen von Weltrang, die E3 Expo in Santa Monica, USA, und die Tokyo Game Show finden jeweils im Juni beziehungsweise im September statt. Entsprechend wird kaum Neues gezeigt, das der Fachwelt nicht schon zuvor in Santa Monica präsentiert wurde. Die wirklichen Knaller werden dazu oft für Tokio zurückgehalten. Beide Messen zeichnen sich gegenüber Leipzig durch ihren Standortvorteil aus: Die USA und Japan sind die Hauptmärkte für Spiele und Unterhaltung, außerdem beherrschen die amerikanischen und japanischen Großkonzerne den Markt.

Doch nicht nur von diesen beiden Seiten droht der Games Convention in Leipzig Gefahr. Andere große deutsche Messezentren versuchen, die Fachmesse zu übernehmen, und argumentieren mit der begrenzten Größe des Messegeländes sowie dem Zeitpunkt gegen die Sachsen. Für Olaf Wolters, Verbandsgeschäftsführer des Bundesverbands Interaktiver Unterhaltungssoft­ware, stellt sich die Frage nach dem Ort der Messe zwar »derzeit« nicht, aber ein klares Bekenntnis zu Leipzig über 2008 hinaus, wenn der Kooperationsvertrag mit der Messe Leipzig abläuft, will er auch nicht abgeben. Deren Chef, Wolfgang Martin, hat aber kaum Angst um die Veranstaltung. »Uns gehören die Namensrechte«, sagt er und schließt einen Verkauf an andere Orte aus.

Branchenintern wird in Leipzig zudem über ganz andere Fragen und Herausforderungen diskutiert. Da sind zum einen die Vertriebswege: Immer weniger Spiele werden auf CD oder DVD gekauft, stattdessen macht man mehr Down­load­angebote. Der User kann die neue Software fast sofort verwenden, da bei den heutigen immer weiter verbreiteten schnellen Datenleitungen die Downloadzeit kaum ins Gewicht fällt. Mehr als ein Drittel der User spielt sowieso on­line, bei der Hauptzielgruppe der 14- bis 29jährigen sind es sogar 58 Prozent.

Aber neben den Vertriebswegen ändern sich auch die Spiele selbst. Aufwändige Multiplayer-Spiele stehen bei den Usern zwar nach wie vor hoch im Kurs, aber beliebter werden einfache Freizeit-, Karten- und Brettspiele. Das liegt an der wachsenden Zahl der Gelegenheitsspieler, die, anders als die bisherige Zielgruppe, sich Spiele wünschen, die man ohne große Eingewöhnungszeit und Übung zwischendurch spielen kann. Diese neue Zielgruppe ist einer Studie des Branchenverbandes Bitkom zufolge nicht nur älter als die bisherige, sie besteht auch zu einem Großteil aus Frauen. Diese Freizeitspielerinnen verfügen über ein gehobenes Einkommen und spielen am liebsten abends – während der Hauptsendezeit des Fernsehens. Das eröffnet ganz neue Einnahmequellen für die Industrie. Wer spielt, der schaut kein Fernsehen und ist damit für die klassische Fernsehwerbung nicht mehr erreichbar. Gleichzeitig ist man beim Daddeln emotional angespannt und entsprechend deutlich empfänglicher für Werbung. Solche Spiele sind daher »die perfekte Plattform für die Platzierung von Marken«, wie es bei Electronic Arts, dem weltgrößten Hersteller von Spielen, heißt.

Bitkom hat ermittelt, dass sich jeder zweite Spieler durch Werbung in einem Spiel nicht gestört fühlen würde. Manfred Gerdes, Präsidiumsmitglied von Bitkom, erklärt daher: »Product Placement wird in Zukunft immer wichtiger werden.«

Die neuen Spiele haben auch schon einen Namen, man nennt sie »Casual Games«. Sie nutzen nicht, wie die bislang bekannten Games, das Computersystem des Users bis zum Letzten aus und brillieren weder mit besonders guten Grafiken noch mit größeren Spielwelten oder besonders schnellen Szenen, stattdessen konzentrieren sie sich auf intuitive Handhabung, so dass der Spieler sich vom ersten Moment an in ihnen zurechtfindet und nicht erst viel und lange üben muss, um Vergnügen zu haben.

Der Urvater dieser Casual Games ist schon einige Jahre alt. Es handelt sich dabei um das in Microsoft Windows ab der Version 3.0 enthaltene Patience-Spiel »Solitaire«, das auch heute noch nichts von seinem Charme eingebüßt hat und in unzähligen Varianten verfügbar ist. Aber warum soll es das erste Casual Game gewesen sein, könnte man aus heutiger Sicht nicht die Klassiker »Tetris« oder »Pac-Man« so bezeichnen? Nun, diese beiden Spiele richteten sich bei Erscheinen an eine technikaffine Zielgruppe von Spielern, also diejenigen, die man heute »Power Gamer« nennt, weshalb man solche frühen Games nicht den Casual Games zurechnet. Denn Casual Games werden im Allgemeinen zur Entspannung und weniger leistungsorientiert gespielt.

In einer Studie von Realnetworks mit 1 302 Befragten gaben dies 64 Prozent aller befragten Männer und Frauen über 18 Jahren an. Aber auch die Stressbewältigung und das »Trainieren des Gedächtnisses« wurden vielfach als Gründe genannt. 75 Prozent der befragten Eltern schreiben Casual Games sogar einen pädagogischen Mehrwert bei der Erziehung ihrer Kinder zu. Allerdings mag man diese Ergebnisse für einseitig halten, schließlich wurden nur Spieler befragt. Jedoch untermauert eine Studie der Psychologischen Fakultät in Hamburg diese Aussagen. Leonard Reinecke und Sabine Trepte erstellten 2006 die Studie »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen?« zur Wirkung von Computerspielen auf die kognitive Leistungsfähigkeit. Herausgefunden haben sie dabei, dass speziell das Spielen am Computer sowohl die Produktivität fördere als auch die geistige Leistungsfähigkeit erhöhe. Wie bereits oben erwähnt, sind viele der Spieler von Casual Games Frauen über 40. Der Studie von Realnetworks zufolge sind 67 Prozent der insgesamt 535 befragten Frauen in dieser Altersgruppe mindestens vier Mal pro Woche mit dem Spielen beschäftigt, fast die Hälfte sogar jeden Tag.

Viele werden sich jetzt fragen, ob sie selbst nicht vielleicht schon Casual Games gespielt haben. Die Antwort lautet: vermutlich ja. Denn neben dem bereits erwähnten Spiel »Solitaire« sind dieser Spielegruppe so bekannte Titel wie die »Moorhuhnjagd« oder auch die »Yetisports-Series« zuzuordnen, genauso wie die Spiele zu Fernsehshows wie zum Beispiel »Wer wird Millionär?« Die großen Fernsehsender bieten sie genauso an wie die großen Portalseiten Yahoo, MSN oder AOL, daneben gibt es auch noch auf Gamecontent spezialisierte Seiten.

Alle diese Spiele werden gespielt, weil sie einfach sind und Spaß machen. Im Allgemeinen muss man sich nicht anmelden, wie es bei vielen langfristigen Onlinespielen der Fall ist, und muss, für User zunehmend wichtig, auch keine persönlichen Daten angeben. Man taucht nicht in eine tiefgründige und möglichst realistische Spielwelt ein, wie man es bei den klassischen Computerspielen macht, sondern sie sind, so könnte man meinen, einfach ein netter Zeitvertreib für zwischendurch.

Doch schnell hat man auch mit diesen Spielen ein paar Stunden ganz unbemerkt verdaddelt. Und dabei viel, viel Werbung angeschaut.