Freundschaft mit Pausen

Auch die Atlantiker in der Union haben ihr Faible für ein »selbstbewusstes Europa« entdeckt und betonen es bisweilen mehr als das gute Verhältnis zu den USA. Zwischen der Realität und dem Selbstbild der Partei der »Westbindung« sind die Differenzen größer geworden. von richard gebhardt

»Die Welt wäre vermutlich besser, wenn sie sich an die außenpolitischen Ratschläge aus Berlin hielte. Dieser Auffassung ist man jedenfalls in Berlin selbst«, spottete unter der Überschrift »Deutschland rügt seine Verbündeten« die Neue Zürcher Zeitung. Anlass waren die deutschen Reaktionen auf die Reise des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy nach Libyen sowie die Pläne der Vereinigten Staaten, die Feinde des Iran im Nahen Osten aufzurüsten.

Erwartungsgemäß fanden die von der US-Regierung Ende Juli angekündigten Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, die Golfstaaten und Ägypten ein negatives Echo in der deutschen Öffentlichkeit. Als würde nicht schon seit Jahren gegen die als besonders skrupellos dargestellte Machtpolitik der USA protestiert, beklagte man die vermeintliche Rückkehr der USA zur skrupellosen Machtpolitik. Nicht »Freiheit und Demokratie«, sondern Raketen, Frühwarnsysteme und sonstiges militärisches Material im Wert von bis dato geschätzten 34 Milliarden Dollar sollen die zentralen Exportgüter sein, die die »neue« Nahost-Politik der US-Regierung begleiten.

Auffällig war, dass sich auch dort heftiger Protest gegen den geplanten Waffendeal regte, wo hierzulande die Gegner des militärisch-industriellen Komplexes in den USA gerade nicht vermutet werden: bei Repräsentanten der Union wie dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz. Dieser äußerte deutliche Kritik an der US-Politik im »Pulverfass« Naher Osten und unterschied sich damit nicht mehr von anderen Politikern der Großen Koalition.

Karsten Voigt (SPD), als Koordinator für die transatlantischen Beziehungen der Bundesregierung eher ein Mann der moderaten Töne, beklagte im Deutschlandradio Kultur den »Widerspruch zwischen der früheren Freiheitsrhetorik und der jetzigen Praxis« der US-Regierung. Derweil verlangte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), dessen Auswärtiges Amt derzeit hauptsächlich mit Lösegeldverhandlungen beschäftigt ist, in altbekannter Manier den »Dialog mit allen Beteiligten in der Region«. Der Vorsitzende der SPD, Kurt Beck, und der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg wurden konkret, indem sie forderten, »moderate Taliban« in die Verhandlungen in Afghanistan einzubeziehen. Ein Vorschlag, der nach dem jüngsten Anschlag auf drei Polizisten besonders bizarr wirkt.

Ob die Rhetorik der US-Regierung sich dazu eignet, als Grundlage für eine adäquate Analyse ihrer Außenpolitik zu dienen, fragten sich nicht einmal die wenigen Kommentatoren, die die Reaktion der deutschen Politiker kritisch erörterten. Man konnte beinahe den Eindruck gewinnen, sie glaubten plötzlich, die USA hätten bislang gemäß den Direktiven der »demokratischen Entwicklungshilfe« gehandelt. Die Inkonsequenz der jüngsten Beschwerde fiel allein einigen Atlantikern in den Redaktionen auf.

Wenig beleuchtet wurden dagegen die in der parteiübergreifenden Ablehnung der US-Pläne zum Ausdruck kommenden Differenzen zwischen der Bundesregierung und den USA, die eine wichtige innenpolitische Dimension haben. Denn es verhält sich keineswegs so, dass allein die Sozialdemokraten Kritik an Großvorhaben der USA wie den Plänen für ein neues Raketenabwehrsystem üben, die Union aber stets staatstragend zur deutsch-amerikanischen Freundschaft steht. Auch die Konservativen wollen ihr Profil bisweilen durch eine Distanzierung von den USA schärfen.

Nach der Zeit der schlechten Stimmung zwischen der rot-grünen Regierung und der Regierung George W. Bushs wurde in den USA der Amtsantritt von Angela Merkel als eine Rückkehr zur traditionellen Außenpolitik von Adenauer bis Kohl begrüßt. Das Wall Street Journal charakterisierte Deutschland als »entscheidenden Gesprächspartner für amerikanische Präsidenten im kontinentalen Europa« und wies der in Deutschland regierenden Großen Koalition eine Schlüsselstellung zu.

Merkel konnte einerseits von rot-grünen Altlasten profitieren. Die Debatte um die geheimen CIA-Flüge oder den Fall Kurnaz diente der nachträglichen Abwertung der abgewählten Gegner des Irak-Kriegs. Andererseits versuchte auch die Bundeskanzlerin immer wieder, sich mit symbolpolitischen Gesten wie der Mahnung zur Wahrung der Menschenrechte in Guantánamo zu profilieren, während ihr Parteifreund Wolfgang Schäuble im Innenressort gleichzeitig über die Legitimität von Folter sinnierte. Die klimapolitischen Initiativen, die Angela Merkel vorstellte, waren in der innenpolitischen Darstellung ebenfalls mit einer gegen die Politik der Bush-Regierung gerichteten Wendung verbunden. Dort, wo die Kanzlerin aber konkret werden wollte – wie auf dem jährlichen Treffen von Vertretern der EU und der USA, das Ende April in Washington stattfand, oder bei den Verhandlungen in Heiligendamm –, blieben die Ergebnisse weit hinter den Zielen zurück. George W. Bush gab Merkels Wunsch nach, die Uno als Forum für die zukünftige Klimapolitik anzuerkennen – und die deutschen Gastgeber feierten dieses geringe Zugeständnis als Achtungserfolg.

Gerade die Nähe Deutschlands zum wichtigsten Handelspartner außerhalb Europas gibt Anlass für zeitweilige Abweichungen von der traditionell proamerikanischen Linie. Jenseits der Festreden bei Staatsempfängen oder auf Tagungen der Deutsch-Atlantischen Gesellschaft, bei denen die Repräsentanten der Partei Konrad Adenauers das Hohe Lied der transatlantischen Stabilität anstimmen, gibt es auch im konservativen Spektrum Versuche der Distanzierung von der Politik der USA, die ein wenig beleuchtetes Spannungsverhältnis zum Selbstbild der Partei der »Westbindung« offen legen.

Die bekannten Kritiker der US-Politik vom rechten Rand der Union, die Bundestagsabgeordneten Willy Wimmer (CDU) und Peter Gauweiler (CSU), die im März 2007 gemeinsam erfolglos Verfassungsklage gegen den Einsatz deutscher Tornados eingereicht haben, stehen für eine Minderheit in der CDU/CSU-Fraktion. Dennoch repräsentieren die beiden einen nicht unerheblichen Teil der Mitglieder und Wähler der Union, die eine zu starke Zustimmung zur unilateralen Politik der USA allen offiziellen Solidaritätsbekundungen zum Trotz skeptisch betrachten.

Eine im März 2004 von der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlichte Studie auf der Grundlage einer Befragung von 2 100 Personen zu ihrem Amerikabild ergab zwar, dass das Milieu der Unionswähler weniger Vorbehalte gegen die USA hegt als die Unterstützer der anderen Parteien. Doch 66 Prozent der Anhänger der Konservativen stimmten Sätzen wie dem folgenden zu: »Kaum ein anderes Land vertritt seine Interessen so rücksichtslos und egoistisch wie die USA.« In die grundsätzliche Unterstützung mischt sich ein Unbehagen an der amerikanischen Stärke. Deutlich wird dabei eine Verschiebung der Per­spektive, die sich gegen die US-Politik richtet.

Dass die Bundeswehr mit ihrem Truppenkontingent den »Krieg gegen den Terror« in Afghanistan maßgeblich unterstützt, ist in den Leitartikeln der deutschen Presse selten Gegenstand der Kritik. Auch werden die Forderungen nach dem Rückzug der Truppen keineswegs damit begründet, dass Deutschland dort nicht länger für seine Machtinteressen kämpfen solle. Eine Bilanz etwa bei der Ausbildung afghanischer Polizisten ist kaum von Interesse. Diese einseitige Perspektive zeigt die blinden Flecke der »kritischen Öffentlichkeit«, die jede Verfehlung der USA chronologisch erfasst, die eigene Rolle aber beschönigt – ein Mechanismus, der im Wählerspektrum der Union ebenso verbreitet ist wie in anderen Milieus. Denn auch eine konservative Regierungspartei, die langfristig mehrheitsfähig sein will, kann nicht darauf verzichten, antiamerikanische Stimmungen in Wählerstimmen umzuwandeln.

Was sich zurzeit in den Reaktionen auf die Rüstungspläne der USA zeigt, ist Ausdruck dieser Stimmungen, jedoch kein Indiz für eine Abkehr der Atlantiker von ihrer alten Tradition. Programmatisch knüpft die Union zumindest an die alte Parteisprache an. Die Passagen zur deutsch-amerikanischen Freundschaft im Entwurf für das neue Parteiprogramm sind so blumig wie die Grußbotschaften bei einem Festbankett zum 4. Juli im Amerikahaus. »Wir treten im transatlantischen Verhältnis für ein selbstbewusstes Europa ein, das sich nicht als Gegengewicht, sondern als Partner der USA versteht«, heißt es dort lapidar.

Gelegenheit dazu, die Gegner der USA in den eigenen Reihen zufrieden zu stellen, dürfte es auch in Zukunft noch häufiger geben. Ob Nato-Erweiterung, Raketenabwehr, Afghanistan-Einsatz, Iran oder Irak, kurz: die sicherheitspolitischen Schlüsselthemen der verbleibenden zwei Regierungsjahre der Großen Koalition bieten sich dazu an, die deutsche Gestaltung eines »selbstbewussten Europa« zumindest rhetorisch zu betreiben und den Verbündeten außenpolitische Ratschläge aufzudrücken.