Schweine im Weltall

Missionen zum Mars sind Luftgeschäfte – und versteckte Subventionen für die Rüstungs- und Technologiekonzerne von lutz getzschmann

Es ist noch nicht lange her, da tippten sich viele an die Stirn, als George W. Bush das nächste ehrgeizige Ziel der US-Weltraumforschung ausgab: die Erforschung des Mars. Eine ständige bemannte Basis auf dem Mond, ein Raumschiff für die Reise zum Mars als Ausgangspunkt für dessen Besiedlung – und das alles in einer Situation, in der die US-Regierung allen Anlass hatte, von ihren erdrückenden innen- wie außenpolitischen Problemen abzulenken. Das war vor dreieinhalb Jahren, und es scheint etwas stiller geworden zu sein um die Mars-Fantasien des Präsidenten. Doch in der Zwischenzeit haben die Vorhaben konkrete Gestalt angenommen. Unbemannte Sonden sowohl der Nasa als auch ihrer kleinen europäischen Partnerorganisation Esa haben die Mars-Oberfläche untersucht und Anzeichen von Wasser gefunden. Am 4. August startete die Nasa-Raum­sonde Phoenix zu einem Flug zur Nordpolarregion des Mars, wo sie im Februar 2008 ankommen soll. Die russische Regierung will im Jahr 2017 eine bemannte Expedition zum Mars schicken. Die zeitweilig als abgeschrieben geltende russische Weltraumstation ISS ist nunmehr Bestandteil von Plänen unter Beteiligung von 16 Regierungen – als Übergangsstation für die ab 2024 geplante Mondstation.

Dabei zeichnet sich – neben neuen Kooperationen – auch eine verschärfte Konkurrenz zwischen der Nasa und dem russischen Föderalen Raumfahrtprogramm (FKP) ab, während die europäische Raumfahrtindustrie »einen Weg zwischen den Amerikanern und den Russen steuert«, wie Evert Dudok, der Chef des Weltraum-Technologieunternehmens Astrium sagt. Wie spannungsgeladen das Verhältnis inzwischen wieder ist, wurde erst im Juni deutlich, als US-Astronauten mit einem Solar-Modul an die von den Russen geführte internationale Raumstation ISS andocken wollten und zufällig just in diesem Moment der Bordcomputer ausfiel. Wechselseitige Schuldzuweisungen wurden laut, nach einem endgültigen Crash des Rechners hätte der Sauerstoff noch für 54 Tage gereicht, um die auf der ISS stationierten Kosmonauten lebend auf die Erde zurückzubringen. In Nachtschichten wurde fieberhaft gearbeitet, um – letztlich erfolgreich – den Fehler zu beheben. Über die Ursache für den Systemabsturz schweigen sich seitdem alle Beteiligten aus – zumindest in der Öffentlichkeit.

Wer auch immer das Wettrennen zum Mars gewinnt, wird sich fragen lassen müssen, wozu das Ganze eigentlich gut sein soll. Und auf solche Fragen kommen dann mitunter die fantastischsten Antworten. Von George W. Bush (» … weil der Drang danach, zu erforschen und zu verstehen, Teil unseres Charakters ist«) über die Nasa (»Aufschluss über mögliches Leben auf dem Planeten«) und die Esa (»das Verhalten des Planeten als Ganzes erfassen«) bis zu dem mit dem russischen Marsprojekt betrauten Jurij Kalasch (»perspektivisch ein Kolonisationsobjekt für die Menschheit«) wird nicht mit bombastischer Rhetorik gespart. Bis hin zu Bergwerken und Fabriken auf dem Mars reicht das Spektrum der schillernden Tagträume.

Eine solche Gigantomanie scheint auch nötig zu sein, um die immensen Kosten zu rechtfertigen, die mit der Erforschung des Mars verbunden sein werden. Die US-Regierung bekam vom Kongress einen Etat von gerade einmal einer Milliarde Dollar für die Mars-Forschung bewilligt. Weitere elf Milliarden sollen in bestehenden Nasa-Etats dafür umgeschichtet werden. Experten rechnen heute mit 500 bis 750 Milliarden Dollar an Gesamtkosten bis zur Entsendung eines bemannten Raumschiffs zum Mars. Ein solcher Brocken will erst einmal gestemmt und vor allem begründet werden. Menschheitsträume und Patriotismus allein sind da schwache Argumente. Etwas wirksamer ist schon der Verweis auf die Rohstoffe, die man glaubt, auf dem Mars zu finden: Magnesium, Kupfer, Kobalt und Uran.

Wirklich bewiesen ist deren Existenz dort bisher nicht, und ob es jemals gelingen wird, eventuell vorhandene Ressourcen profitabel abzubauen, ist noch weit fraglicher. Dass der Plan der Nasa für die bemannte Raumfahrt zum Mars in entscheidenden Punkten auf haltlosen Spekulationen basiert, zeigt der von Robert Zubrin ausgearbeitete Plan »Mars Direct«, der heute die Grundlage für die Nasa-Konzeption darstellt. Dieser sieht unter anderem vor, nach der Ankunft auf dem roten Planeten Treibstoff für den Rückflug der Astronauten mit Hilfe des Kohlendioxids aus der Marsatmosphäre herzustellen.

Interessanter als das Orakeln über abbaubare Ressourcen, neuartige Antriebsenergien und irrwitzige Vorstellungen einer Besiedlung des Mars durch den Menschen dürften die profanen ökonomischen Nebeneffekte des Mars-Booms sein. Deutlich wird dies mit Blick etwa auf das vergangene Apollo-Projekt der Nasa. Ingenieure von Fairchild Semiconductor, die die Elektronik für die Mondlandefähre entwickelt hatten, gründeten später die Mikroelektronikfirma Intel. Die Steuereinnahmen, die allein diese Firma abwirft, überstiegen in nur zwei Jahren die Gesamtkosten für das Apollo-Projekt von rund 21 Milliarden Dollar. Eine Studie des Mid-West Research Institute kam schließlich zum Ergebnis, dass jeder für das Apollo-Programm ausgegebene Dollar letztlich Steuermehreinnahmen von acht Dollar einbrachte. In die Entwicklung der Raumfahrtindustrie wurden allein zwischen 1996 und 2000 weltweit etwa 500 Milliarden Dollar investiert, von denen nur 30 Prozent auf staatliche Etats entfielen. Und die Investitionen rechnen sich: Allein 1998 beliefen sich die Gewinne, die mit Weltraumtechnologie erwirtschaftet wurden, auf 97,6 Milliarden Dollar. Das seitdem in Gang gebrachte Mars-Programm bedeutet erneut einen beträchtlichen Investitionsschub. Bereits jetzt spricht man bei der Nasa davon, in einigen Jahren Teile des Programms privatisieren zu wollen, wenn es erst mal satte Gewinne abwirft.

Aber in der US-Regierung denkt man offensichtlich noch an weitergehende Ziele. Die wichtigsten Auftragnehmer der US-Weltraumoffensive sind Lockheed Martin, Raytheon, Boeing und Northrop Grumman, gemeinsam sind sie das Rückgrat der US-Rüstungsindustrie. Sie werden nun durch die Raumfahrtaufträge in Milliardenhöhe gefördert und bekommen die Gelegenheit, unter dem Vorwand der Mars-Forschung Technologien zu erforschen und weiterzuentwickeln, die letztlich vor allem der militärischen Überlegenheit der USA auf dem Heimatplaneten nützen. Und genau um diese geht es neben anderen Aspekten auch hier: um die Fähigkeit zu präzisen Militärschlägen aus dem Weltraum auf jeden beliebigen Ort der Erde. Bereits zu Anfang des Jahres 2001 brachte es eine vom damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld eingesetzte Weltraumkommission wie folgt auf den Punkt: »Es ist auch möglich, Macht im und aus dem Kosmos zu projizieren, um auf Ereignisse überall in der Welt zu reagieren. Diese Fähigkeit würde den Vereinigten Staaten eine viel stärkere Abschreckungsfähigkeit verleihen und, im Konfliktfall, einen außerordentlichen militärischen Vorteil.«

Vor diesem Hintergrund scheint es plötzlich fast eine Frage von zweitrangiger Bedeutung zu sein, ob und wann jemals ein bemanntes Raumschiff auf dem Mars landet. Und auch das seit ein paar Jahren neu erwachte Interesse der russischen Regierung, mit den USA gleichzuziehen, bekommt so bei genauerer Betrachtung eine sehr irdische Dimension.